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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Philosophie des Pragmatismus

sich heute zu dieser Denkweise, und es kann mit Bestimmtheit angenommen
werden, daß es auch in Deutschland, wo gerade von der eigentlichen wissen¬
schaftlich-psychologischen Richtung in der Philosophie dieser Denkweise stark
vorgearbeitet worden ist, bald ihre Vertreter geben wird. Denn ein Buch wie
die soeben erschienene vortreffliche deutsche Übertragung des besten Propaganda¬
werkes dieser Richtung, worin sich William James, der ausgezeichnete Ver¬
treter der Psychologie an der Universität Harvard, als Anhänger dieser
Philosophie bekennt,*) wird gewiß nicht verfehlen, ihr auch bei uns An¬
hänger in großer Zahl zuzuführen, jedenfalls aber zu einer lebhaften Er¬
örterung Anlaß geben.

Wenn man versuchen will, den wesentlichen Inhalt dieser "Philosophie
des Pragmatismus" auf eine einfache Formel zubringen, so kann man sagen,
wie dies schon der Name andeutet, daß es eine Philosophie ist, die aus der
Praxis des Lebens entspringt, sich dieser Abkunft rühmt und der Praxis des
Lebens dienen will. Eine solche Art der Begründung eines philosophischen
Systems wird einem idealistischen Philosophen alten Schlages, der davon
überzeugt ist, daß die Philosophie die Aufgabe hat, ewige Wahrheiten aus
den Tiefen des reinen Denkens heraufzuholen und aus ihnen Licht über die
Rätsel der Welt und des Lebens zu ergießen, wie eine Entweihung, wie ein
Frevel an den kostbarsten Besitztümern des menschlichen Geistes erscheinen
müssen. In der Tat faßt der Pragmatismus die Aufgabe der Philosophie
wesentlich anders auf als die rationalistisch-idealistische Philosophie ältern
Schlages, die da glaubte, ans sich selbst heraus, aus dem reinen Intellekt
absolute Erkenntnis gewinnen zu können, und die jeden Gedanken, als ob
Praktische Bedürfnisse auf die Entwicklung der menschlichen Erkenntnistätig¬
keit und die Bewertung ihrer Ergebnisse einen Einfluß haben könnten, mit
Empörung zurückwies. Dem gegenüber vertritt der Pragmatismus die An¬
schauung, daß das "reine Denken" aus sich selbst heraus für die mensch¬
liche Erkenntnis oder wenigstens für die Gestaltung eines philosophischen
Weltbildes ganz unfruchtbar ist, daß vielmehr alle menschliche Erkenntnis-
tätigkeit und selbst die auf die Gewinnung jener letzten und allgemeinsten
Erkenntnisse gerichtete Geistestätigkeit, die wir mit dem Namen "Philosophie"
bezeichnen, in Wahrheit ihre Begriffe, ihre Ziele und ihre Wahrheitskriterien
vom Leben und von praktischen Bedürfnissen erhalten, und daß alle philo¬
sophischen Begriffe und Vorstellungen nur so weit als "richtig", alle philo¬
sophischen Lehrsätze nur so weit als "wahr" bezeichnet werden können, als sie
diese praktische Funktion, die ihnen zumeist freilich ganz verborgnerweise zu¬
grunde liegt, wirklich erfüllen.



, ,*) Der Pragmatismus, Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Volkstümliche
Philosophische Vorlesungen. Von William James, Professor an der Harvard-Universität. Äus
dem Englischen übersetzt von Wilhelm Jerusalem. (Philosophisch-soziologische Bücherei, Band I.)
'Leipzig. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt, 1908.
Die Philosophie des Pragmatismus

sich heute zu dieser Denkweise, und es kann mit Bestimmtheit angenommen
werden, daß es auch in Deutschland, wo gerade von der eigentlichen wissen¬
schaftlich-psychologischen Richtung in der Philosophie dieser Denkweise stark
vorgearbeitet worden ist, bald ihre Vertreter geben wird. Denn ein Buch wie
die soeben erschienene vortreffliche deutsche Übertragung des besten Propaganda¬
werkes dieser Richtung, worin sich William James, der ausgezeichnete Ver¬
treter der Psychologie an der Universität Harvard, als Anhänger dieser
Philosophie bekennt,*) wird gewiß nicht verfehlen, ihr auch bei uns An¬
hänger in großer Zahl zuzuführen, jedenfalls aber zu einer lebhaften Er¬
örterung Anlaß geben.

