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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

Aus jedem Zeitungsblatt, das man in die Hand nimmt, springen einem
diese Vorwürfe entgegen und keine Verwaltung entgeht ihnen; gegen die Reichs¬
behörden und die Staatsbehörden wird er ebenso erhoben wie gegen die
Gemeindebehörden, Der böse Bureaukratismus soll alles, was Verwaltung
heißt, überwuchern und jedes frische Leben rettungslos ersticken. Alles, was
man gegen die Verwaltung auf dem Herzen hat, wird in deu Vorwurf des
Vureaukratismus zusammengefaßt.

Da ist es denn uicht verwunderlich, daß auch unsre Kritiker den
Bureaukratismus als einen der größten Mißstände unsrer Verwaltung bezeichnen,
besonders kräftig Freiherr von Zedlitz und Lotz. Dieser behauptet z. B., daß
die Verwaltung der innern Angelegenheiten, wie die der äußern Schulcmgelegen-
heiten in der Bezirksinstanz durchaus im Zeichen des vollendeten Bureaukratismus
stehe. Bezeichnend dafür ist ihm der sogenannte Zeitungsbericht, das ist der
regelmäßige vierteljährige Jmmediatbericht der Regierungspräsidenten an den
König über die Vorkommnisse im Regierungsbezirk. Ferner nennt er es einen
schwer empfundenen Ausfluß des Vureaukratismus, daß auf dem Gebiet der
Stadtverwaltung die staatliche Oberaufsicht vielfach fast zur Oberleitung geworden
sei, die selbst bis in die Einzelheiten des innern Dienstes eingreife, während
umgekehrt die Aufsicht der Oberpräsidenten über die Proviuzialverbände und
ihre Verwaltung ziemlich oberflächlich sei. An andrer Stelle behauptet er kurz,
daß alles, was der Sprachgebrauch mit dein Begriff Bureankratismus verbinde,
heute die Verwaltung beherrsche.

Ja, welche Bedeutung verbinden denn nun die Tausende, die über den
Bureaukratismus schnupfen, mit diesem Wort? Ich behaupte, daß die aller¬
wenigsten, die das Wort im Munde führen, seine Bedeutung kennen und wissen,
was sie damit sagen, wobei ich von der ursprünglichen rein technischen
Bedeutung dieser Bezeichnung überhaupt absehe.

In meinem ersten Artikel (Heft 4 S. 208 Anm.) habe ich als die wesent¬
lichen Merkmale des Bureaukratismus in der landläufigen Bedeutung des
Wortes genannt: Mangel an dein nötigen Fachwissen, Neigung zu einer rein
formalistischen Auffassung der Geschäfte, Geringschätzung und Nichtbeachtung
des praktischen Lebens und seiner Forderungen und schließlich Mangel an
Initiative, an schöpferischer Tatkraft. Ich hätte noch anführen können eine
übertriebene Auffassung von der Bedeutung des Beamtentums, wobei man
vergißt, daß dieses nicht Selbstzweck sein darf, sondern den Zweck seines Daseins
im Dienste für die Allgemeinheit zu suchen hat. Diese Eigenschaften sind die
Quelle alles dessen, was mau mit Recht als Bureaukratismus oder als dessen
Allsfluß bezeichnen kann, also etwa übertriebene Genauigkeit und Umständlichkeit
bei der Erledigung oft der kleinsten und unwichtigsten Dinge, lebensfremde,
unpraktische Entscheidungen, hochnäsige, selbstüberhebende Zurückweisung jeder
^nit, selbst von den Nächstbeteiligten und ähnliches. Namentlich ist auch
Mangel an Wisse" eine wichtige, in ihrer Tragweite nicht immer erkannte oder


Grenzboten I 1910 21
Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

Aus jedem Zeitungsblatt, das man in die Hand nimmt, springen einem
diese Vorwürfe entgegen und keine Verwaltung entgeht ihnen; gegen die Reichs¬
behörden und die Staatsbehörden wird er ebenso erhoben wie gegen die
Gemeindebehörden, Der böse Bureaukratismus soll alles, was Verwaltung
heißt, überwuchern und jedes frische Leben rettungslos ersticken. Alles, was
man gegen die Verwaltung auf dem Herzen hat, wird in deu Vorwurf des
Vureaukratismus zusammengefaßt.

Da ist es denn uicht verwunderlich, daß auch unsre Kritiker den
Bureaukratismus als einen der größten Mißstände unsrer Verwaltung bezeichnen,
besonders kräftig Freiherr von Zedlitz und Lotz. Dieser behauptet z. B., daß
die Verwaltung der innern Angelegenheiten, wie die der äußern Schulcmgelegen-
heiten in der Bezirksinstanz durchaus im Zeichen des vollendeten Bureaukratismus
stehe. Bezeichnend dafür ist ihm der sogenannte Zeitungsbericht, das ist der
regelmäßige vierteljährige Jmmediatbericht der Regierungspräsidenten an den
König über die Vorkommnisse im Regierungsbezirk. Ferner nennt er es einen
schwer empfundenen Ausfluß des Vureaukratismus, daß auf dem Gebiet der
Stadtverwaltung die staatliche Oberaufsicht vielfach fast zur Oberleitung geworden
sei, die selbst bis in die Einzelheiten des innern Dienstes eingreife, während
umgekehrt die Aufsicht der Oberpräsidenten über die Proviuzialverbände und
ihre Verwaltung ziemlich oberflächlich sei. An andrer Stelle behauptet er kurz,
daß alles, was der Sprachgebrauch mit dein Begriff Bureankratismus verbinde,
heute die Verwaltung beherrsche.

