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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Sprachliche !verdungen und Moden

Sprachvereins schon gebührend gekennzeichnet worden: Milieu', .Rekord', .intim',
.Note', .erstklassig', .großzügig' ustv. Vor Jahren überraschte mich ein Sprachgigerl
mit dem schönen englischen Worte .tiptop'; neulich las ich mit Entsetzen ,up
to äate' ("das Neueste und Vollkommenste"). Auch diese Blüte wird bald
vergehen. Etwas länger wird vielleicht der .Snob' leben, weil er recht anschaulich
eine Menschenklasse bezeichnet, die in modernen Großstädten stark vertreten ist,
und feiner klingt als unser .Fatzke'.

Ernster zu nehmen sind einige neu oder in neuer Bedeutung gewonnene
Zeitwörter.

Gegen das der Technik, insbesondere der Elektrizitätslehre, entlehnte
.ausschalten' ist gewiß nichts zu erinnern. Das Wort wird wegen seiner Neu¬
heit (Grimm keimt es uoch nicht) bis zum Überdruß angewendet und die ebenso
brauchbaren Wörter .ausschließen', .ausscheiden' usw. laufen Gefahr, vergessen
zu werden. Die beliebten Ausdrücke .anschreiben' (eine Frage) und .abschneiden'
(gut oder schlecht) sind sicherlich nicht zu beanstanden, wenn sie mit Maß an¬
gewendet werden; in der gewählteren Sprache sind sie nicht immer am Platz.

Die Einführung der aus .quer' gebildeten Zeitwörter .durchqueren', .über¬
queren', .queren' war ein glücklicher Griff; nur werden sie noch oft falsch an¬
gewendet. Die "Mitteilungen für Sprachecken" haben schon darauf hingewiesen,
daß es verkehrt ist zu sagen: Wir durchquerteil den Tunnel. Quer heißt:
der Breite nach, eine Längsrichtung kreuzend. Aber auch da, wo in der Tat
eine Querrichtung gegeben ist, kauu das Wort durchqueren unpassend sein.
Verbindungen wie einen freien Platz durchqueren (wenn man ihn überschreitet),
einen Bach oder Fluß durchqueren (wenn man über den Steg oder die Brücke
geht) widerstreben dem Sprachgefühl. In allen diesen Fällen würde das ein¬
fache .queren' passen und genügen. Mit dem Worte Queren, das in der Berg¬
mannssprache schon vorkommt, gewinnen wir ein kurzes und bequemes Wort,
ähnlich gebildet wie das französische travel-8er aus travers, quer.

Ein eigenartiges Wort ist .ausgerechnet'. Wer es erfunden (modern:
.geprägt') hat, weiß ich nicht, man kann oft auch uur vermuten, was es bedeuten
soll. Meist scheint es für .gerade' (im Sinn des früher gebräuchlichen ,just')
zu stehen, z. B. in den: Satz: "Der Verfasser sagt auf den folgenden Seiten
.ausgerechnet' das Gegenteil von dem hier Behaupteten." Was das mit Rechnen
zu tun hat, weiß ich nicht; aber das Wort ist "apart". Einige andere neue
Allsdrücke möchte ich nur der Vollständigkeit halber anführen: .abflauen' (vom
Winde hergenommen; die Bewegung stand ab u. tgi.), .abebben' (in ähnlichem
Sinn), .restlos' (erschöpfend). Alle diese Wörter sind sprachlich nicht zu tadeln,
ihr Gebrauch ist Geschmacksache. Eine Zeitlang schwelgte man förmlich in .voll
und ganz' und .unentwegt'. Diese Worte sind wohl hauptsächlich durch den
Mißbrauch, der mit ihnen getrieben wurde, ziemlich aus der Mode gekommen.