Wenn man versuchen will, den wesentlichen Inhalt dieser „Philosophie
des Pragmatismus" auf eine einfache Formel zubringen, so kann man sagen,
wie dies schon der Name andeutet, daß es eine Philosophie ist, die aus der
Praxis des Lebens entspringt, sich dieser Abkunft rühmt und der Praxis des
Lebens dienen will. Eine solche Art der Begründung eines philosophischen
Systems wird einem idealistischen Philosophen alten Schlages, der davon
überzeugt ist, daß die Philosophie die Aufgabe hat, ewige Wahrheiten aus
den Tiefen des reinen Denkens heraufzuholen und aus ihnen Licht über die
Rätsel der Welt und des Lebens zu ergießen, wie eine Entweihung, wie ein
Frevel an den kostbarsten Besitztümern des menschlichen Geistes erscheinen
müssen. In der Tat faßt der Pragmatismus die Aufgabe der Philosophie
wesentlich anders auf als die rationalistisch-idealistische Philosophie ältern
Schlages, die da glaubte, ans sich selbst heraus, aus dem reinen Intellekt
absolute Erkenntnis gewinnen zu können, und die jeden Gedanken, als ob
Praktische Bedürfnisse auf die Entwicklung der menschlichen Erkenntnistätig¬
keit und die Bewertung ihrer Ergebnisse einen Einfluß haben könnten, mit
Empörung zurückwies. Dem gegenüber vertritt der Pragmatismus die An¬
schauung, daß das „reine Denken" aus sich selbst heraus für die mensch¬
liche Erkenntnis oder wenigstens für die Gestaltung eines philosophischen
Weltbildes ganz unfruchtbar ist, daß vielmehr alle menschliche Erkenntnis-
tätigkeit und selbst die auf die Gewinnung jener letzten und allgemeinsten
Erkenntnisse gerichtete Geistestätigkeit, die wir mit dem Namen „Philosophie"
bezeichnen, in Wahrheit ihre Begriffe, ihre Ziele und ihre Wahrheitskriterien
vom Leben und von praktischen Bedürfnissen erhalten, und daß alle philo¬
sophischen Begriffe und Vorstellungen nur so weit als „richtig", alle philo¬
sophischen Lehrsätze nur so weit als „wahr" bezeichnet werden können, als sie
diese praktische Funktion, die ihnen zumeist freilich ganz verborgnerweise zu¬
grunde liegt, wirklich erfüllen.



, ,*) Der Pragmatismus, Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Volkstümliche
Philosophische Vorlesungen. Von William James, Professor an der Harvard-Universität. Äus
dem Englischen übersetzt von Wilhelm Jerusalem. (Philosophisch-soziologische Bücherei, Band I.)
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[0593] Die Philosophie des Pragmatismus sich heute zu dieser Denkweise, und es kann mit Bestimmtheit angenommen werden, daß es auch in Deutschland, wo gerade von der eigentlichen wissen¬ schaftlich-psychologischen Richtung in der Philosophie dieser Denkweise stark vorgearbeitet worden ist, bald ihre Vertreter geben wird. Denn ein Buch wie die soeben erschienene vortreffliche deutsche Übertragung des besten Propaganda¬ werkes dieser Richtung, worin sich William James, der ausgezeichnete Ver¬ treter der Psychologie an der Universität Harvard, als Anhänger dieser Philosophie bekennt,*) wird gewiß nicht verfehlen, ihr auch bei uns An¬ hänger in großer Zahl zuzuführen, jedenfalls aber zu einer lebhaften Er¬ örterung Anlaß geben. Wenn man versuchen will, den wesentlichen Inhalt dieser „Philosophie des Pragmatismus" auf eine einfache Formel zubringen, so kann man sagen, wie dies schon der Name andeutet, daß es eine Philosophie ist, die aus der Praxis des Lebens entspringt, sich dieser Abkunft rühmt und der Praxis des Lebens dienen will. Eine solche Art der Begründung eines philosophischen Systems wird einem idealistischen Philosophen alten Schlages, der davon überzeugt ist, daß die Philosophie die Aufgabe hat, ewige Wahrheiten aus den Tiefen des reinen Denkens heraufzuholen und aus ihnen Licht über die Rätsel der Welt und des Lebens zu ergießen, wie eine Entweihung, wie ein Frevel an den kostbarsten Besitztümern des menschlichen Geistes erscheinen müssen. In der Tat faßt der Pragmatismus die Aufgabe der Philosophie wesentlich anders auf als die rationalistisch-idealistische Philosophie ältern Schlages, die da glaubte, ans sich selbst heraus, aus dem reinen Intellekt absolute Erkenntnis gewinnen zu können, und die jeden Gedanken, als ob Praktische Bedürfnisse auf die Entwicklung der menschlichen Erkenntnistätig¬ keit und die Bewertung ihrer Ergebnisse einen Einfluß haben könnten, mit Empörung zurückwies. Dem gegenüber vertritt der Pragmatismus die An¬ schauung, daß das „reine Denken" aus sich selbst heraus für die mensch¬ liche Erkenntnis oder wenigstens für die Gestaltung eines philosophischen Weltbildes ganz unfruchtbar ist, daß vielmehr alle menschliche Erkenntnis- tätigkeit und selbst die auf die Gewinnung jener letzten und allgemeinsten Erkenntnisse gerichtete Geistestätigkeit, die wir mit dem Namen „Philosophie" bezeichnen, in Wahrheit ihre Begriffe, ihre Ziele und ihre Wahrheitskriterien vom Leben und von praktischen Bedürfnissen erhalten, und daß alle philo¬ sophischen Begriffe und Vorstellungen nur so weit als „richtig", alle philo¬ sophischen Lehrsätze nur so weit als „wahr" bezeichnet werden können, als sie diese praktische Funktion, die ihnen zumeist freilich ganz verborgnerweise zu¬ grunde liegt, wirklich erfüllen. , ,*) Der Pragmatismus, Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Volkstümliche Philosophische Vorlesungen. Von William James, Professor an der Harvard-Universität. Äus dem Englischen übersetzt von Wilhelm Jerusalem. (Philosophisch-soziologische Bücherei, Band I.) 'Leipzig. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt, 1908.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/593>, abgerufen am 24.07.2024.