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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Aunstfälschmigeii

des Werkes. Wenn nun solches am grünen Holze der Renaissance geschah,
wie soll es da erst in unsren Tagen sein, wo die Etikette und der Name mehr
als jemals geschätzt werden, und wo zugleich aus tausend Kunstschulen an allen
Ecken und Enden der mit europäischer Gesittung gesegneten Erdstriche die Kunst¬
jünger kriechen wie Maden aus faulem Käse, um mich des drastischen Aus¬
druckes des biedern Joseph Anton Koch zu bedienen: In allen Kunstzentren,
zumal in München und Paris, müsse" sich Hunderte von Künstlern, die darum
durchaus nicht unbegabt sein müsse,:, durchs Leben schlagen, indem sie alte
und neue Meister fälschen und den Händlern die gangbare Ware liefern. Manche
schrecken vor dem letzten Schritt, vor der Signatur der Fälschung zurück, die dann von
dem Händler selbst zugefügt wird, im allgemeinen aber wird die Sache gleich fix und
fertig geliefert. Und wie man sich vor vierhundert Jahren nicht genierte, die
Meister schou bei Lebzeiten nachzumachen, so werden auch heute mindestens
ebensoviele moderne und lebende Maler, wie längst verstorbene Meister gefälscht.

Das ist lange nicht so gefährlich, wie man auf den ersten Blick glauben
möchte. Erstens ist die Wahrscheinlichkeit, daß der verfälschte Künstler das
ihm zugeschriebene Machwerk zu Gesicht bekäme, nicht sehr groß, zweitens ist
auch in diesen: unwahrscheinlichen Falle das Spiel noch lange nicht verloren.
Der vor einigen Jahren verstorbene Elsässer Hemmer war einer der am meisten
von den Fälschern verfolgten modernen Meister, und da er zugleich einer der
sparsamsten, um uicht zu sagen geizigsten Leute unserer Zeit war, so kam es
ihm hart an, zusehen zu müssen, daß Hunderte und tausende sogenannte "Henners"
verkauft wurden, die er nicht selber gemalt hatte und wofür er kein Geld bekam.
Denn obschon er dreißig oder vierzig Jahre laug zwei- oder dreihundert Bilder
im Jahre auf den Markt warf und in besonders guten Zeiten jeden Vor- und
jeden Nachmittag sein gut verkäufliches Mädcheuköpfcheu auf die Leinwand
brachte, war die Nachfrage immer noch größer als das Angebot, und die
Fälscher malten immer noch drei- oder viermal soviel wie Hemmer selbst.
Eines Tages wurde ihm von einem Freunde hinterbracht, daß einer der be¬
kanntesten Kunsthändler einen falschen Hemmer in seinein Schaufenster stehen
hatte. Hemmer eilte wutentbrannt zu dein Händler, konstatierte, daß der Mann
nicht einen, sondern ein Bäckerdutzend falsche Henners im Laden hatte, und
drohte mit einer gerichtlichen Klage. Als ihm aber der Händler vorgestellt
hatte, daß durch eine solche Klage die öffentliche Meinung erregt und das all¬
gemeine Mißtrauen geweckt würde, dergestalt daß uns künftig nicht nur die
fälschen, sondern auch die echten "Henners" unter diesem Mißtrauen zu leiden
haben würden, überlegte der Maler, daß das nicht ganz unrichtig sei, und daß
er durch einen Skandal vielleicht mehr verlöre als gewänne. Er ließ sich also
durch das Versprechen des Händlers, hinfort nur uoch echte Henners zu führen,
und durch eine sofortige Bestellung mehrerer echten Henners besänftigen und sah
von jeder Klage ab. Hieraus geht hervor, daß das Risiko des Fälschers oder
feines Anstifters, des Händlers, nicht sehr groß ist.


Aunstfälschmigeii

des Werkes. Wenn nun solches am grünen Holze der Renaissance geschah,
wie soll es da erst in unsren Tagen sein, wo die Etikette und der Name mehr
als jemals geschätzt werden, und wo zugleich aus tausend Kunstschulen an allen
Ecken und Enden der mit europäischer Gesittung gesegneten Erdstriche die Kunst¬
jünger kriechen wie Maden aus faulem Käse, um mich des drastischen Aus¬
druckes des biedern Joseph Anton Koch zu bedienen: In allen Kunstzentren,
zumal in München und Paris, müsse» sich Hunderte von Künstlern, die darum
durchaus nicht unbegabt sein müsse,:, durchs Leben schlagen, indem sie alte
und neue Meister fälschen und den Händlern die gangbare Ware liefern. Manche
schrecken vor dem letzten Schritt, vor der Signatur der Fälschung zurück, die dann von
dem Händler selbst zugefügt wird, im allgemeinen aber wird die Sache gleich fix und
fertig geliefert. Und wie man sich vor vierhundert Jahren nicht genierte, die
Meister schou bei Lebzeiten nachzumachen, so werden auch heute mindestens
ebensoviele moderne und lebende Maler, wie längst verstorbene Meister gefälscht.

