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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Sprachliche Mcndungc" und ZNoden

und verwendet, wie man neue Hemdkragen oder Stulpenkuöpfe ersinnt und in
Gebrauch nimmt. Wie es Modegigerln gibt, die ihren Ehrgeiz darein setzen,
stets die neueste Kragenform zu tragen, so gibt es Sprachgigerln, die sich jedes
neuen Wortes mit Begierde bemächtigen und sich sehr überlegen dünken, wenn
sie uns mit einer sprachlichen Neuheit verblüffen können.

Die eigentlichen Modewörter verschwinden meist, sobald sie den Reiz der
Neuheit verloren haben. Ich blicke auf eine lange Reihe von Jahren zurück
und habe immer auf sprachliche Dinge geachtet. Wie viele Modewörter habe
ich schon entstehen und vergehen sehen! In meiner Jugend kam z. B. das
Wort .gottvoll' auf als Ausdruck des Entzückens und der Bewunderung; welche
Freude für die Sprachgigerlu! In ähnlichem Sinne waren Fremdwörter hoch¬
beliebt: .Scharmant', .superb', magnifique'; anch .grandios', .pittoresk', .grotesk'
hörte man oft; die Genüsse des Gaumens waren immer .delikat'. Ich erinnere
mich, daß die "Fliegenden Blätter" in den fünfziger oder sechziger Jahren diese
Modetorheit verspotteten in einem Gespräch zweier Damen, die sich bei dem
Anblick einer schönen Landschaft in Fremdwörtern überbieten und zuletzt zu den
Ausrufen versteigen: "wie arabesk!" "wie analog!" "wie Pädagog!" Dann
war alles Große und Schöne mit einem Male .fabelhaft'. Etwa um dieselbe
Zeit kam mich .furchtbar' als Ausdruck der Steigerung auf. "Ich freue mich
furchtbar". "Er ist so furchtbar nett" war das Zugwort eines beliebten
Lustspiels.

Allen diesen Ausdrücken erstand ein überlegener Nebenbuhler in .kolossal'.
Dieses Wort bürgerte sich so sehr in die deutsche Rede ein, daß ich es sogar
in der beinahe unglaublichen Verbindung .kolossal klein' gehört habe. Nach
einer verbürgten Anekdote sollen ja die Araber bei den Pyramiden die Deutschen
an dem Ausruf "Kolossal!" erkannt haben, der sich unseren Landsleuten beim
Anblick dieser Wunderwerke regelmäßig entrang. Heutzutage gibt man sein
Entzücken vernünftigerweise in deutscher Sprache kund, die ja an Ausdrücken
reich genug ist, und schwärmerische junge Fräulein, denen .wundervoll', .wonnig'
u. tgi. zu wenig sagen, flöten: "einfach süß!"

In den letzten Jahrzehnten hat die Einführung neuer Wörter stark
zugenommen. Die Ursache dieser Erscheinung liegt zum Teil offenbar darin,
daß die Technik und die Naturwissenschaften unseren Gesichtskreis fortwährend
erweitern. Aber sie liegt auch in dein Drang unserer Zeit nach Neuem, Eigen¬
artigem, das vom Gewöhnlichen und Hergebrachten abweicht. Dieser Zug zeigt
sich ja selbst in Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten. Man .reformiert' öfters sogar
die Bücher, indem man nnzweckmäßigerweise die Seitenzahlen auf den unteren
statt auf deu oberen Rand setzt, die Zwischenräume zwischen den Zeilen mit
Schnörkeln ausfüllt u. tgi.

Von den rein technischen Ausdrücken sehe ich hier ab. Viele der neuen
Wörter sind offenbar reine Modemörter; sie blühen eine Zeitlang, dann welken
sie hin. Mehrere dieser Blumen sind in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen


Sprachliche Mcndungc» und ZNoden

und verwendet, wie man neue Hemdkragen oder Stulpenkuöpfe ersinnt und in
Gebrauch nimmt. Wie es Modegigerln gibt, die ihren Ehrgeiz darein setzen,
stets die neueste Kragenform zu tragen, so gibt es Sprachgigerln, die sich jedes
neuen Wortes mit Begierde bemächtigen und sich sehr überlegen dünken, wenn
sie uns mit einer sprachlichen Neuheit verblüffen können.

Die eigentlichen Modewörter verschwinden meist, sobald sie den Reiz der
Neuheit verloren haben. Ich blicke auf eine lange Reihe von Jahren zurück
und habe immer auf sprachliche Dinge geachtet. Wie viele Modewörter habe
ich schon entstehen und vergehen sehen! In meiner Jugend kam z. B. das
Wort .gottvoll' auf als Ausdruck des Entzückens und der Bewunderung; welche
Freude für die Sprachgigerlu! In ähnlichem Sinne waren Fremdwörter hoch¬
beliebt: .Scharmant', .superb', magnifique'; anch .grandios', .pittoresk', .grotesk'
hörte man oft; die Genüsse des Gaumens waren immer .delikat'. Ich erinnere
mich, daß die „Fliegenden Blätter" in den fünfziger oder sechziger Jahren diese
Modetorheit verspotteten in einem Gespräch zweier Damen, die sich bei dem
Anblick einer schönen Landschaft in Fremdwörtern überbieten und zuletzt zu den
Ausrufen versteigen: „wie arabesk!" „wie analog!" „wie Pädagog!" Dann
war alles Große und Schöne mit einem Male .fabelhaft'. Etwa um dieselbe
Zeit kam mich .furchtbar' als Ausdruck der Steigerung auf. „Ich freue mich
furchtbar". „Er ist so furchtbar nett" war das Zugwort eines beliebten
Lustspiels.

