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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

wir arbeiten alle jetzt nur noch für das große Ganze. Demnach müßte jetzt
auch überall unter den Behörden und ihren Angehörigen Frieden und Ein¬
tracht herrschen. Da also sachliche Gründe nicht vorliegen, so können diese
unerfreulichen und in jeder Hinsicht außerordentlich schädlichen Erscheinungen
nur anf persönliche Gründe zurückgeführt werden. Solche sind denn anch
allein schuld. Wir werden sehen welche.

Beschleunige wird diese Zerreißung der Einheit durch eine äußere Entwicklung
der neuern Zeit. Überall haben sich neuerdings die Vertreter bestimmter geistiger
oder wirtschaftlicher oder politischer Bestrebungen zusammengeschlossen, weil sie
erkannt haben, daß sie vereinzelt ihre Ziele nicht oder nur unvollkommen und
jedenfalls schwerer erreichen können. Daneben haben sich manche Vereinigungen
gebildet zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke auf Gebieten, die recht eigentlich
zum Aufgabenkreis der Staatsverwaltung gehören. Der Staat hat diese
Entwicklung selbst gefördert, indem er namentlich für die Angehörigen der drei
großen Erwerbsklassen des Handels und der Industrie, der Landwirtschaft und
des Handwerks Berufsvertretungen mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung geschaffen
hat. Grundsätzlich wird man sich grade vom Verwaltungsstandpunkt aus über
diese Bewegung und ihre Ergebnisse nur freuen können. Die Verwaltung wird
ihre Aufgabe, die auseinander gehenden Bestrebungen der einzelnen Gesellschafts¬
klassen zum Wohle des Staatsganzen auszugleichen, nur dann erfüllen können,
wenn sie diese Bestrebungen, ihre Grundlagen und Ziele, genau kennt, und sie
wird sich diese Kenntnisse am leichtesten und besten von berufenen Vertretern
der einzelnen Kreise selbst verschaffen können. Anderseits ist auch die hervor¬
ragendste Verwaltung für eine gedeihliche Wirksamkeit auf allen Gebieten fort¬
gesetzt ans Mitarbeit und Unterstützung ans dem Volk heraus angewiesen.
Aber in beiden Richtungen müssen gewisse Grenzen eingehalten werden. Solche
Vereinigungen dürfen weder einen bestimmenden Einfluß auf die Staats¬
behörden erwerben, noch an deren Stelle treten und ihnen Abbruch tun oder endlich
gar Staaten im Staate bilden. Sonst wird die Einheit der Staatsverwaltung
und des Staats zerstört. Wie mir scheint, ist diese Gefahr bereits praktisch
geworden. Besonders bedauerlich ist, daß sich derartige Verewigungen gelegent¬
lich nicht ganz frei von partikularistischen Neigungen und Strömungen gehalten
haben. Es liegt auf der Hand, daß eine solche unerwünschte Entwicklung
uur auf persönliche Gründe zurückgehen kann; man hat es an den ma߬
gebenden Stellen uicht verstände", diese Vereinigungen in den durch das
Staatswohl gebotenen Schranken zu halten. --

Der Vorwurf, der am häufigsten und in den weitesten Kreisen gegen die
Nerwältllilgsbehörden und ihre Tätigkeit erhoben wird, ist der des Bureaukratisluus
oder der Herrschaft der Bureaukraten oder des grünen Tisches oder, was neuerdings
Mode geworden ist, des Assessorismus. Nahe verwandt mit Bureaukratismus, so
daß sie mit ihm zusammen behandelt werden können, sind: Vielschreiberei, Akten¬
regiment, Formalismus, Formelkram, Überfülle der Förnckichkeiten, Schematismus.


Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

wir arbeiten alle jetzt nur noch für das große Ganze. Demnach müßte jetzt
auch überall unter den Behörden und ihren Angehörigen Frieden und Ein¬
tracht herrschen. Da also sachliche Gründe nicht vorliegen, so können diese
unerfreulichen und in jeder Hinsicht außerordentlich schädlichen Erscheinungen
nur anf persönliche Gründe zurückgeführt werden. Solche sind denn anch
allein schuld. Wir werden sehen welche.

Beschleunige wird diese Zerreißung der Einheit durch eine äußere Entwicklung
der neuern Zeit. Überall haben sich neuerdings die Vertreter bestimmter geistiger
oder wirtschaftlicher oder politischer Bestrebungen zusammengeschlossen, weil sie
erkannt haben, daß sie vereinzelt ihre Ziele nicht oder nur unvollkommen und
jedenfalls schwerer erreichen können. Daneben haben sich manche Vereinigungen
gebildet zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke auf Gebieten, die recht eigentlich
zum Aufgabenkreis der Staatsverwaltung gehören. Der Staat hat diese
Entwicklung selbst gefördert, indem er namentlich für die Angehörigen der drei
großen Erwerbsklassen des Handels und der Industrie, der Landwirtschaft und
des Handwerks Berufsvertretungen mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung geschaffen
hat. Grundsätzlich wird man sich grade vom Verwaltungsstandpunkt aus über
diese Bewegung und ihre Ergebnisse nur freuen können. Die Verwaltung wird
ihre Aufgabe, die auseinander gehenden Bestrebungen der einzelnen Gesellschafts¬
klassen zum Wohle des Staatsganzen auszugleichen, nur dann erfüllen können,
wenn sie diese Bestrebungen, ihre Grundlagen und Ziele, genau kennt, und sie
wird sich diese Kenntnisse am leichtesten und besten von berufenen Vertretern
der einzelnen Kreise selbst verschaffen können. Anderseits ist auch die hervor¬
ragendste Verwaltung für eine gedeihliche Wirksamkeit auf allen Gebieten fort¬
gesetzt ans Mitarbeit und Unterstützung ans dem Volk heraus angewiesen.
Aber in beiden Richtungen müssen gewisse Grenzen eingehalten werden. Solche
Vereinigungen dürfen weder einen bestimmenden Einfluß auf die Staats¬
behörden erwerben, noch an deren Stelle treten und ihnen Abbruch tun oder endlich
gar Staaten im Staate bilden. Sonst wird die Einheit der Staatsverwaltung
und des Staats zerstört. Wie mir scheint, ist diese Gefahr bereits praktisch
geworden. Besonders bedauerlich ist, daß sich derartige Verewigungen gelegent¬
lich nicht ganz frei von partikularistischen Neigungen und Strömungen gehalten
haben. Es liegt auf der Hand, daß eine solche unerwünschte Entwicklung
uur auf persönliche Gründe zurückgehen kann; man hat es an den ma߬
gebenden Stellen uicht verstände», diese Vereinigungen in den durch das
Staatswohl gebotenen Schranken zu halten. —

