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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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In Molmerschwendc und Schielo

Innenseite ihrer Schürze den von mir in Beschlag genommnen Ecktisch am
Fenster säuberte, nach meinem Begehr und verschwand. In Erwartung des Essens
breitete ich abermals die Landkarte aus, um mich über meine weitere Marsch¬
linie zu unterrichten. Ein ältlicher Mann trat ein, in verstaubter, fadenscheiniger
Kleidung, kümmerlicher Haltung, und ließ sich in einer entfernten Ecke ermüdet
auf einen Stuhl nieder. Es schien ein verbummelter Gewerbtreibender zu sein,
wo nicht ein Landstreicher "der Tagedieb. Das Essen kam; Spiegeleier, Butter,
Brot, Käse und Milch erwiesen sich als von ausgezeichneter Güte, und ich ließ es
mir schmecken, indessen mein Mitgast sich bedächtig an einem Glase Bier stärkte
und dazu eine trockne Semmel verzehrte, die er mühsam aus der Tiefe seiner
Rocktasche hervorgeholt hatte. Nach der Mahlzeit zündete ich mir eine Zigarre an,
wagte sogar, ermutigt durch die Vortrefflichkeit des bisher Genoßnen, eine Tasse
Kaffee und vertiefte mich, während der Alte in der Ecke ein Schläfchen zu halten
schien, in die Lektüre von Meyers Reisebuch. Aber auch mich wollte der Schlaf
übermannen; mechanisch zog ich meine Uhr hervor, sie zeigte auf Drei -- lautlose
Stille herrschte, selbst die Musik der Fliegen schien jm Zauber dieser müden
Stunde für kurze Zeit zu ersterben.

Und mitten in dieser dumpfen Pansstille wendet sich der bisher so stumme
Gast zu mir herüber mit der Frage: Lieber Herr, Sie haben da ja wohl eine
Karte und einen Führer? stehn da, vielleicht auch Sagen in? -- Die Zartheit
und kindliche Bescheidenheit, mit der diese Worte gesprochen wurden, standen in
einem so schroffen Gegensatz zu dem unerfreulichen, man hätte fast sagen können:
ruppiger Äußern des Sprechenden, daß der Mann mich sofort mit großem Interesse
für sich erfüllte. Ich reichte ihm den Reiseführer hin mit dem Bemerken, daß die
Harzsagen in ihm zwar berücksichtigt seien, jedoch kaum in dem Umfange, wie er
es wünschen möchte. Dankbar nahm er das Buch zur Hand und blätterte darin.
Eins war mir nunmehr klar: einen Landstreicher, einen Vagabunden hatte ich nicht
por mir. Sollte es vielleicht ein durch widrige Schicksale herabgekommener Schul¬
meister sein? Was aber mochte ihn nach dem wellverlassenen Molmerschwendc
führen? Daß er nicht aus dieser Gegend stammte, hatte mir das erste Wort von
ihm verraten; seine Aussprache des s und se deutete unverkennbar nach Norden,
nach Schleswig-Holstein, ja es war mir vorgekommen, als ob nicht Deutsch,
sondern Dänisch seine Muttersprache sein möchte. Und ich hatte mich nicht geirrt.
Der Alte schien Zutrauen zu fassen, er zog einige zerknitterte Schriftstücke hervor
und erzählte, indem er eines nach dem andern mir vorlegte: er heiße Jens Petersen
und stamme aus Tondern in Schleswig; jahrelang habe er an dänischen Volksschulen
und Ackerbauinstituten als Lehrer gewirkt, habe in Geschichte und Erdkunde, besonders
aber in dänischer Literatur unterrichtet und sei jetzt auf der Reise zu einer seiner
Töchter begriffen, die in der Provinz Sachsen lebe (der Name des Ortes ist mir
entfallen). Nun eben habe er leider in Hnlberstadt längere Zeit schwer krank gelegen.
All dies berichtete der Mann so schlicht, so unaufdringlich und bescheiden, daß ich
mit wahrer Hochachtung gegen ihn erfüllt wurde.

Was in aller Welt aber, fragte ich, führt Sie hierher nach Molmerschwendc,
so abseits vom Weg? -- O lieber Herr, gab er zur Antwort, das fragen Sie?
ich habe Sie wohl beobachtet, Sie sind ja auch nur hierher gekommen, um Bürgers
Geburtshaus zu sehen. Bürger, was ist das sür ein Dichter! Ich weiß, ich weiß,
daß Schiller ihn gescholten hat; aber hören Sie doch, wie unübertrefflich ist das
und zu meinem größten Erstaunen begann er sofort Bürgers Ballade "Die Kuh"
zu deklamieren; nein, er deklamierte sie nicht, er lebte sie durch. Unvergeßlich
bleibt mir die Natürlichkeit und die Kraft des Ausdrucks in seinem Vortrag, be¬
sonders an der Stelle, wo die arme Frau Magdalis im Morgengrauen zum


