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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Engländer und Esperanto

Wir lachen heute über alle die Bedenken, mit denen man sich, ganz ab¬
gesehen von den wissenschaftlichen, gegen den Bau von Eisenbahnen sträubte,
handeln aber auf anderen Gebieten genau so wie unsere Großväter, und ohne
wie diese entschuldigt werden zu können, denn wir haben aus solchen Vorgängen
und Erfahrungen ganz anders lernen können als sie, die so ungeheure Fortschritte,
und nicht bloß technische, wie wir sie erlebt haben, kaum träumen konnten.


II.

Während in allen Kulturstaaten der Erde, vom sonnigen Japan bis zum
finsteren Spanien, Zeitung auf Zeitung, Buch auf Buch in Esperanto erscheint,
so daß es jetzt schon eine Literatur hat, die an Umfang die mancher lebenden
Sprache übertrifft und an Inhalt kaum ein Gebiet des menschlichen Wissens
unberührt läßt, -- ein staunenswerter Erfolg seit 1887, wo das erste Esperanto¬
buch erschien, -- während Tausende und Tausende aus den verschiedensten
Nationen durch die Tat bewiesen haben, daß für die mündliche Unterhaltung
wie für den schriftlichen Gedankenaustausch Esperanto ein ebenso sicheres wie
leichtes Verständigungsmittel ist. wird in Deutschland ruhig weiter behauptet, daß
glatte Räder sich auf glatten Schienen nicht weiter bewegen können!

Ist schon die Teilnahmslosigkeit gegenüber einer so wichtigen Kulturfrage
geradezu beschämend, so ist die Tatsache noch bettübender, daß kluge Männer,
die der Sache nützen könnten, ihren Sieg erschweren. Ein Mann, der zu den
geistigen Größen Deutschlands gerechnet wird und als reicher und unabhängiger
Mann viel tun kann, erklärte mir einmal folgendes: "Ich bin überzeugt, daß
die Entwicklung mit ihrer fortschreitenden Verbesserung der Verkehrsmittel auch
einmal eine allgemeine Verkehrssprache mit sich bringt, und es kann sein, daß
Esperanto diese Sprache ist, dennoch bin ich mit allen meinen Kräften ihr Gegner.
Denn sie wird die Menschen noch näher aneinander bringen, als das leider
scholl durch Dampf und Elektrizität geschehen ist und jetzt noch weiter durch das
Luftschiff geschehen wird -- dadurch aber werden die Menschen ärmer." Wir
waren in Afrika auf dem Wege zum Viktoria-Nncmza. und so fügte er hinzu:
"Ich steile mich auch, daß ich hier durch die Wildnis noch mit meinem Zelte
wandern muß, wo in ein paar Jahren, wenn die Eisenbahn auch hierher die
Kultur gebracht hat, keiner mehr so reisen wird."

Gewiß, auch ich hatte diese Freude, aber doch nur deshalb, weil uns die
Kultur so reich geillacht hat; ohne sie ständen wir ja noch auf der Stufe des
Negers, dem die schönste Wildnis, die größten Wunder der Natur, aber auch
des Menschengeistes gar nichts sagen, wenn sie nichts für seinen Magen bieten.
Wie bedauernswert wären die Menschen, wenn jeder Fortschritt der Kulwr sie
ärmer machen müßte! Daß wir vieles verlieren, ist leider wahr, aber wir
gewinnen anderes dafür und würden weniger verlieren, wenn wir uns nur die
Fortschritte recht zunutze machten, wenn wir nur immer rechtzeitig erkennten, was
wir aus uns uoch hinzubringen müssen, um aus dem Gewinn keinen Verlust


Grenzboten I 1910 32
Engländer und Esperanto

Wir lachen heute über alle die Bedenken, mit denen man sich, ganz ab¬
gesehen von den wissenschaftlichen, gegen den Bau von Eisenbahnen sträubte,
handeln aber auf anderen Gebieten genau so wie unsere Großväter, und ohne
wie diese entschuldigt werden zu können, denn wir haben aus solchen Vorgängen
und Erfahrungen ganz anders lernen können als sie, die so ungeheure Fortschritte,
und nicht bloß technische, wie wir sie erlebt haben, kaum träumen konnten.


II.

Während in allen Kulturstaaten der Erde, vom sonnigen Japan bis zum
finsteren Spanien, Zeitung auf Zeitung, Buch auf Buch in Esperanto erscheint,
so daß es jetzt schon eine Literatur hat, die an Umfang die mancher lebenden
Sprache übertrifft und an Inhalt kaum ein Gebiet des menschlichen Wissens
unberührt läßt, — ein staunenswerter Erfolg seit 1887, wo das erste Esperanto¬
buch erschien, — während Tausende und Tausende aus den verschiedensten
Nationen durch die Tat bewiesen haben, daß für die mündliche Unterhaltung
wie für den schriftlichen Gedankenaustausch Esperanto ein ebenso sicheres wie
leichtes Verständigungsmittel ist. wird in Deutschland ruhig weiter behauptet, daß
glatte Räder sich auf glatten Schienen nicht weiter bewegen können!

