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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Tatcwla-Mädchen

wäre wohl mich nur eine Akademie der deutschen Sprache oder ein Sprachamt
zuständig. Daß eine solche Behörde geschaffen werde, ist gewiß der Wunsch
eines jeden, dem daran liegt, daß unsere Sprache vor Regellosigkeit und
Willkür bewahrt wird.

Auch auf den Satzbau hat sich der Wechsel des Geschmacks, und ein wenig
auch der Sprachsport, ausgedehnt. Die Schachtelsätze, sür die man früher
eine große Vorliebe hatte, sind erfreulicherweise so ziemlich verschwunden und
fristen uur noch in einzelnen gerichtlichen Entscheidungsgründen u. tgi. ein
kümmerliches Dasein. Man ist nun aber manchmal in das entgegengesetzte
Extrem verfallen: man löst die Verbindung zwischen den einzelnen Satzteilen
auf und zerreißt die Sätze in Bruchstücke, in Atome, oder unterläßt es ganz,
förmliche Sätze zu bilden. Dieser Mode huldigen selbst namhafte Schriftsteller.
So las ich in einem Aufsatz von H. Grimm: "Dennoch wollte er wirken. Und
glaubte zu wirken. -- Die Korrespondenz ist nicht maßgebend für beide. Keine
Briefe, nur lose Zettel. -- Vor einen: Jahre starb er. Ohne Krankheit. In
vollem Bewußtsein seines Zustandes." Kleinere Geister machen dies natürlich
nach und gefallen sich darin, ihre Gedanken dein Leser in einzelnen Brocken
vorzuwerfen. Schön ist es nicht; man glaubt zuweilen eiuen asthmatischen Greis
zu hören, dem das Sprechen schwer wird. Trösten wir uns mit der Hoffnung,
daß dieser Sport, der ja auch der neueren französischen Literatur nicht fremd
ist, bald aus der Mode kommen wird.




Tatavla-Mädchen
<Line Skizze aus dem Frauenleben des Orients
von L. Lindbcrg-Dovlette

le LevantinerinI

Sie ist eine trübe und schlechtgeschüttclte Mischung all der ver¬
schiedenartigen Volksstämme des Balkans, ein Wirrwarr, das zum
Weibe geworden ist, erzeugt in Konstantinopels seltsamer, halb¬
asiatischer Welt. Sie selbst nennt sich Griechin, aber viel mehr als
^die Sprache -- und auch diese verdreht und verzerrt -- hat sie nicht
von der Griechin, der würdevollen mit dem reinen Profil, den niedergeschlagenen
Augen und dem glatten, glänzenden Haar. Ähnlicher ist die Levantinerin vielleicht
der schlauen Armenierin mit den mandelförmigen Augen unter starken zusammen¬
gewachsenen Brauen. Die UnVerläßlichkeit und Wandelbarkeit ihres Sinnes hat
sie sicherlich von der Zigeunerin, wie man sie in Stambuls Gassen zu treffen
pflegt, in weiten Beinkleidern, die Zigarette im Mundwinkel und Silbermünzen
im Haare, mit wilden Gesten und vibrierenden Nasenflügeln wie die eines witternden
Raubtieres.M
Ms


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wäre wohl mich nur eine Akademie der deutschen Sprache oder ein Sprachamt
zuständig. Daß eine solche Behörde geschaffen werde, ist gewiß der Wunsch
eines jeden, dem daran liegt, daß unsere Sprache vor Regellosigkeit und
Willkür bewahrt wird.

Auch auf den Satzbau hat sich der Wechsel des Geschmacks, und ein wenig
auch der Sprachsport, ausgedehnt. Die Schachtelsätze, sür die man früher
eine große Vorliebe hatte, sind erfreulicherweise so ziemlich verschwunden und
fristen uur noch in einzelnen gerichtlichen Entscheidungsgründen u. tgi. ein
kümmerliches Dasein. Man ist nun aber manchmal in das entgegengesetzte
Extrem verfallen: man löst die Verbindung zwischen den einzelnen Satzteilen
auf und zerreißt die Sätze in Bruchstücke, in Atome, oder unterläßt es ganz,
förmliche Sätze zu bilden. Dieser Mode huldigen selbst namhafte Schriftsteller.
So las ich in einem Aufsatz von H. Grimm: „Dennoch wollte er wirken. Und
glaubte zu wirken. — Die Korrespondenz ist nicht maßgebend für beide. Keine
Briefe, nur lose Zettel. — Vor einen: Jahre starb er. Ohne Krankheit. In
vollem Bewußtsein seines Zustandes." Kleinere Geister machen dies natürlich
nach und gefallen sich darin, ihre Gedanken dein Leser in einzelnen Brocken
vorzuwerfen. Schön ist es nicht; man glaubt zuweilen eiuen asthmatischen Greis
zu hören, dem das Sprechen schwer wird. Trösten wir uns mit der Hoffnung,
daß dieser Sport, der ja auch der neueren französischen Literatur nicht fremd
ist, bald aus der Mode kommen wird.




Tatavla-Mädchen
<Line Skizze aus dem Frauenleben des Orients
von L. Lindbcrg-Dovlette

le LevantinerinI

Sie ist eine trübe und schlechtgeschüttclte Mischung all der ver¬
schiedenartigen Volksstämme des Balkans, ein Wirrwarr, das zum
Weibe geworden ist, erzeugt in Konstantinopels seltsamer, halb¬
asiatischer Welt. Sie selbst nennt sich Griechin, aber viel mehr als
^die Sprache — und auch diese verdreht und verzerrt — hat sie nicht
von der Griechin, der würdevollen mit dem reinen Profil, den niedergeschlagenen
Augen und dem glatten, glänzenden Haar. Ähnlicher ist die Levantinerin vielleicht
der schlauen Armenierin mit den mandelförmigen Augen unter starken zusammen¬
gewachsenen Brauen. Die UnVerläßlichkeit und Wandelbarkeit ihres Sinnes hat
sie sicherlich von der Zigeunerin, wie man sie in Stambuls Gassen zu treffen
pflegt, in weiten Beinkleidern, die Zigarette im Mundwinkel und Silbermünzen
im Haare, mit wilden Gesten und vibrierenden Nasenflügeln wie die eines witternden
Raubtieres.M
Ms


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/236>, abgerufen am 04.07.2024.