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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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was ist Monismus?

für die größte Ungereimtheit, in irgend etwas in der Welt, zum Beispiel in den,
kunstvollen Bau der lebenden Organismen, einen Zweck erkennen zu wollen Es
geht alles mechanisch zu wie in einer Maschine. Aber auch eine Maschine hat
einen Zweck. Für diesen Zweck ist sie gebaut, dieser Zweck beherrscht das Ganze,
er bestimmt jedem Rädchen seine Form und jeder Schraube ihren Ort. Wehe
dem, der in der großen Weltmaschine etwas ähnliches konstatieren wollte: er
begeht die größte Sünde wider den Geist des Monismus. Der Kausalmechanismus
ist das einzige Prinzip, das Geltung beanspruchen darf zur Erklärung der
Welt. Wer daneben noch ein Zweckprinzip anerkennen will, macht sich des
"Dualismus" schuldig, der größten Erzketzerei. die in den Augen des mechanistischen
Monisten möglich ist.

Von dem Grundgedanken, daß alles mechanisch zu erklären sei, ist auch
der Entwicklungsbegriff des heutigen vulgären Monismus beherrscht. Von
Entwicklung war schon längst die Rede, ehe noch jemand von den heutigen
Monisten wußte; längst ehe Darwin und Haeckel auf dem Plane erschienen,
hatten bedeutende Geister den Gedanken ausgebaut, daß sich das Leben in der
Welt vom Anorganischen empor durch niedere Stufen der Organismen zur
heutigen Höhe und Mannigfaltigkeit entwickelt habe. Man braucht nur an
Herder und Goethe zu denken, und auf Kant fußend hatte die idealistische Philosophie
besonders in Schelling und Hegel den Entwicklungsgedanken in großartiger Weise
ausgebaut. Doch hatte man nicht anders gewußt, als daß die Entwicklung
einem Ziele entgegenstrebe, daß in dem Grunde der Welt eine allumfassende
Idee liege, die sich in immer vollkommnerer Weise durch all die mannigfaltigen
Gestaltungen hindurch auswirke. Durch Darwin war ein durchaus anders¬
artiger Entwicklungsbegriff siegreich geworden. Die Entwicklung sollte ohne
jede Zielstrebigkeit, bloß durch mechanische Ursachen, durch physikalisch-chemische
Kräfte und Gesetze, durch den Kampf ums Dasein, die natürliche Zuchtwahl usw.
erklärbar sein. Darwin selbst war freilich kein reiner Monist in dem hier vor¬
liegenden Sinne des Wortes. Die Keime der Lebewesen dachte er sich von
einem Schöpfer gesetzt und mit all den Anlagen zweckvoll ausgestattet, die dann
freilich auf bloß mechanischem Wege bis zur heutigen Mannigfaltigkeit und
Vollkommenheit entwickelt worden seien. "Es liegt, dies sind Darwins eigne
Worte, etwas Großartiges in dieser Ansicht vom Leben, wonach es mit allen
seinen verschieden Kräften von dem Schöpfer aus wenig Formen oder vielleicht
nur einer ursprünglich erschaffen wurde, und daß, während sich dieser Planet
gemäß bestimmten Gesetzen der Schwerkraft bewegt, aus einem so schlichten An¬
fang eine endlose Zahl der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt
wurden und noch entwickelt werden." Und in einem Briefe an Graham (1881)
erklärt er es als seine innerste Überzeugung, "daß das Universum nicht ein
Produkt des Zufalls ist". Mit diesem Nest von Teleologie, das heißt Zweck¬
betrachtung, hat nun der Monismus Haeckelscher Observanz gründlich aufge¬
räumt. Von eiuer zweckmäßigen Präformation der Urkeimc von Organismen


was ist Monismus?

für die größte Ungereimtheit, in irgend etwas in der Welt, zum Beispiel in den,
kunstvollen Bau der lebenden Organismen, einen Zweck erkennen zu wollen Es
geht alles mechanisch zu wie in einer Maschine. Aber auch eine Maschine hat
einen Zweck. Für diesen Zweck ist sie gebaut, dieser Zweck beherrscht das Ganze,
er bestimmt jedem Rädchen seine Form und jeder Schraube ihren Ort. Wehe
dem, der in der großen Weltmaschine etwas ähnliches konstatieren wollte: er
begeht die größte Sünde wider den Geist des Monismus. Der Kausalmechanismus
ist das einzige Prinzip, das Geltung beanspruchen darf zur Erklärung der
Welt. Wer daneben noch ein Zweckprinzip anerkennen will, macht sich des
„Dualismus" schuldig, der größten Erzketzerei. die in den Augen des mechanistischen
Monisten möglich ist.