Der Vorwurf, der am häufigsten und in den weitesten Kreisen gegen die
Nerwältllilgsbehörden und ihre Tätigkeit erhoben wird, ist der des Bureaukratisluus
oder der Herrschaft der Bureaukraten oder des grünen Tisches oder, was neuerdings
Mode geworden ist, des Assessorismus. Nahe verwandt mit Bureaukratismus, so
daß sie mit ihm zusammen behandelt werden können, sind: Vielschreiberei, Akten¬
regiment, Formalismus, Formelkram, Überfülle der Förnckichkeiten, Schematismus.


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[0172] Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung wir arbeiten alle jetzt nur noch für das große Ganze. Demnach müßte jetzt auch überall unter den Behörden und ihren Angehörigen Frieden und Ein¬ tracht herrschen. Da also sachliche Gründe nicht vorliegen, so können diese unerfreulichen und in jeder Hinsicht außerordentlich schädlichen Erscheinungen nur anf persönliche Gründe zurückgeführt werden. Solche sind denn anch allein schuld. Wir werden sehen welche. Beschleunige wird diese Zerreißung der Einheit durch eine äußere Entwicklung der neuern Zeit. Überall haben sich neuerdings die Vertreter bestimmter geistiger oder wirtschaftlicher oder politischer Bestrebungen zusammengeschlossen, weil sie erkannt haben, daß sie vereinzelt ihre Ziele nicht oder nur unvollkommen und jedenfalls schwerer erreichen können. Daneben haben sich manche Vereinigungen gebildet zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke auf Gebieten, die recht eigentlich zum Aufgabenkreis der Staatsverwaltung gehören. Der Staat hat diese Entwicklung selbst gefördert, indem er namentlich für die Angehörigen der drei großen Erwerbsklassen des Handels und der Industrie, der Landwirtschaft und des Handwerks Berufsvertretungen mit öffentlich-rechtlicher Bedeutung geschaffen hat. Grundsätzlich wird man sich grade vom Verwaltungsstandpunkt aus über diese Bewegung und ihre Ergebnisse nur freuen können. Die Verwaltung wird ihre Aufgabe, die auseinander gehenden Bestrebungen der einzelnen Gesellschafts¬ klassen zum Wohle des Staatsganzen auszugleichen, nur dann erfüllen können, wenn sie diese Bestrebungen, ihre Grundlagen und Ziele, genau kennt, und sie wird sich diese Kenntnisse am leichtesten und besten von berufenen Vertretern der einzelnen Kreise selbst verschaffen können. Anderseits ist auch die hervor¬ ragendste Verwaltung für eine gedeihliche Wirksamkeit auf allen Gebieten fort¬ gesetzt ans Mitarbeit und Unterstützung ans dem Volk heraus angewiesen. Aber in beiden Richtungen müssen gewisse Grenzen eingehalten werden. Solche Vereinigungen dürfen weder einen bestimmenden Einfluß auf die Staats¬ behörden erwerben, noch an deren Stelle treten und ihnen Abbruch tun oder endlich gar Staaten im Staate bilden. Sonst wird die Einheit der Staatsverwaltung und des Staats zerstört. Wie mir scheint, ist diese Gefahr bereits praktisch geworden. Besonders bedauerlich ist, daß sich derartige Verewigungen gelegent¬ lich nicht ganz frei von partikularistischen Neigungen und Strömungen gehalten haben. Es liegt auf der Hand, daß eine solche unerwünschte Entwicklung uur auf persönliche Gründe zurückgehen kann; man hat es an den ma߬ gebenden Stellen uicht verstände», diese Vereinigungen in den durch das Staatswohl gebotenen Schranken zu halten. — Der Vorwurf, der am häufigsten und in den weitesten Kreisen gegen die Nerwältllilgsbehörden und ihre Tätigkeit erhoben wird, ist der des Bureaukratisluus oder der Herrschaft der Bureaukraten oder des grünen Tisches oder, was neuerdings Mode geworden ist, des Assessorismus. Nahe verwandt mit Bureaukratismus, so daß sie mit ihm zusammen behandelt werden können, sind: Vielschreiberei, Akten¬ regiment, Formalismus, Formelkram, Überfülle der Förnckichkeiten, Schematismus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/172>, abgerufen am 04.07.2024.