Allen diesen Ausdrücken erstand ein überlegener Nebenbuhler in .kolossal'.
Dieses Wort bürgerte sich so sehr in die deutsche Rede ein, daß ich es sogar
in der beinahe unglaublichen Verbindung .kolossal klein' gehört habe. Nach
einer verbürgten Anekdote sollen ja die Araber bei den Pyramiden die Deutschen
an dem Ausruf „Kolossal!" erkannt haben, der sich unseren Landsleuten beim
Anblick dieser Wunderwerke regelmäßig entrang. Heutzutage gibt man sein
Entzücken vernünftigerweise in deutscher Sprache kund, die ja an Ausdrücken
reich genug ist, und schwärmerische junge Fräulein, denen .wundervoll', .wonnig'
u. tgi. zu wenig sagen, flöten: „einfach süß!"

In den letzten Jahrzehnten hat die Einführung neuer Wörter stark
zugenommen. Die Ursache dieser Erscheinung liegt zum Teil offenbar darin,
daß die Technik und die Naturwissenschaften unseren Gesichtskreis fortwährend
erweitern. Aber sie liegt auch in dein Drang unserer Zeit nach Neuem, Eigen¬
artigem, das vom Gewöhnlichen und Hergebrachten abweicht. Dieser Zug zeigt
sich ja selbst in Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten. Man .reformiert' öfters sogar
die Bücher, indem man nnzweckmäßigerweise die Seitenzahlen auf den unteren
statt auf deu oberen Rand setzt, die Zwischenräume zwischen den Zeilen mit
Schnörkeln ausfüllt u. tgi.

Von den rein technischen Ausdrücken sehe ich hier ab. Viele der neuen
Wörter sind offenbar reine Modemörter; sie blühen eine Zeitlang, dann welken
sie hin. Mehrere dieser Blumen sind in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen


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[0231] Sprachliche Mcndungc» und ZNoden und verwendet, wie man neue Hemdkragen oder Stulpenkuöpfe ersinnt und in Gebrauch nimmt. Wie es Modegigerln gibt, die ihren Ehrgeiz darein setzen, stets die neueste Kragenform zu tragen, so gibt es Sprachgigerln, die sich jedes neuen Wortes mit Begierde bemächtigen und sich sehr überlegen dünken, wenn sie uns mit einer sprachlichen Neuheit verblüffen können. Die eigentlichen Modewörter verschwinden meist, sobald sie den Reiz der Neuheit verloren haben. Ich blicke auf eine lange Reihe von Jahren zurück und habe immer auf sprachliche Dinge geachtet. Wie viele Modewörter habe ich schon entstehen und vergehen sehen! In meiner Jugend kam z. B. das Wort .gottvoll' auf als Ausdruck des Entzückens und der Bewunderung; welche Freude für die Sprachgigerlu! In ähnlichem Sinne waren Fremdwörter hoch¬ beliebt: .Scharmant', .superb', magnifique'; anch .grandios', .pittoresk', .grotesk' hörte man oft; die Genüsse des Gaumens waren immer .delikat'. Ich erinnere mich, daß die „Fliegenden Blätter" in den fünfziger oder sechziger Jahren diese Modetorheit verspotteten in einem Gespräch zweier Damen, die sich bei dem Anblick einer schönen Landschaft in Fremdwörtern überbieten und zuletzt zu den Ausrufen versteigen: „wie arabesk!" „wie analog!" „wie Pädagog!" Dann war alles Große und Schöne mit einem Male .fabelhaft'. Etwa um dieselbe Zeit kam mich .furchtbar' als Ausdruck der Steigerung auf. „Ich freue mich furchtbar". „Er ist so furchtbar nett" war das Zugwort eines beliebten Lustspiels. Allen diesen Ausdrücken erstand ein überlegener Nebenbuhler in .kolossal'. Dieses Wort bürgerte sich so sehr in die deutsche Rede ein, daß ich es sogar in der beinahe unglaublichen Verbindung .kolossal klein' gehört habe. Nach einer verbürgten Anekdote sollen ja die Araber bei den Pyramiden die Deutschen an dem Ausruf „Kolossal!" erkannt haben, der sich unseren Landsleuten beim Anblick dieser Wunderwerke regelmäßig entrang. Heutzutage gibt man sein Entzücken vernünftigerweise in deutscher Sprache kund, die ja an Ausdrücken reich genug ist, und schwärmerische junge Fräulein, denen .wundervoll', .wonnig' u. tgi. zu wenig sagen, flöten: „einfach süß!" In den letzten Jahrzehnten hat die Einführung neuer Wörter stark zugenommen. Die Ursache dieser Erscheinung liegt zum Teil offenbar darin, daß die Technik und die Naturwissenschaften unseren Gesichtskreis fortwährend erweitern. Aber sie liegt auch in dein Drang unserer Zeit nach Neuem, Eigen¬ artigem, das vom Gewöhnlichen und Hergebrachten abweicht. Dieser Zug zeigt sich ja selbst in Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten. Man .reformiert' öfters sogar die Bücher, indem man nnzweckmäßigerweise die Seitenzahlen auf den unteren statt auf deu oberen Rand setzt, die Zwischenräume zwischen den Zeilen mit Schnörkeln ausfüllt u. tgi. Von den rein technischen Ausdrücken sehe ich hier ab. Viele der neuen Wörter sind offenbar reine Modemörter; sie blühen eine Zeitlang, dann welken sie hin. Mehrere dieser Blumen sind in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/231>, abgerufen am 04.07.2024.