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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Jasmin

Flammen auf die Welt fiel und die bedanken Anemonen wie lustige Rubinen aus
den Wiesen funkelten. Und dann kam der Abend' da traten zum ersten und
einzigen Male der Tod und das heiße Leben vereint in meine Seele. Und das
ist zum Nimmermehrvergessen, glaubt's nur, wenn das geschah.

Mein Vater hatte sich immer den Sonntagabend gerade als etwas
besonders Feiertägliches mit mir gerichtet; ich war ja sein einziges Kind. Ernst
und streng gingen die Wochentage hin; er hatte jahrzehntelang dasselbe Amt
gehabt wie ich. Und das erschien ihm wie etwas Festes, Heiliges, darin man
den, der's übt, mit keinem Wort oder Wunsch unterbrechen dürfte. Aber die
Sonntage, außer dem dienstlichen Frühgang, an denen gehörte ich ihm.

Ich hatte ihn auch nie fühlen lassen, daß das eigentlich ein Zwang war
und etwas selbstsüchtig; es war ja doch so viel arme, schützende Liebe darin . . ,
Und weil ich von je ein einsames Wesen hatte und keine lauten Lustbarkeiten mit
Kameraden liebte und auch nicht zu lustigen Dingen wie Tanz und Musik und
leichten Liebeständelcien mit Weibern neigte, mochte ich's gern, daß der Vater an
solchen Abenden gute und sinnreiche Bücher bereit hielt, aus denen ich ihm las,
wie ich's schon als Knabe getan.

Das hat mich vor vielem bewahrt, daß mein Vater mich an den Sonntagen
mit einer milden und selbstverständlichen Art gleichsam in die alte, unschuldige
Kinderzeit zurückgeführt hat. Mir war's auch, als säße daun die tote Mutter
zwischen uns -- und die enge Stube, in der die alle Uhr, schläfrig wie ein Wiegen¬
lied, summte, und mein Vater hin und wieder zwischen die guten Worie der Bücher
seine stille Lebensweisheit einflocht, als wär's Sonnenlicht, das die Dinge erst
klar und durchsichtig macht, seht Ihr, die enge Stube ist mir immer bis dahin
des Glückes genug gewesen.

Aber das war nun ganz anders, und mein Herz war mit seinen Gedanken,
wie ein Strom im Lenz, hinausgewachsen über seine Ufer.

Mein Vater hat mich mit einem seltsamen tiefen Blick angesehen selbigen
Abend, denn er merkte wohl, daß nur meine Lippen redeten und daß mein Herz
weit, weit ab war von ihm und dem Stüblein und dem, was ich tat. "Erhard,"
sagte er, "du hast fremde Gedanken. Was hegst du Heimliches?"

Ich bin, ganz gegen meine Art, rasch aufgestanden, weil ich ihm die Röte
verbergen wollte, die mir lobend in die Stirn trat.

"Ich hab' in den letzten Wochen besonders harten Dienst gehabt und auch
einiges Zuwidere; mir ist auch nicht gut, Vater," redete ich hastig, als ob eine
Krankheit in mir lauerte. "Ich muß noch in die kühle Luft, denn mir brennt
ein Fieber im Kopf. So denn, lebt wohl für heut abend." Und damit wandte
ich mich und eilte hinaus, denn ich fürchtete, daß mein Vater mich mit sorglichen
Worten zurückhalten könne.

Von den Türmen des Städtchens hatte es längst zehn geschlagen, und mein
Weg in die Herbstnacht hin war noch lang, und der Sterne brannten wenige
droben als Leuchte in die Dunkelheit hin.
'

Mir aber wars, als ob ich in das tiefere Dunkel eines großen Schicksals ginge...

Es war eine herbe und reine Luft, und vou den Wäldern strich ein würziger
Wind her, und der absonderliche Geruch atmete aus den Feldern auf, den der
gelockerte Boden hat, aus dem man eben die reifen Erdfrüchte mit ihren Wurzeln
gehoben hat.

Also erschien mir das Land reich und zugleich dunkel, wie die Stunde vor
mir, als lägen da Schätze, zu deuen aber die Türen verriegelt seien, so daß ich
niemals von ihrer Fülle Teil gewinnen könnte . . .


