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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Sprachliche tvendungen und Moden

Klingt es schön und macht es dem Reichtum unserer Sprache Ehre, wenn
ein Neichstagabgeordneter sagt: "Erfreulich sind die schweren Strafandrohungen
für diejenigen, die die aus der Konkursmasse in den Besitz eines anderen
übergegangenen Waren als noch zur Masse gehörig bezeichnen"? Schade, daß
er nicht ,die, die die' gesagt hat; dann würde der Satz uoch mehr an die
berühmte behördliche Verfügung erinnern: "Die, die die, die die amtlichen Plakate
immer abreißen, zur Anzeige bringen, erhalten eine Belohnung".

Bei Goethe wird man derartige Wiederholungen nicht leicht finden. So
sagt er z. B. "Die untergehende Sonne, gegen welche die Fenster gerichtet waren".
"Die Krönung Karls des Siebenten, bei welcher der französische Gesandte
herrliche Feste gegeben" usw. Erst in neuerer Zeit schreibt man unbedenklich
>der der' und .die die'. Auch in der feierlichen Rede wird das vollere Wort
.welcher' manchmal passender sein als .der', z. B. Schiller: "Gustav Adolf, die
einzige Quelle, aus welcher alle Autorität floß, das einzige Ziel, auf welches
der handelnde Krieger die Augen richtete".

Nun zum dritten Angeklagten: .derselbe'. Das Wort ist in der Doppel-
bedeutung von i8 und lasen schon sehr alt. Bei Gebr. Grimm ist es in beiden
Bedeutungen angeführt und im Sinn von i8 mit zahlreichen Beispielen vom
fünfzehnten Jahrhundert an belegt. Für unser oberdeutsches Volk hat das Wort
nichts Befremdendes. .Derselbe' (mundartlich .der sell'). .selber Mann' (.heller
Mann'), daraus auch .selbiger' im Sinn von is, ills vir ist noch häufig zu
hören. Goethe, Schiller und andere gute Schriftsteller gebrauchen das Wort
öfters. Z. B. Wahrheit und Dichtung: "Ihr (der Großmutter) Abscheide,!
war für die Familie von um fo größerer Bedeutung, als es eine völlige Ver¬
änderung in dem Zustande derselben nach sich zog". Goethe wollte offenbar
die Wiederholung des Fürwortes .ihr' vermeiden und die Beziehung auf die
Familie deutlicher hervorheben. "Das Nachschaffen der neuen Bücher, das
Binden und Einreiben derselben betrieb er mit großer Gelassenheit".

Bismarck, dessen Stil ja als Vorbild einer volkstümlichen Schreibweise
aufgestellt wurde, vermeidet die beanstandeten Wörter durchaus nicht. In den
drei ersten Kapiteln seiner Gedanken und Erinnerungen zählte ich vierzig .welcher',
Zehn .derselbe' (demonstr.) und vier .derjenige'.

Ich beantrage hiernach die Freisprechung der drei Allgeklagten. Sie sind
unschädlich und können an passender Stelle gute Dienste leisten. Wörter, die
leit Jahrhunderten zum Bestand unserer Sprache gehören und nicht ohne Grund
^ diese aufgenommen wurden, sollten, wie ich meine, nicht ohne Not, förmlich
zwangsweise, aus ihr entfernt werden.

Wie ich soeben aus einen: Aufsatz einer gelesenen Zeitung ersah, gibt es
der Tat Leute, welche die Wörter .dieser', .jener', .solcher' aus der Schrift¬
sprache hinauswerfen wollen, weil das Volk diese Ausdrücke nicht gebrauche.
2ins diese Weise kann man unsere Schriftsprache allerdings sehr vereinfachen;
ob verschönern, das ist eine andere Frage. Zu so einschneidenden Maßregeln


Sprachliche tvendungen und Moden

Klingt es schön und macht es dem Reichtum unserer Sprache Ehre, wenn
ein Neichstagabgeordneter sagt: „Erfreulich sind die schweren Strafandrohungen
für diejenigen, die die aus der Konkursmasse in den Besitz eines anderen
übergegangenen Waren als noch zur Masse gehörig bezeichnen"? Schade, daß
er nicht ,die, die die' gesagt hat; dann würde der Satz uoch mehr an die
berühmte behördliche Verfügung erinnern: „Die, die die, die die amtlichen Plakate
immer abreißen, zur Anzeige bringen, erhalten eine Belohnung".

Bei Goethe wird man derartige Wiederholungen nicht leicht finden. So
sagt er z. B. „Die untergehende Sonne, gegen welche die Fenster gerichtet waren".
„Die Krönung Karls des Siebenten, bei welcher der französische Gesandte
herrliche Feste gegeben" usw. Erst in neuerer Zeit schreibt man unbedenklich
>der der' und .die die'. Auch in der feierlichen Rede wird das vollere Wort
.welcher' manchmal passender sein als .der', z. B. Schiller: „Gustav Adolf, die
einzige Quelle, aus welcher alle Autorität floß, das einzige Ziel, auf welches
der handelnde Krieger die Augen richtete".