In Molmerschwendc und Schielo

Innenseite ihrer Schürze den von mir in Beschlag genommnen Ecktisch am
Fenster säuberte, nach meinem Begehr und verschwand. In Erwartung des Essens
breitete ich abermals die Landkarte aus, um mich über meine weitere Marsch¬
linie zu unterrichten. Ein ältlicher Mann trat ein, in verstaubter, fadenscheiniger
Kleidung, kümmerlicher Haltung, und ließ sich in einer entfernten Ecke ermüdet
auf einen Stuhl nieder. Es schien ein verbummelter Gewerbtreibender zu sein,
wo nicht ein Landstreicher »der Tagedieb. Das Essen kam; Spiegeleier, Butter,
Brot, Käse und Milch erwiesen sich als von ausgezeichneter Güte, und ich ließ es
mir schmecken, indessen mein Mitgast sich bedächtig an einem Glase Bier stärkte
und dazu eine trockne Semmel verzehrte, die er mühsam aus der Tiefe seiner
Rocktasche hervorgeholt hatte. Nach der Mahlzeit zündete ich mir eine Zigarre an,
wagte sogar, ermutigt durch die Vortrefflichkeit des bisher Genoßnen, eine Tasse
Kaffee und vertiefte mich, während der Alte in der Ecke ein Schläfchen zu halten
schien, in die Lektüre von Meyers Reisebuch. Aber auch mich wollte der Schlaf
übermannen; mechanisch zog ich meine Uhr hervor, sie zeigte auf Drei — lautlose
Stille herrschte, selbst die Musik der Fliegen schien jm Zauber dieser müden
Stunde für kurze Zeit zu ersterben.

Und mitten in dieser dumpfen Pansstille wendet sich der bisher so stumme
Gast zu mir herüber mit der Frage: Lieber Herr, Sie haben da ja wohl eine
Karte und einen Führer? stehn da, vielleicht auch Sagen in? — Die Zartheit
und kindliche Bescheidenheit, mit der diese Worte gesprochen wurden, standen in
einem so schroffen Gegensatz zu dem unerfreulichen, man hätte fast sagen können:
ruppiger Äußern des Sprechenden, daß der Mann mich sofort mit großem Interesse
für sich erfüllte. Ich reichte ihm den Reiseführer hin mit dem Bemerken, daß die
Harzsagen in ihm zwar berücksichtigt seien, jedoch kaum in dem Umfange, wie er
es wünschen möchte. Dankbar nahm er das Buch zur Hand und blätterte darin.
Eins war mir nunmehr klar: einen Landstreicher, einen Vagabunden hatte ich nicht
por mir. Sollte es vielleicht ein durch widrige Schicksale herabgekommener Schul¬
meister sein? Was aber mochte ihn nach dem wellverlassenen Molmerschwendc
führen? Daß er nicht aus dieser Gegend stammte, hatte mir das erste Wort von
ihm verraten; seine Aussprache des s und se deutete unverkennbar nach Norden,
nach Schleswig-Holstein, ja es war mir vorgekommen, als ob nicht Deutsch,
sondern Dänisch seine Muttersprache sein möchte. Und ich hatte mich nicht geirrt.
Der Alte schien Zutrauen zu fassen, er zog einige zerknitterte Schriftstücke hervor
und erzählte, indem er eines nach dem andern mir vorlegte: er heiße Jens Petersen
und stamme aus Tondern in Schleswig; jahrelang habe er an dänischen Volksschulen
und Ackerbauinstituten als Lehrer gewirkt, habe in Geschichte und Erdkunde, besonders
aber in dänischer Literatur unterrichtet und sei jetzt auf der Reise zu einer seiner
Töchter begriffen, die in der Provinz Sachsen lebe (der Name des Ortes ist mir
entfallen). Nun eben habe er leider in Hnlberstadt längere Zeit schwer krank gelegen.
All dies berichtete der Mann so schlicht, so unaufdringlich und bescheiden, daß ich
mit wahrer Hochachtung gegen ihn erfüllt wurde.

Was in aller Welt aber, fragte ich, führt Sie hierher nach Molmerschwendc,
so abseits vom Weg? — O lieber Herr, gab er zur Antwort, das fragen Sie?
ich habe Sie wohl beobachtet, Sie sind ja auch nur hierher gekommen, um Bürgers
Geburtshaus zu sehen. Bürger, was ist das sür ein Dichter! Ich weiß, ich weiß,
daß Schiller ihn gescholten hat; aber hören Sie doch, wie unübertrefflich ist das
und zu meinem größten Erstaunen begann er sofort Bürgers Ballade „Die Kuh"
zu deklamieren; nein, er deklamierte sie nicht, er lebte sie durch. Unvergeßlich
bleibt mir die Natürlichkeit und die Kraft des Ausdrucks in seinem Vortrag, be¬
sonders an der Stelle, wo die arme Frau Magdalis im Morgengrauen zum


