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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Philosophie des Pragmatismus

, Der Pragmatismus behauptet, daß sich mit dieser praktischen Funktion
alle Rätsel der von der Philosophie untersuchten und zum Gegenstand ihrer
Spekulation gemachten Begriffe und Vorstellungen, Lehrsätze und Systeme in
Helles Licht auflösen, und daß der Welt eine unendliche Menge von ange¬
strengtester geistiger Arbeit und erbittertem Streit erspart worden wäre, wenn
man früher erkannt hätte, daß all diese Rätsel und all dieser Streit lediglich
in einer völligen Verkennung des Wesens und der Grenzen menschlicher Er¬
kenntnis ihren Grund haben.

Ein Beispiel mag diese etwas unänschauliche Erörterung erläutern. Zu
den allgemeinsten Begriffen, mit denen es die Philosophie zu tun hat, gehört
bekanntlich der Begriff des "Dinges" als des allgemeinsten Vertreters der
materiellen Außenwelt. Für die ältere Philosophie enthielt dieser Begriff
eine Fülle von Problemen, deren Lösung unendlich viel geistige Anstrengung
geopfert wurde. Da gab es ein "empirisches" Ding, das man sah, hörte,
roch und schmeckte, und an dem man sich die Knie anstoßen konnte, und
außerdem ein hinter dieser Welt der Erscheinungen liegendes "Ding an sich",
von dem man überzeugt war, daß es diesem empirischen Ding irgendwie "zu¬
grunde lag", ohne daß man aber über die Beschaffenheit, dieses mystischen
"Dinges an sich" und die Art seines Zusammenhanges mit dem platt
empirischen, jeder Mystik baren wirklichen Ding, das man sehen und in die
Hand nehmen und an dem man sich stoßen konnte, etwas Näheres und Sicheres
in Erfahrung bringen konnte. Der "Pragmatismus" sagt nun: dieses ganze
geheimnisvolle, "hinter" der "Erscheinung" und ihr "zugrunde" liegende
"Ding an sich" ist gar nicht vorhanden, ist vielmehr lediglich die Ausgeburt
eines ungesunden, über seine Grenze hinausgegangnen Denkens. Das "Ding"
ist eine zusammenfassende "Einheitsvorstellung" -- dieser Terminus stammt
nicht von James, sondern aus der modernen psychologischen Erkenntnis¬
theorie -- zur praktischen Orientierung in der Welt, und unser Begriff von
dem Dinge ist genau so lange richtig, als er diesen Zweck, uns auf Grund
unsrer Erfahrungen in der Welt zu orientieren, erfüllt. Auf Grund dieses
Bedürfnisses ist der Begriff des Dinges entstanden; er gibt gar keine An¬
weisung auf etwas, was hinter der Welt der "Erscheinungen" liegt, sondern
erschöpft sich in dieser Sinneswelt und hat seinen Grund und seine Daseins¬
berechtigung einzig darin, daß er eine praktische Funktion erfüllt, auf Grund
deren wir die Welt unsrer Sinnesempfindungen ordnen und uns in derselben
zurechtfinden können. .....

Diese Auffassung eines. Begriffs, der durch eine viel verbreitete meta¬
physische Richtung in der Philosophie von einem gewissen Nimbus umkleidet
würde, wird den Anhängern jener Philosophie platt und banal erscheinen;
sie enthält auch vielleicht noch in der Tat einen ungeklärten Rest, der sich
auf die Art und Weise seines Zustandekommens bezieht, wird aber jedenfalls
in ihrem wesentlichen Kern durch gewisse wichtige Ergebnisse der modernen


Die Philosophie des Pragmatismus

, Der Pragmatismus behauptet, daß sich mit dieser praktischen Funktion
alle Rätsel der von der Philosophie untersuchten und zum Gegenstand ihrer
Spekulation gemachten Begriffe und Vorstellungen, Lehrsätze und Systeme in
Helles Licht auflösen, und daß der Welt eine unendliche Menge von ange¬
strengtester geistiger Arbeit und erbittertem Streit erspart worden wäre, wenn
man früher erkannt hätte, daß all diese Rätsel und all dieser Streit lediglich
in einer völligen Verkennung des Wesens und der Grenzen menschlicher Er¬
kenntnis ihren Grund haben.