Von dem Grundgedanken, daß alles mechanisch zu erklären sei, ist auch
der Entwicklungsbegriff des heutigen vulgären Monismus beherrscht. Von
Entwicklung war schon längst die Rede, ehe noch jemand von den heutigen
Monisten wußte; längst ehe Darwin und Haeckel auf dem Plane erschienen,
hatten bedeutende Geister den Gedanken ausgebaut, daß sich das Leben in der
Welt vom Anorganischen empor durch niedere Stufen der Organismen zur
heutigen Höhe und Mannigfaltigkeit entwickelt habe. Man braucht nur an
Herder und Goethe zu denken, und auf Kant fußend hatte die idealistische Philosophie
besonders in Schelling und Hegel den Entwicklungsgedanken in großartiger Weise
ausgebaut. Doch hatte man nicht anders gewußt, als daß die Entwicklung
einem Ziele entgegenstrebe, daß in dem Grunde der Welt eine allumfassende
Idee liege, die sich in immer vollkommnerer Weise durch all die mannigfaltigen
Gestaltungen hindurch auswirke. Durch Darwin war ein durchaus anders¬
artiger Entwicklungsbegriff siegreich geworden. Die Entwicklung sollte ohne
jede Zielstrebigkeit, bloß durch mechanische Ursachen, durch physikalisch-chemische
Kräfte und Gesetze, durch den Kampf ums Dasein, die natürliche Zuchtwahl usw.
erklärbar sein. Darwin selbst war freilich kein reiner Monist in dem hier vor¬
liegenden Sinne des Wortes. Die Keime der Lebewesen dachte er sich von
einem Schöpfer gesetzt und mit all den Anlagen zweckvoll ausgestattet, die dann
freilich auf bloß mechanischem Wege bis zur heutigen Mannigfaltigkeit und
Vollkommenheit entwickelt worden seien. „Es liegt, dies sind Darwins eigne
Worte, etwas Großartiges in dieser Ansicht vom Leben, wonach es mit allen
seinen verschieden Kräften von dem Schöpfer aus wenig Formen oder vielleicht
nur einer ursprünglich erschaffen wurde, und daß, während sich dieser Planet
gemäß bestimmten Gesetzen der Schwerkraft bewegt, aus einem so schlichten An¬
fang eine endlose Zahl der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt
wurden und noch entwickelt werden." Und in einem Briefe an Graham (1881)
erklärt er es als seine innerste Überzeugung, „daß das Universum nicht ein
Produkt des Zufalls ist". Mit diesem Nest von Teleologie, das heißt Zweck¬
betrachtung, hat nun der Monismus Haeckelscher Observanz gründlich aufge¬
räumt. Von eiuer zweckmäßigen Präformation der Urkeimc von Organismen


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[0555] was ist Monismus? für die größte Ungereimtheit, in irgend etwas in der Welt, zum Beispiel in den, kunstvollen Bau der lebenden Organismen, einen Zweck erkennen zu wollen Es geht alles mechanisch zu wie in einer Maschine. Aber auch eine Maschine hat einen Zweck. Für diesen Zweck ist sie gebaut, dieser Zweck beherrscht das Ganze, er bestimmt jedem Rädchen seine Form und jeder Schraube ihren Ort. Wehe dem, der in der großen Weltmaschine etwas ähnliches konstatieren wollte: er begeht die größte Sünde wider den Geist des Monismus. Der Kausalmechanismus ist das einzige Prinzip, das Geltung beanspruchen darf zur Erklärung der Welt. Wer daneben noch ein Zweckprinzip anerkennen will, macht sich des „Dualismus" schuldig, der größten Erzketzerei. die in den Augen des mechanistischen Monisten möglich ist. Von dem Grundgedanken, daß alles mechanisch zu erklären sei, ist auch der Entwicklungsbegriff des heutigen vulgären Monismus beherrscht. Von Entwicklung war schon längst die Rede, ehe noch jemand von den heutigen Monisten wußte; längst ehe Darwin und Haeckel auf dem Plane erschienen, hatten bedeutende Geister den Gedanken ausgebaut, daß sich das Leben in der Welt vom Anorganischen empor durch niedere Stufen der Organismen zur heutigen Höhe und Mannigfaltigkeit entwickelt habe. Man braucht nur an Herder und Goethe zu denken, und auf Kant fußend hatte die idealistische Philosophie besonders in Schelling und Hegel den Entwicklungsgedanken in großartiger Weise ausgebaut. Doch hatte man nicht anders gewußt, als daß die Entwicklung einem Ziele entgegenstrebe, daß in dem Grunde der Welt eine allumfassende Idee liege, die sich in immer vollkommnerer Weise durch all die mannigfaltigen Gestaltungen hindurch auswirke. Durch Darwin war ein durchaus anders¬ artiger Entwicklungsbegriff siegreich geworden. Die Entwicklung sollte ohne jede Zielstrebigkeit, bloß durch mechanische Ursachen, durch physikalisch-chemische Kräfte und Gesetze, durch den Kampf ums Dasein, die natürliche Zuchtwahl usw. erklärbar sein. Darwin selbst war freilich kein reiner Monist in dem hier vor¬ liegenden Sinne des Wortes. Die Keime der Lebewesen dachte er sich von einem Schöpfer gesetzt und mit all den Anlagen zweckvoll ausgestattet, die dann freilich auf bloß mechanischem Wege bis zur heutigen Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit entwickelt worden seien. „Es liegt, dies sind Darwins eigne Worte, etwas Großartiges in dieser Ansicht vom Leben, wonach es mit allen seinen verschieden Kräften von dem Schöpfer aus wenig Formen oder vielleicht nur einer ursprünglich erschaffen wurde, und daß, während sich dieser Planet gemäß bestimmten Gesetzen der Schwerkraft bewegt, aus einem so schlichten An¬ fang eine endlose Zahl der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt wurden und noch entwickelt werden." Und in einem Briefe an Graham (1881) erklärt er es als seine innerste Überzeugung, „daß das Universum nicht ein Produkt des Zufalls ist". Mit diesem Nest von Teleologie, das heißt Zweck¬ betrachtung, hat nun der Monismus Haeckelscher Observanz gründlich aufge¬ räumt. Von eiuer zweckmäßigen Präformation der Urkeimc von Organismen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/555>, abgerufen am 24.07.2024.