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[0623] In Molmerschwendc und Schielo Innenseite ihrer Schürze den von mir in Beschlag genommnen Ecktisch am Fenster säuberte, nach meinem Begehr und verschwand. In Erwartung des Essens breitete ich abermals die Landkarte aus, um mich über meine weitere Marsch¬ linie zu unterrichten. Ein ältlicher Mann trat ein, in verstaubter, fadenscheiniger Kleidung, kümmerlicher Haltung, und ließ sich in einer entfernten Ecke ermüdet auf einen Stuhl nieder. Es schien ein verbummelter Gewerbtreibender zu sein, wo nicht ein Landstreicher »der Tagedieb. Das Essen kam; Spiegeleier, Butter, Brot, Käse und Milch erwiesen sich als von ausgezeichneter Güte, und ich ließ es mir schmecken, indessen mein Mitgast sich bedächtig an einem Glase Bier stärkte und dazu eine trockne Semmel verzehrte, die er mühsam aus der Tiefe seiner Rocktasche hervorgeholt hatte. Nach der Mahlzeit zündete ich mir eine Zigarre an, wagte sogar, ermutigt durch die Vortrefflichkeit des bisher Genoßnen, eine Tasse Kaffee und vertiefte mich, während der Alte in der Ecke ein Schläfchen zu halten schien, in die Lektüre von Meyers Reisebuch. Aber auch mich wollte der Schlaf übermannen; mechanisch zog ich meine Uhr hervor, sie zeigte auf Drei — lautlose Stille herrschte, selbst die Musik der Fliegen schien jm Zauber dieser müden Stunde für kurze Zeit zu ersterben. Und mitten in dieser dumpfen Pansstille wendet sich der bisher so stumme Gast zu mir herüber mit der Frage: Lieber Herr, Sie haben da ja wohl eine Karte und einen Führer? stehn da, vielleicht auch Sagen in? — Die Zartheit und kindliche Bescheidenheit, mit der diese Worte gesprochen wurden, standen in einem so schroffen Gegensatz zu dem unerfreulichen, man hätte fast sagen können: ruppiger Äußern des Sprechenden, daß der Mann mich sofort mit großem Interesse für sich erfüllte. Ich reichte ihm den Reiseführer hin mit dem Bemerken, daß die Harzsagen in ihm zwar berücksichtigt seien, jedoch kaum in dem Umfange, wie er es wünschen möchte. Dankbar nahm er das Buch zur Hand und blätterte darin. Eins war mir nunmehr klar: einen Landstreicher, einen Vagabunden hatte ich nicht por mir. Sollte es vielleicht ein durch widrige Schicksale herabgekommener Schul¬ meister sein? Was aber mochte ihn nach dem wellverlassenen Molmerschwendc führen? Daß er nicht aus dieser Gegend stammte, hatte mir das erste Wort von ihm verraten; seine Aussprache des s und se deutete unverkennbar nach Norden, nach Schleswig-Holstein, ja es war mir vorgekommen, als ob nicht Deutsch, sondern Dänisch seine Muttersprache sein möchte. Und ich hatte mich nicht geirrt. Der Alte schien Zutrauen zu fassen, er zog einige zerknitterte Schriftstücke hervor und erzählte, indem er eines nach dem andern mir vorlegte: er heiße Jens Petersen und stamme aus Tondern in Schleswig; jahrelang habe er an dänischen Volksschulen und Ackerbauinstituten als Lehrer gewirkt, habe in Geschichte und Erdkunde, besonders aber in dänischer Literatur unterrichtet und sei jetzt auf der Reise zu einer seiner Töchter begriffen, die in der Provinz Sachsen lebe (der Name des Ortes ist mir entfallen). Nun eben habe er leider in Hnlberstadt längere Zeit schwer krank gelegen. All dies berichtete der Mann so schlicht, so unaufdringlich und bescheiden, daß ich mit wahrer Hochachtung gegen ihn erfüllt wurde. Was in aller Welt aber, fragte ich, führt Sie hierher nach Molmerschwendc, so abseits vom Weg? — O lieber Herr, gab er zur Antwort, das fragen Sie? ich habe Sie wohl beobachtet, Sie sind ja auch nur hierher gekommen, um Bürgers Geburtshaus zu sehen. Bürger, was ist das sür ein Dichter! Ich weiß, ich weiß, daß Schiller ihn gescholten hat; aber hören Sie doch, wie unübertrefflich ist das und zu meinem größten Erstaunen begann er sofort Bürgers Ballade „Die Kuh" zu deklamieren; nein, er deklamierte sie nicht, er lebte sie durch. Unvergeßlich bleibt mir die Natürlichkeit und die Kraft des Ausdrucks in seinem Vortrag, be¬ sonders an der Stelle, wo die arme Frau Magdalis im Morgengrauen zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/623>, abgerufen am 24.07.2024.