Ist schon die Teilnahmslosigkeit gegenüber einer so wichtigen Kulturfrage
geradezu beschämend, so ist die Tatsache noch bettübender, daß kluge Männer,
die der Sache nützen könnten, ihren Sieg erschweren. Ein Mann, der zu den
geistigen Größen Deutschlands gerechnet wird und als reicher und unabhängiger
Mann viel tun kann, erklärte mir einmal folgendes: „Ich bin überzeugt, daß
die Entwicklung mit ihrer fortschreitenden Verbesserung der Verkehrsmittel auch
einmal eine allgemeine Verkehrssprache mit sich bringt, und es kann sein, daß
Esperanto diese Sprache ist, dennoch bin ich mit allen meinen Kräften ihr Gegner.
Denn sie wird die Menschen noch näher aneinander bringen, als das leider
scholl durch Dampf und Elektrizität geschehen ist und jetzt noch weiter durch das
Luftschiff geschehen wird — dadurch aber werden die Menschen ärmer." Wir
waren in Afrika auf dem Wege zum Viktoria-Nncmza. und so fügte er hinzu:
»Ich steile mich auch, daß ich hier durch die Wildnis noch mit meinem Zelte
wandern muß, wo in ein paar Jahren, wenn die Eisenbahn auch hierher die
Kultur gebracht hat, keiner mehr so reisen wird."

Gewiß, auch ich hatte diese Freude, aber doch nur deshalb, weil uns die
Kultur so reich geillacht hat; ohne sie ständen wir ja noch auf der Stufe des
Negers, dem die schönste Wildnis, die größten Wunder der Natur, aber auch
des Menschengeistes gar nichts sagen, wenn sie nichts für seinen Magen bieten.
Wie bedauernswert wären die Menschen, wenn jeder Fortschritt der Kulwr sie
ärmer machen müßte! Daß wir vieles verlieren, ist leider wahr, aber wir
gewinnen anderes dafür und würden weniger verlieren, wenn wir uns nur die
Fortschritte recht zunutze machten, wenn wir nur immer rechtzeitig erkennten, was
wir aus uns uoch hinzubringen müssen, um aus dem Gewinn keinen Verlust


Grenzboten I 1910 32
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[0261] Engländer und Esperanto Wir lachen heute über alle die Bedenken, mit denen man sich, ganz ab¬ gesehen von den wissenschaftlichen, gegen den Bau von Eisenbahnen sträubte, handeln aber auf anderen Gebieten genau so wie unsere Großväter, und ohne wie diese entschuldigt werden zu können, denn wir haben aus solchen Vorgängen und Erfahrungen ganz anders lernen können als sie, die so ungeheure Fortschritte, und nicht bloß technische, wie wir sie erlebt haben, kaum träumen konnten. II. Während in allen Kulturstaaten der Erde, vom sonnigen Japan bis zum finsteren Spanien, Zeitung auf Zeitung, Buch auf Buch in Esperanto erscheint, so daß es jetzt schon eine Literatur hat, die an Umfang die mancher lebenden Sprache übertrifft und an Inhalt kaum ein Gebiet des menschlichen Wissens unberührt läßt, — ein staunenswerter Erfolg seit 1887, wo das erste Esperanto¬ buch erschien, — während Tausende und Tausende aus den verschiedensten Nationen durch die Tat bewiesen haben, daß für die mündliche Unterhaltung wie für den schriftlichen Gedankenaustausch Esperanto ein ebenso sicheres wie leichtes Verständigungsmittel ist. wird in Deutschland ruhig weiter behauptet, daß glatte Räder sich auf glatten Schienen nicht weiter bewegen können! Ist schon die Teilnahmslosigkeit gegenüber einer so wichtigen Kulturfrage geradezu beschämend, so ist die Tatsache noch bettübender, daß kluge Männer, die der Sache nützen könnten, ihren Sieg erschweren. Ein Mann, der zu den geistigen Größen Deutschlands gerechnet wird und als reicher und unabhängiger Mann viel tun kann, erklärte mir einmal folgendes: „Ich bin überzeugt, daß die Entwicklung mit ihrer fortschreitenden Verbesserung der Verkehrsmittel auch einmal eine allgemeine Verkehrssprache mit sich bringt, und es kann sein, daß Esperanto diese Sprache ist, dennoch bin ich mit allen meinen Kräften ihr Gegner. Denn sie wird die Menschen noch näher aneinander bringen, als das leider scholl durch Dampf und Elektrizität geschehen ist und jetzt noch weiter durch das Luftschiff geschehen wird — dadurch aber werden die Menschen ärmer." Wir waren in Afrika auf dem Wege zum Viktoria-Nncmza. und so fügte er hinzu: »Ich steile mich auch, daß ich hier durch die Wildnis noch mit meinem Zelte wandern muß, wo in ein paar Jahren, wenn die Eisenbahn auch hierher die Kultur gebracht hat, keiner mehr so reisen wird." Gewiß, auch ich hatte diese Freude, aber doch nur deshalb, weil uns die Kultur so reich geillacht hat; ohne sie ständen wir ja noch auf der Stufe des Negers, dem die schönste Wildnis, die größten Wunder der Natur, aber auch des Menschengeistes gar nichts sagen, wenn sie nichts für seinen Magen bieten. Wie bedauernswert wären die Menschen, wenn jeder Fortschritt der Kulwr sie ärmer machen müßte! Daß wir vieles verlieren, ist leider wahr, aber wir gewinnen anderes dafür und würden weniger verlieren, wenn wir uns nur die Fortschritte recht zunutze machten, wenn wir nur immer rechtzeitig erkennten, was wir aus uns uoch hinzubringen müssen, um aus dem Gewinn keinen Verlust Grenzboten I 1910 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/261>, abgerufen am 30.12.2024.