Eine gewisse Neuerungssucht zeigt sich nicht selten in der willkürlichen
Änderung bestehender Wortformen und Wortverbindungen. Man scheut sich in


Sprachliche !verdungen und Moden

Sprachvereins schon gebührend gekennzeichnet worden: Milieu', .Rekord', .intim',
.Note', .erstklassig', .großzügig' ustv. Vor Jahren überraschte mich ein Sprachgigerl
mit dem schönen englischen Worte .tiptop'; neulich las ich mit Entsetzen ,up
to äate' („das Neueste und Vollkommenste"). Auch diese Blüte wird bald
vergehen. Etwas länger wird vielleicht der .Snob' leben, weil er recht anschaulich
eine Menschenklasse bezeichnet, die in modernen Großstädten stark vertreten ist,
und feiner klingt als unser .Fatzke'.

Ernster zu nehmen sind einige neu oder in neuer Bedeutung gewonnene
Zeitwörter.

Gegen das der Technik, insbesondere der Elektrizitätslehre, entlehnte
.ausschalten' ist gewiß nichts zu erinnern. Das Wort wird wegen seiner Neu¬
heit (Grimm keimt es uoch nicht) bis zum Überdruß angewendet und die ebenso
brauchbaren Wörter .ausschließen', .ausscheiden' usw. laufen Gefahr, vergessen
zu werden. Die beliebten Ausdrücke .anschreiben' (eine Frage) und .abschneiden'
(gut oder schlecht) sind sicherlich nicht zu beanstanden, wenn sie mit Maß an¬
gewendet werden; in der gewählteren Sprache sind sie nicht immer am Platz.

Die Einführung der aus .quer' gebildeten Zeitwörter .durchqueren', .über¬
queren', .queren' war ein glücklicher Griff; nur werden sie noch oft falsch an¬
gewendet. Die „Mitteilungen für Sprachecken" haben schon darauf hingewiesen,
daß es verkehrt ist zu sagen: Wir durchquerteil den Tunnel. Quer heißt:
der Breite nach, eine Längsrichtung kreuzend. Aber auch da, wo in der Tat
eine Querrichtung gegeben ist, kauu das Wort durchqueren unpassend sein.
Verbindungen wie einen freien Platz durchqueren (wenn man ihn überschreitet),
einen Bach oder Fluß durchqueren (wenn man über den Steg oder die Brücke
geht) widerstreben dem Sprachgefühl. In allen diesen Fällen würde das ein¬
fache .queren' passen und genügen. Mit dem Worte Queren, das in der Berg¬
mannssprache schon vorkommt, gewinnen wir ein kurzes und bequemes Wort,
ähnlich gebildet wie das französische travel-8er aus travers, quer.

Ein eigenartiges Wort ist .ausgerechnet'. Wer es erfunden (modern:
.geprägt') hat, weiß ich nicht, man kann oft auch uur vermuten, was es bedeuten
soll. Meist scheint es für .gerade' (im Sinn des früher gebräuchlichen ,just')
zu stehen, z. B. in den: Satz: „Der Verfasser sagt auf den folgenden Seiten
.ausgerechnet' das Gegenteil von dem hier Behaupteten." Was das mit Rechnen
zu tun hat, weiß ich nicht; aber das Wort ist „apart". Einige andere neue
Allsdrücke möchte ich nur der Vollständigkeit halber anführen: .abflauen' (vom
Winde hergenommen; die Bewegung stand ab u. tgi.), .abebben' (in ähnlichem
Sinn), .restlos' (erschöpfend). Alle diese Wörter sind sprachlich nicht zu tadeln,
ihr Gebrauch ist Geschmacksache. Eine Zeitlang schwelgte man förmlich in .voll
und ganz' und .unentwegt'. Diese Worte sind wohl hauptsächlich durch den
Mißbrauch, der mit ihnen getrieben wurde, ziemlich aus der Mode gekommen.