Nun zum dritten Angeklagten: .derselbe'. Das Wort ist in der Doppel-
bedeutung von i8 und lasen schon sehr alt. Bei Gebr. Grimm ist es in beiden
Bedeutungen angeführt und im Sinn von i8 mit zahlreichen Beispielen vom
fünfzehnten Jahrhundert an belegt. Für unser oberdeutsches Volk hat das Wort
nichts Befremdendes. .Derselbe' (mundartlich .der sell'). .selber Mann' (.heller
Mann'), daraus auch .selbiger' im Sinn von is, ills vir ist noch häufig zu
hören. Goethe, Schiller und andere gute Schriftsteller gebrauchen das Wort
öfters. Z. B. Wahrheit und Dichtung: „Ihr (der Großmutter) Abscheide,!
war für die Familie von um fo größerer Bedeutung, als es eine völlige Ver¬
änderung in dem Zustande derselben nach sich zog". Goethe wollte offenbar
die Wiederholung des Fürwortes .ihr' vermeiden und die Beziehung auf die
Familie deutlicher hervorheben. „Das Nachschaffen der neuen Bücher, das
Binden und Einreiben derselben betrieb er mit großer Gelassenheit".

Bismarck, dessen Stil ja als Vorbild einer volkstümlichen Schreibweise
aufgestellt wurde, vermeidet die beanstandeten Wörter durchaus nicht. In den
drei ersten Kapiteln seiner Gedanken und Erinnerungen zählte ich vierzig .welcher',
Zehn .derselbe' (demonstr.) und vier .derjenige'.

Ich beantrage hiernach die Freisprechung der drei Allgeklagten. Sie sind
unschädlich und können an passender Stelle gute Dienste leisten. Wörter, die
leit Jahrhunderten zum Bestand unserer Sprache gehören und nicht ohne Grund
^ diese aufgenommen wurden, sollten, wie ich meine, nicht ohne Not, förmlich
zwangsweise, aus ihr entfernt werden.

Wie ich soeben aus einen: Aufsatz einer gelesenen Zeitung ersah, gibt es
der Tat Leute, welche die Wörter .dieser', .jener', .solcher' aus der Schrift¬
sprache hinauswerfen wollen, weil das Volk diese Ausdrücke nicht gebrauche.
2ins diese Weise kann man unsere Schriftsprache allerdings sehr vereinfachen;
ob verschönern, das ist eine andere Frage. Zu so einschneidenden Maßregeln


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[0235] Sprachliche tvendungen und Moden Klingt es schön und macht es dem Reichtum unserer Sprache Ehre, wenn ein Neichstagabgeordneter sagt: „Erfreulich sind die schweren Strafandrohungen für diejenigen, die die aus der Konkursmasse in den Besitz eines anderen übergegangenen Waren als noch zur Masse gehörig bezeichnen"? Schade, daß er nicht ,die, die die' gesagt hat; dann würde der Satz uoch mehr an die berühmte behördliche Verfügung erinnern: „Die, die die, die die amtlichen Plakate immer abreißen, zur Anzeige bringen, erhalten eine Belohnung". Bei Goethe wird man derartige Wiederholungen nicht leicht finden. So sagt er z. B. „Die untergehende Sonne, gegen welche die Fenster gerichtet waren". „Die Krönung Karls des Siebenten, bei welcher der französische Gesandte herrliche Feste gegeben" usw. Erst in neuerer Zeit schreibt man unbedenklich >der der' und .die die'. Auch in der feierlichen Rede wird das vollere Wort .welcher' manchmal passender sein als .der', z. B. Schiller: „Gustav Adolf, die einzige Quelle, aus welcher alle Autorität floß, das einzige Ziel, auf welches der handelnde Krieger die Augen richtete". Nun zum dritten Angeklagten: .derselbe'. Das Wort ist in der Doppel- bedeutung von i8 und lasen schon sehr alt. Bei Gebr. Grimm ist es in beiden Bedeutungen angeführt und im Sinn von i8 mit zahlreichen Beispielen vom fünfzehnten Jahrhundert an belegt. Für unser oberdeutsches Volk hat das Wort nichts Befremdendes. .Derselbe' (mundartlich .der sell'). .selber Mann' (.heller Mann'), daraus auch .selbiger' im Sinn von is, ills vir ist noch häufig zu hören. Goethe, Schiller und andere gute Schriftsteller gebrauchen das Wort öfters. Z. B. Wahrheit und Dichtung: „Ihr (der Großmutter) Abscheide,! war für die Familie von um fo größerer Bedeutung, als es eine völlige Ver¬ änderung in dem Zustande derselben nach sich zog". Goethe wollte offenbar die Wiederholung des Fürwortes .ihr' vermeiden und die Beziehung auf die Familie deutlicher hervorheben. „Das Nachschaffen der neuen Bücher, das Binden und Einreiben derselben betrieb er mit großer Gelassenheit". Bismarck, dessen Stil ja als Vorbild einer volkstümlichen Schreibweise aufgestellt wurde, vermeidet die beanstandeten Wörter durchaus nicht. In den drei ersten Kapiteln seiner Gedanken und Erinnerungen zählte ich vierzig .welcher', Zehn .derselbe' (demonstr.) und vier .derjenige'. Ich beantrage hiernach die Freisprechung der drei Allgeklagten. Sie sind unschädlich und können an passender Stelle gute Dienste leisten. Wörter, die leit Jahrhunderten zum Bestand unserer Sprache gehören und nicht ohne Grund ^ diese aufgenommen wurden, sollten, wie ich meine, nicht ohne Not, förmlich zwangsweise, aus ihr entfernt werden. Wie ich soeben aus einen: Aufsatz einer gelesenen Zeitung ersah, gibt es der Tat Leute, welche die Wörter .dieser', .jener', .solcher' aus der Schrift¬ sprache hinauswerfen wollen, weil das Volk diese Ausdrücke nicht gebrauche. 2ins diese Weise kann man unsere Schriftsprache allerdings sehr vereinfachen; ob verschönern, das ist eine andere Frage. Zu so einschneidenden Maßregeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/235>, abgerufen am 04.07.2024.