Ein Beispiel mag diese etwas unänschauliche Erörterung erläutern. Zu
den allgemeinsten Begriffen, mit denen es die Philosophie zu tun hat, gehört
bekanntlich der Begriff des „Dinges" als des allgemeinsten Vertreters der
materiellen Außenwelt. Für die ältere Philosophie enthielt dieser Begriff
eine Fülle von Problemen, deren Lösung unendlich viel geistige Anstrengung
geopfert wurde. Da gab es ein „empirisches" Ding, das man sah, hörte,
roch und schmeckte, und an dem man sich die Knie anstoßen konnte, und
außerdem ein hinter dieser Welt der Erscheinungen liegendes „Ding an sich",
von dem man überzeugt war, daß es diesem empirischen Ding irgendwie „zu¬
grunde lag", ohne daß man aber über die Beschaffenheit, dieses mystischen
„Dinges an sich" und die Art seines Zusammenhanges mit dem platt
empirischen, jeder Mystik baren wirklichen Ding, das man sehen und in die
Hand nehmen und an dem man sich stoßen konnte, etwas Näheres und Sicheres
in Erfahrung bringen konnte. Der „Pragmatismus" sagt nun: dieses ganze
geheimnisvolle, „hinter" der „Erscheinung" und ihr „zugrunde" liegende
„Ding an sich" ist gar nicht vorhanden, ist vielmehr lediglich die Ausgeburt
eines ungesunden, über seine Grenze hinausgegangnen Denkens. Das „Ding"
ist eine zusammenfassende „Einheitsvorstellung" — dieser Terminus stammt
nicht von James, sondern aus der modernen psychologischen Erkenntnis¬
theorie — zur praktischen Orientierung in der Welt, und unser Begriff von
dem Dinge ist genau so lange richtig, als er diesen Zweck, uns auf Grund
unsrer Erfahrungen in der Welt zu orientieren, erfüllt. Auf Grund dieses
Bedürfnisses ist der Begriff des Dinges entstanden; er gibt gar keine An¬
weisung auf etwas, was hinter der Welt der „Erscheinungen" liegt, sondern
erschöpft sich in dieser Sinneswelt und hat seinen Grund und seine Daseins¬
berechtigung einzig darin, daß er eine praktische Funktion erfüllt, auf Grund
deren wir die Welt unsrer Sinnesempfindungen ordnen und uns in derselben
zurechtfinden können. .....

Diese Auffassung eines. Begriffs, der durch eine viel verbreitete meta¬
physische Richtung in der Philosophie von einem gewissen Nimbus umkleidet
würde, wird den Anhängern jener Philosophie platt und banal erscheinen;
sie enthält auch vielleicht noch in der Tat einen ungeklärten Rest, der sich
auf die Art und Weise seines Zustandekommens bezieht, wird aber jedenfalls
in ihrem wesentlichen Kern durch gewisse wichtige Ergebnisse der modernen


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[0594] Die Philosophie des Pragmatismus , Der Pragmatismus behauptet, daß sich mit dieser praktischen Funktion alle Rätsel der von der Philosophie untersuchten und zum Gegenstand ihrer Spekulation gemachten Begriffe und Vorstellungen, Lehrsätze und Systeme in Helles Licht auflösen, und daß der Welt eine unendliche Menge von ange¬ strengtester geistiger Arbeit und erbittertem Streit erspart worden wäre, wenn man früher erkannt hätte, daß all diese Rätsel und all dieser Streit lediglich in einer völligen Verkennung des Wesens und der Grenzen menschlicher Er¬ kenntnis ihren Grund haben. Ein Beispiel mag diese etwas unänschauliche Erörterung erläutern. Zu den allgemeinsten Begriffen, mit denen es die Philosophie zu tun hat, gehört bekanntlich der Begriff des „Dinges" als des allgemeinsten Vertreters der materiellen Außenwelt. Für die ältere Philosophie enthielt dieser Begriff eine Fülle von Problemen, deren Lösung unendlich viel geistige Anstrengung geopfert wurde. Da gab es ein „empirisches" Ding, das man sah, hörte, roch und schmeckte, und an dem man sich die Knie anstoßen konnte, und außerdem ein hinter dieser Welt der Erscheinungen liegendes „Ding an sich", von dem man überzeugt war, daß es diesem empirischen Ding irgendwie „zu¬ grunde lag", ohne daß man aber über die Beschaffenheit, dieses mystischen „Dinges an sich" und die Art seines Zusammenhanges mit dem platt empirischen, jeder Mystik baren wirklichen Ding, das man sehen und in die Hand nehmen und an dem man sich stoßen konnte, etwas Näheres und Sicheres in Erfahrung bringen konnte. Der „Pragmatismus" sagt nun: dieses ganze geheimnisvolle, „hinter" der „Erscheinung" und ihr „zugrunde" liegende „Ding an sich" ist gar nicht vorhanden, ist vielmehr lediglich die Ausgeburt eines ungesunden, über seine Grenze hinausgegangnen Denkens. Das „Ding" ist eine zusammenfassende „Einheitsvorstellung" — dieser Terminus stammt nicht von James, sondern aus der modernen psychologischen Erkenntnis¬ theorie — zur praktischen Orientierung in der Welt, und unser Begriff von dem Dinge ist genau so lange richtig, als er diesen Zweck, uns auf Grund unsrer Erfahrungen in der Welt zu orientieren, erfüllt. Auf Grund dieses Bedürfnisses ist der Begriff des Dinges entstanden; er gibt gar keine An¬ weisung auf etwas, was hinter der Welt der „Erscheinungen" liegt, sondern erschöpft sich in dieser Sinneswelt und hat seinen Grund und seine Daseins¬ berechtigung einzig darin, daß er eine praktische Funktion erfüllt, auf Grund deren wir die Welt unsrer Sinnesempfindungen ordnen und uns in derselben zurechtfinden können. ..... Diese Auffassung eines. Begriffs, der durch eine viel verbreitete meta¬ physische Richtung in der Philosophie von einem gewissen Nimbus umkleidet würde, wird den Anhängern jener Philosophie platt und banal erscheinen; sie enthält auch vielleicht noch in der Tat einen ungeklärten Rest, der sich auf die Art und Weise seines Zustandekommens bezieht, wird aber jedenfalls in ihrem wesentlichen Kern durch gewisse wichtige Ergebnisse der modernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/594>, abgerufen am 24.07.2024.