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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanische Grubcnkatastrophen

Der größte Prozentsatz der Schlachtopfer der Arbeit in den Vereinigten
Staaten wird vom Kohlenbergbau gefordert. Kürzlich hat die Nachricht, daß
in dein Bergwerk der Samt Paul Coal Company in Cherry in: Staate Illinois
eine Explosion das Leben von fast 400 Bergleuten zerstört habe, allenthalben
in der Welt Schrecken erregt. Man wird dadurch an die schweren amerikanischen
Grubenkatastrophen des Jahres 1907 erinnert, in welchem im Laufe von
2 Dezemberwochen 3 große Grubenkatastrophen in den Bergwerken von Monongah,
Nolcmde und Connelsville zusammen ungefähr 1000 Menschen das Leben kosteten.

Der schrecklichen Beispiele ließe sich gerade aus der Bergwerksgeschichte
der letzten Jahre in Nordamerika eine Menge geben. Fast noch erschreckender
aber stellt sich die Sache dar, wenn die allgemeinen Zahlen auf einen größeren
Zeitraum berechnet werden. Dann ergibt sich, daß im Laufe des letzten
Menschenalters ungefähr 30000 Bergleute in den Vereinigten Staaten
bei Grubenkatastrophen ums Leben gekommen sind: d. h. fast so viel
wie ein ganzes deutsches Armeekorps. Vom Jahre 1898 an ist nicht ein einziges
Jahr zu nennen, in welchem nicht mehr als 1000 Bergleute dabei ums Leben
gekommen wären. Auch in früheren Jahren schon war die Unglücksziffer
zuweilen zur selben Höhe emporgestiegen. Ja in den Jahren von 1905 bis 1907
betrug die Zahl der in den amerikanischen Kohlenbergwerken Getöteten jedesmal
mehr als 2000: 1905 zunächst 2175, 1906 2092 und 1907 endlich die furcht¬
bare Ziffer von 3125.

Nun wird zuweilen, gewissermaßen zur Entschuldigung dieser entsetzlichen
Ziffern, darauf hingewiesen, daß die Vereinigten Staaten ja doch bei weitem
mehr Kohlen förderten als irgendein anderes Land der Welt. Das ist
richtig: sie haben die deutsche Kohlenförderung schon im Jahre 1871 überholt
(nur in den siebziger Jahren ist diese vorübergehend noch größer gewesen) und
sie haben die englische Kohlenproduktion seit dem Jahre 1899 hinter sich gelassen,
seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sie sogar ganz erheblich überholt.
Während der Anteil der Vereinigten Staaten an der Kohlenförderung der Welt
M Jahre 1870 uur erst 14,07 Prozent ausmachte, stieg er im Jahre 1880
auf 20,62 Prozent, 1890 auf 27,99 Prozent, 1900 auf 31,88 Prozent und
1907 sogar auf 39,73 Prozent. Ihr Anteil an der Kohlenproduktiou der
Welt ist also in diesen letzten 27 Jahren fast auf den dreifachen Betrag
gestiegen. Ein Vergleich der Zahlen der Kohlenförderung in den Vereinigten
Staaten selbst zeigt natürlich eine prozentual noch viel stärkere Zunahme: denn
während 1870 erst 33 Millionen Tons gefördert wurden, betrugen die Ziffern
für das Jahr 1890 158 Millionen Tons, 1907 dagegen die kolossale Menge
von 480 Millionen Tons, also etwa 1500 Prozent der Produktion des
wahres 1870.

Gewiß wird diese Zunahme der Produktion auch eine Zunahme der
^nglücksfälle begründen können. Ebenso könnte man zur Entschuldigung Heran¬
gehen, daß (nach den Ziffern für das Jahr 1906) in den Vereinigten Staaten


Amerikanische Grubcnkatastrophen

Der größte Prozentsatz der Schlachtopfer der Arbeit in den Vereinigten
Staaten wird vom Kohlenbergbau gefordert. Kürzlich hat die Nachricht, daß
in dein Bergwerk der Samt Paul Coal Company in Cherry in: Staate Illinois
eine Explosion das Leben von fast 400 Bergleuten zerstört habe, allenthalben
in der Welt Schrecken erregt. Man wird dadurch an die schweren amerikanischen
Grubenkatastrophen des Jahres 1907 erinnert, in welchem im Laufe von
2 Dezemberwochen 3 große Grubenkatastrophen in den Bergwerken von Monongah,
Nolcmde und Connelsville zusammen ungefähr 1000 Menschen das Leben kosteten.

Der schrecklichen Beispiele ließe sich gerade aus der Bergwerksgeschichte
der letzten Jahre in Nordamerika eine Menge geben. Fast noch erschreckender
aber stellt sich die Sache dar, wenn die allgemeinen Zahlen auf einen größeren
Zeitraum berechnet werden. Dann ergibt sich, daß im Laufe des letzten
Menschenalters ungefähr 30000 Bergleute in den Vereinigten Staaten
bei Grubenkatastrophen ums Leben gekommen sind: d. h. fast so viel
wie ein ganzes deutsches Armeekorps. Vom Jahre 1898 an ist nicht ein einziges
Jahr zu nennen, in welchem nicht mehr als 1000 Bergleute dabei ums Leben
gekommen wären. Auch in früheren Jahren schon war die Unglücksziffer
zuweilen zur selben Höhe emporgestiegen. Ja in den Jahren von 1905 bis 1907
betrug die Zahl der in den amerikanischen Kohlenbergwerken Getöteten jedesmal
mehr als 2000: 1905 zunächst 2175, 1906 2092 und 1907 endlich die furcht¬
bare Ziffer von 3125.

