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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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In Molmerschwende und Schielo

Mein Weg führte mich wieder ins Tal hinab. Was mochte die einsame
Straße, der ich folgte, alles gesehen haben! Etruskische Ingenieure, die auch
im Wegebau Großes leisteten, schnitten sie in sanften Windungen in die Berg¬
wände. Kriegerscharen zogen hier dem Süden zu, um die Etruskerherrschaft
über Latium und Kampanien aufzurichten. Werkleute und Künstler folgten
ihnen, von den Königen in Rom gerufen, um die Mauern der Stadt und die
Tempel zu bauen, Pioniere zugleich für die Kultur ihrer Heimat.

Als dann die Schiffe der Phönizier, Karthager und Griechen den Weg
zu den Küstenstädten Etruriens gefunden hatten, führten Handclszüge die
Waren jener Länder und die Erzeugnisse ihrer Kunst zur Stadt empor. Auch
mancher griechische Maler und Bildhauer wird hier hinausgewandert sein und
oben lernbegierige Schüler und dankbare Abnehmer für seine Werke ge¬
funden haben.

Doch wie eine ernste Wegemarke liegt dort am Rande der Straße ein Römer¬
grab. Der Tritt der siegreichen Legionen, denen das erschlaffte Etruskervolk in
der Schlacht am Vadimonischen See 309 v. Chr. erlegen ist, hallt auf der Straße,
und ihre Adler werden in der Porsennastadt aufgepflanzt. Mit der politischen
Selbständigkeit Clusiums ist es zu Ende. Was der Sieger an wertvollen Gut
findet, wird hier talab geschleppt, um in Rom Häuser und Tempel zu schmücken,
aber auch um die römische Kunst entwickeln zu helfen und -- soweit wertvoll --
in ihr für alle Zeit erhalten zu werden.

Eine Gruppe schlanker Zypressen, die sich über den Katakomben der heiligen
Katharina erhebt, lenkt die Gedanken in eine neue Richtung. Noch einmal
ziehen Erobererscharen von Rom herauf, unaufhaltsam und sieggewohnt wie die
Legionen, aber sie tragen keine Waffen in ihren Händen, sondern das Kreuz.
Den Sendboten der jungen christlichen Lehre öffnen sich die Tore Clusiums,
und vor ihrer Predigt, die den Menschen ein neues Lebensziel zeigt, versinkt
nun allmählich auch die römische Kultur.

Gern hätte ich mir noch viel von der alten Straße erzählen lassen, da
führte sie mich um eiuen Bergvvrsprung vor die Lichterreihen des Bahnhofes
und rasselnde Züge. Raub machte die Wirklichkeit ihr Recht geltend Der
.
Oscar Gens Traum war zu Ende.




In Molmerschwende und schielo
Hans Gerhard Graf Lin Reiseabenteuer von

>n der niedrigen Gaststube fand ich leider alle Tische dicht besetzt,
nicht von Menschen, sondern von musos. clomsstic-g,, der Stuben¬
fliege; ein unzählbares Heer dieser zierlichen Zweiflügler erfüllte
summend und brummend den Raum, spazierte ruckweise auf den
Kauten der Stühle und Tische umher, nährte sich von den herum¬
liegenden Brosamen und Bierspuren, umschwärmte die große, von
der Decke trübselig herabhangende Petroleumlampe, erforschte die angerauchte
Zimmerdecke nach allen Richtungen, berannte mit den Köpfen die Fensterscheiben
und erhöhte durch seine leise Musik die tiefe, schläfrige Stille des Zimmers. Die
rundliche Wirtin erschien, fragte überraschend freundlich, indem sie mit der


In Molmerschwende und Schielo

Mein Weg führte mich wieder ins Tal hinab. Was mochte die einsame
Straße, der ich folgte, alles gesehen haben! Etruskische Ingenieure, die auch
im Wegebau Großes leisteten, schnitten sie in sanften Windungen in die Berg¬
wände. Kriegerscharen zogen hier dem Süden zu, um die Etruskerherrschaft
über Latium und Kampanien aufzurichten. Werkleute und Künstler folgten
ihnen, von den Königen in Rom gerufen, um die Mauern der Stadt und die
Tempel zu bauen, Pioniere zugleich für die Kultur ihrer Heimat.

Als dann die Schiffe der Phönizier, Karthager und Griechen den Weg
zu den Küstenstädten Etruriens gefunden hatten, führten Handclszüge die
Waren jener Länder und die Erzeugnisse ihrer Kunst zur Stadt empor. Auch
mancher griechische Maler und Bildhauer wird hier hinausgewandert sein und
oben lernbegierige Schüler und dankbare Abnehmer für seine Werke ge¬
funden haben.

Doch wie eine ernste Wegemarke liegt dort am Rande der Straße ein Römer¬
grab. Der Tritt der siegreichen Legionen, denen das erschlaffte Etruskervolk in
der Schlacht am Vadimonischen See 309 v. Chr. erlegen ist, hallt auf der Straße,
und ihre Adler werden in der Porsennastadt aufgepflanzt. Mit der politischen
Selbständigkeit Clusiums ist es zu Ende. Was der Sieger an wertvollen Gut
findet, wird hier talab geschleppt, um in Rom Häuser und Tempel zu schmücken,
aber auch um die römische Kunst entwickeln zu helfen und — soweit wertvoll —
in ihr für alle Zeit erhalten zu werden.