Ja, welche Bedeutung verbinden denn nun die Tausende, die über den
Bureaukratismus schnupfen, mit diesem Wort? Ich behaupte, daß die aller¬
wenigsten, die das Wort im Munde führen, seine Bedeutung kennen und wissen,
was sie damit sagen, wobei ich von der ursprünglichen rein technischen
Bedeutung dieser Bezeichnung überhaupt absehe.

In meinem ersten Artikel (Heft 4 S. 208 Anm.) habe ich als die wesent¬
lichen Merkmale des Bureaukratismus in der landläufigen Bedeutung des
Wortes genannt: Mangel an dein nötigen Fachwissen, Neigung zu einer rein
formalistischen Auffassung der Geschäfte, Geringschätzung und Nichtbeachtung
des praktischen Lebens und seiner Forderungen und schließlich Mangel an
Initiative, an schöpferischer Tatkraft. Ich hätte noch anführen können eine
übertriebene Auffassung von der Bedeutung des Beamtentums, wobei man
vergißt, daß dieses nicht Selbstzweck sein darf, sondern den Zweck seines Daseins
im Dienste für die Allgemeinheit zu suchen hat. Diese Eigenschaften sind die
Quelle alles dessen, was mau mit Recht als Bureaukratismus oder als dessen
Allsfluß bezeichnen kann, also etwa übertriebene Genauigkeit und Umständlichkeit
bei der Erledigung oft der kleinsten und unwichtigsten Dinge, lebensfremde,
unpraktische Entscheidungen, hochnäsige, selbstüberhebende Zurückweisung jeder
^nit, selbst von den Nächstbeteiligten und ähnliches. Namentlich ist auch
Mangel an Wisse» eine wichtige, in ihrer Tragweite nicht immer erkannte oder


Grenzboten I 1910 21
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[0173] Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung Aus jedem Zeitungsblatt, das man in die Hand nimmt, springen einem diese Vorwürfe entgegen und keine Verwaltung entgeht ihnen; gegen die Reichs¬ behörden und die Staatsbehörden wird er ebenso erhoben wie gegen die Gemeindebehörden, Der böse Bureaukratismus soll alles, was Verwaltung heißt, überwuchern und jedes frische Leben rettungslos ersticken. Alles, was man gegen die Verwaltung auf dem Herzen hat, wird in deu Vorwurf des Vureaukratismus zusammengefaßt. Da ist es denn uicht verwunderlich, daß auch unsre Kritiker den Bureaukratismus als einen der größten Mißstände unsrer Verwaltung bezeichnen, besonders kräftig Freiherr von Zedlitz und Lotz. Dieser behauptet z. B., daß die Verwaltung der innern Angelegenheiten, wie die der äußern Schulcmgelegen- heiten in der Bezirksinstanz durchaus im Zeichen des vollendeten Bureaukratismus stehe. Bezeichnend dafür ist ihm der sogenannte Zeitungsbericht, das ist der regelmäßige vierteljährige Jmmediatbericht der Regierungspräsidenten an den König über die Vorkommnisse im Regierungsbezirk. Ferner nennt er es einen schwer empfundenen Ausfluß des Vureaukratismus, daß auf dem Gebiet der Stadtverwaltung die staatliche Oberaufsicht vielfach fast zur Oberleitung geworden sei, die selbst bis in die Einzelheiten des innern Dienstes eingreife, während umgekehrt die Aufsicht der Oberpräsidenten über die Proviuzialverbände und ihre Verwaltung ziemlich oberflächlich sei. An andrer Stelle behauptet er kurz, daß alles, was der Sprachgebrauch mit dein Begriff Bureankratismus verbinde, heute die Verwaltung beherrsche. Ja, welche Bedeutung verbinden denn nun die Tausende, die über den Bureaukratismus schnupfen, mit diesem Wort? Ich behaupte, daß die aller¬ wenigsten, die das Wort im Munde führen, seine Bedeutung kennen und wissen, was sie damit sagen, wobei ich von der ursprünglichen rein technischen Bedeutung dieser Bezeichnung überhaupt absehe. In meinem ersten Artikel (Heft 4 S. 208 Anm.) habe ich als die wesent¬ lichen Merkmale des Bureaukratismus in der landläufigen Bedeutung des Wortes genannt: Mangel an dein nötigen Fachwissen, Neigung zu einer rein formalistischen Auffassung der Geschäfte, Geringschätzung und Nichtbeachtung des praktischen Lebens und seiner Forderungen und schließlich Mangel an Initiative, an schöpferischer Tatkraft. Ich hätte noch anführen können eine übertriebene Auffassung von der Bedeutung des Beamtentums, wobei man vergißt, daß dieses nicht Selbstzweck sein darf, sondern den Zweck seines Daseins im Dienste für die Allgemeinheit zu suchen hat. Diese Eigenschaften sind die Quelle alles dessen, was mau mit Recht als Bureaukratismus oder als dessen Allsfluß bezeichnen kann, also etwa übertriebene Genauigkeit und Umständlichkeit bei der Erledigung oft der kleinsten und unwichtigsten Dinge, lebensfremde, unpraktische Entscheidungen, hochnäsige, selbstüberhebende Zurückweisung jeder ^nit, selbst von den Nächstbeteiligten und ähnliches. Namentlich ist auch Mangel an Wisse» eine wichtige, in ihrer Tragweite nicht immer erkannte oder Grenzboten I 1910 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/173>, abgerufen am 22.12.2024.