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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanische Grubenkatcistrophen

626300 Arbeiter 369 Millionen Tons Kohlen gefördert haben, in England
dagegen 837000 Arbeiter 251 Millionen Tons, so daß also auf den Kopf jedes
Bergmanns in den Vereinigten Staaten 560 geförderte Tons kamen, in Eng¬
land dagegen nur 282. Indessen bieten die letzteren Ziffern eine Entschuldigung
tatsächlich nicht, denn sie sind nicht so sehr auf größeren Fleiß der amerikanischen
Bergarbeiter gegenüber den englischen zurückzuführen, als auf die weit aus¬
gedehntere Verwendung arbeitsparender Maschinen. In England hat man sich
zur Einführung solcher im Kohlenbergbau erst in den letzten Jahren entschlossen
und hat sie nur zögernd übernommen. Noch jetzt arbeitet dort der größte
Teil der Kohlenbergwerke ohne Bohrmaschinen, während diese in Amerika in
viel größerem Umfange eingeführt sind.

Vor allem ist doch aber entscheidend die Verhältniszahl der geförderten
Kohlenmengen zu den tödlichen Unglücksfälle n. Und da ergibt sich für
die Vereinigten Staaten ein sehr ungünstiges Verhältnis. Denn während
auf jede Million Tons geforderter Kohlen in Belgien 4,96 Todesfälle (1906),
in Großbritannien 4,31 (1906) und in Frankreich 4,17 (1905) kamen, stellte
sich die Ziffer für die Vereinigten Staaten im Durchschnitt der Jahre 1901 bis 1906
auf 6,04. Diese Zahl zeigt noch dazu gegenüber früheren Jahren eine Steigerung:
denn 1890 bis 1895 hatte in den Vereinigten Staaten die Zahl der tödlichen
Unglücke auf je 1 Million Tons geforderter Kohlen nnr 5,93 betragen. Diese
Ziffern umfassen noch nicht einmal sämtliche Unglücksfälle in den Vereinigten
Staaten, da es im Belieben der Einzelstaaten steht, die statistischen Fragebogen
der Bundesregierung zu beantworten oder nicht. Tatsächlich werden Antworten
zuweilen nicht gegeben.

Fragen wir nach den Gründen, welche die gehäuften Unglücksfälle in
Nordamerika veranlassen, so wird an erster Stelle das Fehlen einer einheitlichen
und durchgreifenden Bergwerksgesetzgebung zu nennen sein. Jeder einzelne Staat
der Union erläßt dafür die Gesetze, die ihm zweckmäßig erscheinen -- falls er
überhaupt die Gesetzgebungsmaschine dafür in Bewegung setzt. Denn in zahl¬
reichen Staaten ist die Kohlenförderung verhältnismäßig so gering, daß es sich
gar nicht lohnt, dafür besondere Gesetze zu schaffen. Ferner haben die Berg¬
werksbesitzer z. B. im Staate Westvirginia bis vor kurzem den Erlaß vor¬
beugender Gesetze zu verhindern gewußt. Des weiteren fehlen fast überall
Bestimmungen über Menge und Art der Benutzung von Explosivstoffen. Auch
darüber, ob Gas und Kohlenstaub zu Explosionen führen können oder nicht, ist
man unglaublicherweise häufig genug völlig verschiedener Ansicht. Ferner müssen
die Kohlenbergwerke allmählich mehr in die Tiefe gehen, während man sich bis
vor kurzem mit dem Abbau ziemlich nahe der Erdoberfläche begnügen konnte.

Dennoch geht das Urteil der Fachleute dahin, daß noch immer kein
Land der Erde so günstige Bedingungen für den Kohlenabbau
gewähre wie die Vereinigten Staaten. Diese Ansicht wird z. B. auch von
Professor A. Holmes, dem technologischen Sachverständigen der geologische"


Amerikanische Grubenkatcistrophen

626300 Arbeiter 369 Millionen Tons Kohlen gefördert haben, in England
dagegen 837000 Arbeiter 251 Millionen Tons, so daß also auf den Kopf jedes
Bergmanns in den Vereinigten Staaten 560 geförderte Tons kamen, in Eng¬
land dagegen nur 282. Indessen bieten die letzteren Ziffern eine Entschuldigung
tatsächlich nicht, denn sie sind nicht so sehr auf größeren Fleiß der amerikanischen
Bergarbeiter gegenüber den englischen zurückzuführen, als auf die weit aus¬
gedehntere Verwendung arbeitsparender Maschinen. In England hat man sich
zur Einführung solcher im Kohlenbergbau erst in den letzten Jahren entschlossen
und hat sie nur zögernd übernommen. Noch jetzt arbeitet dort der größte
Teil der Kohlenbergwerke ohne Bohrmaschinen, während diese in Amerika in
viel größerem Umfange eingeführt sind.

Vor allem ist doch aber entscheidend die Verhältniszahl der geförderten
Kohlenmengen zu den tödlichen Unglücksfälle n. Und da ergibt sich für
die Vereinigten Staaten ein sehr ungünstiges Verhältnis. Denn während
auf jede Million Tons geforderter Kohlen in Belgien 4,96 Todesfälle (1906),
in Großbritannien 4,31 (1906) und in Frankreich 4,17 (1905) kamen, stellte
sich die Ziffer für die Vereinigten Staaten im Durchschnitt der Jahre 1901 bis 1906
auf 6,04. Diese Zahl zeigt noch dazu gegenüber früheren Jahren eine Steigerung:
denn 1890 bis 1895 hatte in den Vereinigten Staaten die Zahl der tödlichen
Unglücke auf je 1 Million Tons geforderter Kohlen nnr 5,93 betragen. Diese
Ziffern umfassen noch nicht einmal sämtliche Unglücksfälle in den Vereinigten
Staaten, da es im Belieben der Einzelstaaten steht, die statistischen Fragebogen
der Bundesregierung zu beantworten oder nicht. Tatsächlich werden Antworten
zuweilen nicht gegeben.