Eine Gruppe schlanker Zypressen, die sich über den Katakomben der heiligen
Katharina erhebt, lenkt die Gedanken in eine neue Richtung. Noch einmal
ziehen Erobererscharen von Rom herauf, unaufhaltsam und sieggewohnt wie die
Legionen, aber sie tragen keine Waffen in ihren Händen, sondern das Kreuz.
Den Sendboten der jungen christlichen Lehre öffnen sich die Tore Clusiums,
und vor ihrer Predigt, die den Menschen ein neues Lebensziel zeigt, versinkt
nun allmählich auch die römische Kultur.

Gern hätte ich mir noch viel von der alten Straße erzählen lassen, da
führte sie mich um eiuen Bergvvrsprung vor die Lichterreihen des Bahnhofes
und rasselnde Züge. Raub machte die Wirklichkeit ihr Recht geltend Der
.
Oscar Gens Traum war zu Ende.




In Molmerschwende und schielo
Hans Gerhard Graf Lin Reiseabenteuer von

>n der niedrigen Gaststube fand ich leider alle Tische dicht besetzt,
nicht von Menschen, sondern von musos. clomsstic-g,, der Stuben¬
fliege; ein unzählbares Heer dieser zierlichen Zweiflügler erfüllte
summend und brummend den Raum, spazierte ruckweise auf den
Kauten der Stühle und Tische umher, nährte sich von den herum¬
liegenden Brosamen und Bierspuren, umschwärmte die große, von
der Decke trübselig herabhangende Petroleumlampe, erforschte die angerauchte
Zimmerdecke nach allen Richtungen, berannte mit den Köpfen die Fensterscheiben
und erhöhte durch seine leise Musik die tiefe, schläfrige Stille des Zimmers. Die
rundliche Wirtin erschien, fragte überraschend freundlich, indem sie mit der


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[0622] In Molmerschwende und Schielo Mein Weg führte mich wieder ins Tal hinab. Was mochte die einsame Straße, der ich folgte, alles gesehen haben! Etruskische Ingenieure, die auch im Wegebau Großes leisteten, schnitten sie in sanften Windungen in die Berg¬ wände. Kriegerscharen zogen hier dem Süden zu, um die Etruskerherrschaft über Latium und Kampanien aufzurichten. Werkleute und Künstler folgten ihnen, von den Königen in Rom gerufen, um die Mauern der Stadt und die Tempel zu bauen, Pioniere zugleich für die Kultur ihrer Heimat. Als dann die Schiffe der Phönizier, Karthager und Griechen den Weg zu den Küstenstädten Etruriens gefunden hatten, führten Handclszüge die Waren jener Länder und die Erzeugnisse ihrer Kunst zur Stadt empor. Auch mancher griechische Maler und Bildhauer wird hier hinausgewandert sein und oben lernbegierige Schüler und dankbare Abnehmer für seine Werke ge¬ funden haben. Doch wie eine ernste Wegemarke liegt dort am Rande der Straße ein Römer¬ grab. Der Tritt der siegreichen Legionen, denen das erschlaffte Etruskervolk in der Schlacht am Vadimonischen See 309 v. Chr. erlegen ist, hallt auf der Straße, und ihre Adler werden in der Porsennastadt aufgepflanzt. Mit der politischen Selbständigkeit Clusiums ist es zu Ende. Was der Sieger an wertvollen Gut findet, wird hier talab geschleppt, um in Rom Häuser und Tempel zu schmücken, aber auch um die römische Kunst entwickeln zu helfen und — soweit wertvoll — in ihr für alle Zeit erhalten zu werden. Eine Gruppe schlanker Zypressen, die sich über den Katakomben der heiligen Katharina erhebt, lenkt die Gedanken in eine neue Richtung. Noch einmal ziehen Erobererscharen von Rom herauf, unaufhaltsam und sieggewohnt wie die Legionen, aber sie tragen keine Waffen in ihren Händen, sondern das Kreuz. Den Sendboten der jungen christlichen Lehre öffnen sich die Tore Clusiums, und vor ihrer Predigt, die den Menschen ein neues Lebensziel zeigt, versinkt nun allmählich auch die römische Kultur. Gern hätte ich mir noch viel von der alten Straße erzählen lassen, da führte sie mich um eiuen Bergvvrsprung vor die Lichterreihen des Bahnhofes und rasselnde Züge. Raub machte die Wirklichkeit ihr Recht geltend Der . Oscar Gens Traum war zu Ende. In Molmerschwende und schielo Hans Gerhard Graf Lin Reiseabenteuer von >n der niedrigen Gaststube fand ich leider alle Tische dicht besetzt, nicht von Menschen, sondern von musos. clomsstic-g,, der Stuben¬ fliege; ein unzählbares Heer dieser zierlichen Zweiflügler erfüllte summend und brummend den Raum, spazierte ruckweise auf den Kauten der Stühle und Tische umher, nährte sich von den herum¬ liegenden Brosamen und Bierspuren, umschwärmte die große, von der Decke trübselig herabhangende Petroleumlampe, erforschte die angerauchte Zimmerdecke nach allen Richtungen, berannte mit den Köpfen die Fensterscheiben und erhöhte durch seine leise Musik die tiefe, schläfrige Stille des Zimmers. Die rundliche Wirtin erschien, fragte überraschend freundlich, indem sie mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/622>, abgerufen am 24.07.2024.