Das ist lange nicht so gefährlich, wie man auf den ersten Blick glauben
möchte. Erstens ist die Wahrscheinlichkeit, daß der verfälschte Künstler das
ihm zugeschriebene Machwerk zu Gesicht bekäme, nicht sehr groß, zweitens ist
auch in diesen: unwahrscheinlichen Falle das Spiel noch lange nicht verloren.
Der vor einigen Jahren verstorbene Elsässer Hemmer war einer der am meisten
von den Fälschern verfolgten modernen Meister, und da er zugleich einer der
sparsamsten, um uicht zu sagen geizigsten Leute unserer Zeit war, so kam es
ihm hart an, zusehen zu müssen, daß Hunderte und tausende sogenannte „Henners"
verkauft wurden, die er nicht selber gemalt hatte und wofür er kein Geld bekam.
Denn obschon er dreißig oder vierzig Jahre laug zwei- oder dreihundert Bilder
im Jahre auf den Markt warf und in besonders guten Zeiten jeden Vor- und
jeden Nachmittag sein gut verkäufliches Mädcheuköpfcheu auf die Leinwand
brachte, war die Nachfrage immer noch größer als das Angebot, und die
Fälscher malten immer noch drei- oder viermal soviel wie Hemmer selbst.
Eines Tages wurde ihm von einem Freunde hinterbracht, daß einer der be¬
kanntesten Kunsthändler einen falschen Hemmer in seinein Schaufenster stehen
hatte. Hemmer eilte wutentbrannt zu dein Händler, konstatierte, daß der Mann
nicht einen, sondern ein Bäckerdutzend falsche Henners im Laden hatte, und
drohte mit einer gerichtlichen Klage. Als ihm aber der Händler vorgestellt
hatte, daß durch eine solche Klage die öffentliche Meinung erregt und das all¬
gemeine Mißtrauen geweckt würde, dergestalt daß uns künftig nicht nur die
fälschen, sondern auch die echten „Henners" unter diesem Mißtrauen zu leiden
haben würden, überlegte der Maler, daß das nicht ganz unrichtig sei, und daß
er durch einen Skandal vielleicht mehr verlöre als gewänne. Er ließ sich also
durch das Versprechen des Händlers, hinfort nur uoch echte Henners zu führen,
und durch eine sofortige Bestellung mehrerer echten Henners besänftigen und sah
von jeder Klage ab. Hieraus geht hervor, daß das Risiko des Fälschers oder
feines Anstifters, des Händlers, nicht sehr groß ist.


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[0026] Aunstfälschmigeii des Werkes. Wenn nun solches am grünen Holze der Renaissance geschah, wie soll es da erst in unsren Tagen sein, wo die Etikette und der Name mehr als jemals geschätzt werden, und wo zugleich aus tausend Kunstschulen an allen Ecken und Enden der mit europäischer Gesittung gesegneten Erdstriche die Kunst¬ jünger kriechen wie Maden aus faulem Käse, um mich des drastischen Aus¬ druckes des biedern Joseph Anton Koch zu bedienen: In allen Kunstzentren, zumal in München und Paris, müsse» sich Hunderte von Künstlern, die darum durchaus nicht unbegabt sein müsse,:, durchs Leben schlagen, indem sie alte und neue Meister fälschen und den Händlern die gangbare Ware liefern. Manche schrecken vor dem letzten Schritt, vor der Signatur der Fälschung zurück, die dann von dem Händler selbst zugefügt wird, im allgemeinen aber wird die Sache gleich fix und fertig geliefert. Und wie man sich vor vierhundert Jahren nicht genierte, die Meister schou bei Lebzeiten nachzumachen, so werden auch heute mindestens ebensoviele moderne und lebende Maler, wie längst verstorbene Meister gefälscht. Das ist lange nicht so gefährlich, wie man auf den ersten Blick glauben möchte. Erstens ist die Wahrscheinlichkeit, daß der verfälschte Künstler das ihm zugeschriebene Machwerk zu Gesicht bekäme, nicht sehr groß, zweitens ist auch in diesen: unwahrscheinlichen Falle das Spiel noch lange nicht verloren. Der vor einigen Jahren verstorbene Elsässer Hemmer war einer der am meisten von den Fälschern verfolgten modernen Meister, und da er zugleich einer der sparsamsten, um uicht zu sagen geizigsten Leute unserer Zeit war, so kam es ihm hart an, zusehen zu müssen, daß Hunderte und tausende sogenannte „Henners" verkauft wurden, die er nicht selber gemalt hatte und wofür er kein Geld bekam. Denn obschon er dreißig oder vierzig Jahre laug zwei- oder dreihundert Bilder im Jahre auf den Markt warf und in besonders guten Zeiten jeden Vor- und jeden Nachmittag sein gut verkäufliches Mädcheuköpfcheu auf die Leinwand brachte, war die Nachfrage immer noch größer als das Angebot, und die Fälscher malten immer noch drei- oder viermal soviel wie Hemmer selbst. Eines Tages wurde ihm von einem Freunde hinterbracht, daß einer der be¬ kanntesten Kunsthändler einen falschen Hemmer in seinein Schaufenster stehen hatte. Hemmer eilte wutentbrannt zu dein Händler, konstatierte, daß der Mann nicht einen, sondern ein Bäckerdutzend falsche Henners im Laden hatte, und drohte mit einer gerichtlichen Klage. Als ihm aber der Händler vorgestellt hatte, daß durch eine solche Klage die öffentliche Meinung erregt und das all¬ gemeine Mißtrauen geweckt würde, dergestalt daß uns künftig nicht nur die fälschen, sondern auch die echten „Henners" unter diesem Mißtrauen zu leiden haben würden, überlegte der Maler, daß das nicht ganz unrichtig sei, und daß er durch einen Skandal vielleicht mehr verlöre als gewänne. Er ließ sich also durch das Versprechen des Händlers, hinfort nur uoch echte Henners zu führen, und durch eine sofortige Bestellung mehrerer echten Henners besänftigen und sah von jeder Klage ab. Hieraus geht hervor, daß das Risiko des Fälschers oder feines Anstifters, des Händlers, nicht sehr groß ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/26>, abgerufen am 24.07.2024.