Nun wird zuweilen, gewissermaßen zur Entschuldigung dieser entsetzlichen
Ziffern, darauf hingewiesen, daß die Vereinigten Staaten ja doch bei weitem
mehr Kohlen förderten als irgendein anderes Land der Welt. Das ist
richtig: sie haben die deutsche Kohlenförderung schon im Jahre 1871 überholt
(nur in den siebziger Jahren ist diese vorübergehend noch größer gewesen) und
sie haben die englische Kohlenproduktion seit dem Jahre 1899 hinter sich gelassen,
seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sie sogar ganz erheblich überholt.
Während der Anteil der Vereinigten Staaten an der Kohlenförderung der Welt
M Jahre 1870 uur erst 14,07 Prozent ausmachte, stieg er im Jahre 1880
auf 20,62 Prozent, 1890 auf 27,99 Prozent, 1900 auf 31,88 Prozent und
1907 sogar auf 39,73 Prozent. Ihr Anteil an der Kohlenproduktiou der
Welt ist also in diesen letzten 27 Jahren fast auf den dreifachen Betrag
gestiegen. Ein Vergleich der Zahlen der Kohlenförderung in den Vereinigten
Staaten selbst zeigt natürlich eine prozentual noch viel stärkere Zunahme: denn
während 1870 erst 33 Millionen Tons gefördert wurden, betrugen die Ziffern
für das Jahr 1890 158 Millionen Tons, 1907 dagegen die kolossale Menge
von 480 Millionen Tons, also etwa 1500 Prozent der Produktion des
wahres 1870.

Gewiß wird diese Zunahme der Produktion auch eine Zunahme der
^nglücksfälle begründen können. Ebenso könnte man zur Entschuldigung Heran¬
gehen, daß (nach den Ziffern für das Jahr 1906) in den Vereinigten Staaten


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[0225] Amerikanische Grubcnkatastrophen Der größte Prozentsatz der Schlachtopfer der Arbeit in den Vereinigten Staaten wird vom Kohlenbergbau gefordert. Kürzlich hat die Nachricht, daß in dein Bergwerk der Samt Paul Coal Company in Cherry in: Staate Illinois eine Explosion das Leben von fast 400 Bergleuten zerstört habe, allenthalben in der Welt Schrecken erregt. Man wird dadurch an die schweren amerikanischen Grubenkatastrophen des Jahres 1907 erinnert, in welchem im Laufe von 2 Dezemberwochen 3 große Grubenkatastrophen in den Bergwerken von Monongah, Nolcmde und Connelsville zusammen ungefähr 1000 Menschen das Leben kosteten. Der schrecklichen Beispiele ließe sich gerade aus der Bergwerksgeschichte der letzten Jahre in Nordamerika eine Menge geben. Fast noch erschreckender aber stellt sich die Sache dar, wenn die allgemeinen Zahlen auf einen größeren Zeitraum berechnet werden. Dann ergibt sich, daß im Laufe des letzten Menschenalters ungefähr 30000 Bergleute in den Vereinigten Staaten bei Grubenkatastrophen ums Leben gekommen sind: d. h. fast so viel wie ein ganzes deutsches Armeekorps. Vom Jahre 1898 an ist nicht ein einziges Jahr zu nennen, in welchem nicht mehr als 1000 Bergleute dabei ums Leben gekommen wären. Auch in früheren Jahren schon war die Unglücksziffer zuweilen zur selben Höhe emporgestiegen. Ja in den Jahren von 1905 bis 1907 betrug die Zahl der in den amerikanischen Kohlenbergwerken Getöteten jedesmal mehr als 2000: 1905 zunächst 2175, 1906 2092 und 1907 endlich die furcht¬ bare Ziffer von 3125. Nun wird zuweilen, gewissermaßen zur Entschuldigung dieser entsetzlichen Ziffern, darauf hingewiesen, daß die Vereinigten Staaten ja doch bei weitem mehr Kohlen förderten als irgendein anderes Land der Welt. Das ist richtig: sie haben die deutsche Kohlenförderung schon im Jahre 1871 überholt (nur in den siebziger Jahren ist diese vorübergehend noch größer gewesen) und sie haben die englische Kohlenproduktion seit dem Jahre 1899 hinter sich gelassen, seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sie sogar ganz erheblich überholt. Während der Anteil der Vereinigten Staaten an der Kohlenförderung der Welt M Jahre 1870 uur erst 14,07 Prozent ausmachte, stieg er im Jahre 1880 auf 20,62 Prozent, 1890 auf 27,99 Prozent, 1900 auf 31,88 Prozent und 1907 sogar auf 39,73 Prozent. Ihr Anteil an der Kohlenproduktiou der Welt ist also in diesen letzten 27 Jahren fast auf den dreifachen Betrag gestiegen. Ein Vergleich der Zahlen der Kohlenförderung in den Vereinigten Staaten selbst zeigt natürlich eine prozentual noch viel stärkere Zunahme: denn während 1870 erst 33 Millionen Tons gefördert wurden, betrugen die Ziffern für das Jahr 1890 158 Millionen Tons, 1907 dagegen die kolossale Menge von 480 Millionen Tons, also etwa 1500 Prozent der Produktion des wahres 1870. Gewiß wird diese Zunahme der Produktion auch eine Zunahme der ^nglücksfälle begründen können. Ebenso könnte man zur Entschuldigung Heran¬ gehen, daß (nach den Ziffern für das Jahr 1906) in den Vereinigten Staaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/225>, abgerufen am 04.07.2024.