Eine gewisse Neuerungssucht zeigt sich nicht selten in der willkürlichen
Änderung bestehender Wortformen und Wortverbindungen. Man scheut sich in


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[0232] Sprachliche !verdungen und Moden Sprachvereins schon gebührend gekennzeichnet worden: Milieu', .Rekord', .intim', .Note', .erstklassig', .großzügig' ustv. Vor Jahren überraschte mich ein Sprachgigerl mit dem schönen englischen Worte .tiptop'; neulich las ich mit Entsetzen ,up to äate' („das Neueste und Vollkommenste"). Auch diese Blüte wird bald vergehen. Etwas länger wird vielleicht der .Snob' leben, weil er recht anschaulich eine Menschenklasse bezeichnet, die in modernen Großstädten stark vertreten ist, und feiner klingt als unser .Fatzke'. Ernster zu nehmen sind einige neu oder in neuer Bedeutung gewonnene Zeitwörter. Gegen das der Technik, insbesondere der Elektrizitätslehre, entlehnte .ausschalten' ist gewiß nichts zu erinnern. Das Wort wird wegen seiner Neu¬ heit (Grimm keimt es uoch nicht) bis zum Überdruß angewendet und die ebenso brauchbaren Wörter .ausschließen', .ausscheiden' usw. laufen Gefahr, vergessen zu werden. Die beliebten Ausdrücke .anschreiben' (eine Frage) und .abschneiden' (gut oder schlecht) sind sicherlich nicht zu beanstanden, wenn sie mit Maß an¬ gewendet werden; in der gewählteren Sprache sind sie nicht immer am Platz. Die Einführung der aus .quer' gebildeten Zeitwörter .durchqueren', .über¬ queren', .queren' war ein glücklicher Griff; nur werden sie noch oft falsch an¬ gewendet. Die „Mitteilungen für Sprachecken" haben schon darauf hingewiesen, daß es verkehrt ist zu sagen: Wir durchquerteil den Tunnel. Quer heißt: der Breite nach, eine Längsrichtung kreuzend. Aber auch da, wo in der Tat eine Querrichtung gegeben ist, kauu das Wort durchqueren unpassend sein. Verbindungen wie einen freien Platz durchqueren (wenn man ihn überschreitet), einen Bach oder Fluß durchqueren (wenn man über den Steg oder die Brücke geht) widerstreben dem Sprachgefühl. In allen diesen Fällen würde das ein¬ fache .queren' passen und genügen. Mit dem Worte Queren, das in der Berg¬ mannssprache schon vorkommt, gewinnen wir ein kurzes und bequemes Wort, ähnlich gebildet wie das französische travel-8er aus travers, quer. Ein eigenartiges Wort ist .ausgerechnet'. Wer es erfunden (modern: .geprägt') hat, weiß ich nicht, man kann oft auch uur vermuten, was es bedeuten soll. Meist scheint es für .gerade' (im Sinn des früher gebräuchlichen ,just') zu stehen, z. B. in den: Satz: „Der Verfasser sagt auf den folgenden Seiten .ausgerechnet' das Gegenteil von dem hier Behaupteten." Was das mit Rechnen zu tun hat, weiß ich nicht; aber das Wort ist „apart". Einige andere neue Allsdrücke möchte ich nur der Vollständigkeit halber anführen: .abflauen' (vom Winde hergenommen; die Bewegung stand ab u. tgi.), .abebben' (in ähnlichem Sinn), .restlos' (erschöpfend). Alle diese Wörter sind sprachlich nicht zu tadeln, ihr Gebrauch ist Geschmacksache. Eine Zeitlang schwelgte man förmlich in .voll und ganz' und .unentwegt'. Diese Worte sind wohl hauptsächlich durch den Mißbrauch, der mit ihnen getrieben wurde, ziemlich aus der Mode gekommen. Eine gewisse Neuerungssucht zeigt sich nicht selten in der willkürlichen Änderung bestehender Wortformen und Wortverbindungen. Man scheut sich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/232>, abgerufen am 04.07.2024.