Fragen wir nach den Gründen, welche die gehäuften Unglücksfälle in
Nordamerika veranlassen, so wird an erster Stelle das Fehlen einer einheitlichen
und durchgreifenden Bergwerksgesetzgebung zu nennen sein. Jeder einzelne Staat
der Union erläßt dafür die Gesetze, die ihm zweckmäßig erscheinen — falls er
überhaupt die Gesetzgebungsmaschine dafür in Bewegung setzt. Denn in zahl¬
reichen Staaten ist die Kohlenförderung verhältnismäßig so gering, daß es sich
gar nicht lohnt, dafür besondere Gesetze zu schaffen. Ferner haben die Berg¬
werksbesitzer z. B. im Staate Westvirginia bis vor kurzem den Erlaß vor¬
beugender Gesetze zu verhindern gewußt. Des weiteren fehlen fast überall
Bestimmungen über Menge und Art der Benutzung von Explosivstoffen. Auch
darüber, ob Gas und Kohlenstaub zu Explosionen führen können oder nicht, ist
man unglaublicherweise häufig genug völlig verschiedener Ansicht. Ferner müssen
die Kohlenbergwerke allmählich mehr in die Tiefe gehen, während man sich bis
vor kurzem mit dem Abbau ziemlich nahe der Erdoberfläche begnügen konnte.

Dennoch geht das Urteil der Fachleute dahin, daß noch immer kein
Land der Erde so günstige Bedingungen für den Kohlenabbau
gewähre wie die Vereinigten Staaten. Diese Ansicht wird z. B. auch von
Professor A. Holmes, dem technologischen Sachverständigen der geologische»


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[0226] Amerikanische Grubenkatcistrophen 626300 Arbeiter 369 Millionen Tons Kohlen gefördert haben, in England dagegen 837000 Arbeiter 251 Millionen Tons, so daß also auf den Kopf jedes Bergmanns in den Vereinigten Staaten 560 geförderte Tons kamen, in Eng¬ land dagegen nur 282. Indessen bieten die letzteren Ziffern eine Entschuldigung tatsächlich nicht, denn sie sind nicht so sehr auf größeren Fleiß der amerikanischen Bergarbeiter gegenüber den englischen zurückzuführen, als auf die weit aus¬ gedehntere Verwendung arbeitsparender Maschinen. In England hat man sich zur Einführung solcher im Kohlenbergbau erst in den letzten Jahren entschlossen und hat sie nur zögernd übernommen. Noch jetzt arbeitet dort der größte Teil der Kohlenbergwerke ohne Bohrmaschinen, während diese in Amerika in viel größerem Umfange eingeführt sind. Vor allem ist doch aber entscheidend die Verhältniszahl der geförderten Kohlenmengen zu den tödlichen Unglücksfälle n. Und da ergibt sich für die Vereinigten Staaten ein sehr ungünstiges Verhältnis. Denn während auf jede Million Tons geforderter Kohlen in Belgien 4,96 Todesfälle (1906), in Großbritannien 4,31 (1906) und in Frankreich 4,17 (1905) kamen, stellte sich die Ziffer für die Vereinigten Staaten im Durchschnitt der Jahre 1901 bis 1906 auf 6,04. Diese Zahl zeigt noch dazu gegenüber früheren Jahren eine Steigerung: denn 1890 bis 1895 hatte in den Vereinigten Staaten die Zahl der tödlichen Unglücke auf je 1 Million Tons geforderter Kohlen nnr 5,93 betragen. Diese Ziffern umfassen noch nicht einmal sämtliche Unglücksfälle in den Vereinigten Staaten, da es im Belieben der Einzelstaaten steht, die statistischen Fragebogen der Bundesregierung zu beantworten oder nicht. Tatsächlich werden Antworten zuweilen nicht gegeben. Fragen wir nach den Gründen, welche die gehäuften Unglücksfälle in Nordamerika veranlassen, so wird an erster Stelle das Fehlen einer einheitlichen und durchgreifenden Bergwerksgesetzgebung zu nennen sein. Jeder einzelne Staat der Union erläßt dafür die Gesetze, die ihm zweckmäßig erscheinen — falls er überhaupt die Gesetzgebungsmaschine dafür in Bewegung setzt. Denn in zahl¬ reichen Staaten ist die Kohlenförderung verhältnismäßig so gering, daß es sich gar nicht lohnt, dafür besondere Gesetze zu schaffen. Ferner haben die Berg¬ werksbesitzer z. B. im Staate Westvirginia bis vor kurzem den Erlaß vor¬ beugender Gesetze zu verhindern gewußt. Des weiteren fehlen fast überall Bestimmungen über Menge und Art der Benutzung von Explosivstoffen. Auch darüber, ob Gas und Kohlenstaub zu Explosionen führen können oder nicht, ist man unglaublicherweise häufig genug völlig verschiedener Ansicht. Ferner müssen die Kohlenbergwerke allmählich mehr in die Tiefe gehen, während man sich bis vor kurzem mit dem Abbau ziemlich nahe der Erdoberfläche begnügen konnte. Dennoch geht das Urteil der Fachleute dahin, daß noch immer kein Land der Erde so günstige Bedingungen für den Kohlenabbau gewähre wie die Vereinigten Staaten. Diese Ansicht wird z. B. auch von Professor A. Holmes, dem technologischen Sachverständigen der geologische»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/226>, abgerufen am 04.07.2024.