Jasmin

Flammen auf die Welt fiel und die bedanken Anemonen wie lustige Rubinen aus
den Wiesen funkelten. Und dann kam der Abend' da traten zum ersten und
einzigen Male der Tod und das heiße Leben vereint in meine Seele. Und das
ist zum Nimmermehrvergessen, glaubt's nur, wenn das geschah.

Mein Vater hatte sich immer den Sonntagabend gerade als etwas
besonders Feiertägliches mit mir gerichtet; ich war ja sein einziges Kind. Ernst
und streng gingen die Wochentage hin; er hatte jahrzehntelang dasselbe Amt
gehabt wie ich. Und das erschien ihm wie etwas Festes, Heiliges, darin man
den, der's übt, mit keinem Wort oder Wunsch unterbrechen dürfte. Aber die
Sonntage, außer dem dienstlichen Frühgang, an denen gehörte ich ihm.

Ich hatte ihn auch nie fühlen lassen, daß das eigentlich ein Zwang war
und etwas selbstsüchtig; es war ja doch so viel arme, schützende Liebe darin . . ,
Und weil ich von je ein einsames Wesen hatte und keine lauten Lustbarkeiten mit
Kameraden liebte und auch nicht zu lustigen Dingen wie Tanz und Musik und
leichten Liebeständelcien mit Weibern neigte, mochte ich's gern, daß der Vater an
solchen Abenden gute und sinnreiche Bücher bereit hielt, aus denen ich ihm las,
wie ich's schon als Knabe getan.

Das hat mich vor vielem bewahrt, daß mein Vater mich an den Sonntagen
mit einer milden und selbstverständlichen Art gleichsam in die alte, unschuldige
Kinderzeit zurückgeführt hat. Mir war's auch, als säße daun die tote Mutter
zwischen uns — und die enge Stube, in der die alle Uhr, schläfrig wie ein Wiegen¬
lied, summte, und mein Vater hin und wieder zwischen die guten Worie der Bücher
seine stille Lebensweisheit einflocht, als wär's Sonnenlicht, das die Dinge erst
klar und durchsichtig macht, seht Ihr, die enge Stube ist mir immer bis dahin
des Glückes genug gewesen.

Aber das war nun ganz anders, und mein Herz war mit seinen Gedanken,
wie ein Strom im Lenz, hinausgewachsen über seine Ufer.

Mein Vater hat mich mit einem seltsamen tiefen Blick angesehen selbigen
Abend, denn er merkte wohl, daß nur meine Lippen redeten und daß mein Herz
weit, weit ab war von ihm und dem Stüblein und dem, was ich tat. „Erhard,"
sagte er, „du hast fremde Gedanken. Was hegst du Heimliches?"

Ich bin, ganz gegen meine Art, rasch aufgestanden, weil ich ihm die Röte
verbergen wollte, die mir lobend in die Stirn trat.

„Ich hab' in den letzten Wochen besonders harten Dienst gehabt und auch
einiges Zuwidere; mir ist auch nicht gut, Vater," redete ich hastig, als ob eine
Krankheit in mir lauerte. „Ich muß noch in die kühle Luft, denn mir brennt
ein Fieber im Kopf. So denn, lebt wohl für heut abend." Und damit wandte
ich mich und eilte hinaus, denn ich fürchtete, daß mein Vater mich mit sorglichen
Worten zurückhalten könne.

Von den Türmen des Städtchens hatte es längst zehn geschlagen, und mein
Weg in die Herbstnacht hin war noch lang, und der Sterne brannten wenige
droben als Leuchte in die Dunkelheit hin.
'

Mir aber wars, als ob ich in das tiefere Dunkel eines großen Schicksals ginge...

Es war eine herbe und reine Luft, und vou den Wäldern strich ein würziger
Wind her, und der absonderliche Geruch atmete aus den Feldern auf, den der
gelockerte Boden hat, aus dem man eben die reifen Erdfrüchte mit ihren Wurzeln
gehoben hat.

Also erschien mir das Land reich und zugleich dunkel, wie die Stunde vor
mir, als lägen da Schätze, zu deuen aber die Türen verriegelt seien, so daß ich
niemals von ihrer Fülle Teil gewinnen könnte . . .


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/194>, abgerufen am 22.12.2024.