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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Was ist Monismus?

findet, hat mit jenem geistigen Monismus wenig zu tun, zeigt im Gegenteil
eine ausgesprochne Verwandtschaft mit dem Antipoden, dem materialistischen
Monismus. ,

Einen wesentlichen Unterschied zwischen jener materialistischen Auffassung
der Gedanken als Sekretionen des Gehirns und der Haeckelschen Behauptung,
der Geist sei als die vollkommenste Leistung einer Dynamomaschine zu bezeichnen,
vermögen wir nicht zu entdecken. "Jede einzelne Phronetalzelle ist ein kleines
chemisches Laboratorium, das seinen Teil zu der einheitlichen Zentralfunktion
des Geistes, zur bewußten Vernunfttätigkeit beiträgt." "Mitleid ist eine der schönsten
und edelsten Gehirnfunktionen." In aller nur wünschenswerten Klarheit werden
hier geistige Tätigkeiten und Eigenschaften auf chemische und physikalische Vor¬
gänge, also solche, die dein stofflichen eigen sind, zurückgeführt. Welch voller Ernst
es ihm mit dieser materialistischen Deutung alles Geistigen, aller Güter und
Errungenschaften des Geistes ist, dafür noch folgendes Wort Haeckels als
Zeugnis: "Auch die Völkergeschichte oder die sogenannte Weltgeschichte muß
größtenteils durch natürliche Züchtung erklärbar sein, muß ein chemisch¬
physikalischer Prozeß sein, der auf der Wechselwirkung, der Anpassung und
der Vererbung in dem Kampfe der Menschen ums Dasein beruht."

. Danach will es auch beurteilt sein, wenn sich Hcieckel mit Emphase als
Spinozist bekennt, Das hat er in der Tat mit Spinoza gemein, daß er wie
dieser mir eine Substanz als Grund und Wesen der Welt annimmt- Aber
besehen wir uns diese Substanz des modernen Monisten näher und vergleichen
wir sie mit der Spinozas, so tritt uns bald ein tiefgreifender Unterschied ent¬
gegen. Die Substanz Spinozas hatte zwei Attribute: Ausdehnung und Denken-
Auch Haeckel gesteht ihr zwei Attribute zu, aber hier heißen sie: Ausdehnung
und Energie. Indem von Spinoza das Denken als eine unveräußerliche
Grundfunktion in das Wesen der Welt gelegt wird, ist in ihr das Prinzip der
Geistigkeit gewahrt. Bei Haeckel fällt dies aus, und statt dessen tritt die Energie
ein, diese aber wird, wie nach dem Vorhergesagten klar ist, von ihm durchaus
bloß in dem Sinne gedacht, in der man in der stofflichen Welt von ihr redet,
als chemisch-physikalisch. Nicht Spinoza darf von Haeckel als Patron für seine
Ansichten angerufen werden, sondern höchstens ein Büchner, Vogt und Moleschott,
die Koryphäen des neuern Materialismus.*)

Dieser Verwandtschaft mit dem Materialismus entspricht es auch, wenn
aus der Weltbetrachtung jeder Gedanke an einen Zweck verbannt bleiben soll.
Hieß es. dort: zu behaupten, die Augen seien zum Zweck des Sehens , da. sei
eben so töricht als die Annahme,, die Steine seien zu dem Zwecke da, daß die
Menschen sich einander mit ihnen die Schädel einschlagen, so gilt es anch hier



-' Die andre-Annahme beseelter Atome bei Haeckel widerspricht diesen als konstitutiv
hsrvorgeholmen Grundsätzen und ist eine der großen Jnkonsequenzen seines Systems. Vgl. des
Verfassers Schrift .über "Entwicklung und Offenbarung" S, 40 (Berlin, Trowitzsch H Sohn).
Was ist Monismus?

findet, hat mit jenem geistigen Monismus wenig zu tun, zeigt im Gegenteil
eine ausgesprochne Verwandtschaft mit dem Antipoden, dem materialistischen
Monismus. ,

Einen wesentlichen Unterschied zwischen jener materialistischen Auffassung
der Gedanken als Sekretionen des Gehirns und der Haeckelschen Behauptung,
der Geist sei als die vollkommenste Leistung einer Dynamomaschine zu bezeichnen,
vermögen wir nicht zu entdecken. „Jede einzelne Phronetalzelle ist ein kleines
chemisches Laboratorium, das seinen Teil zu der einheitlichen Zentralfunktion
des Geistes, zur bewußten Vernunfttätigkeit beiträgt." „Mitleid ist eine der schönsten
und edelsten Gehirnfunktionen." In aller nur wünschenswerten Klarheit werden
hier geistige Tätigkeiten und Eigenschaften auf chemische und physikalische Vor¬
gänge, also solche, die dein stofflichen eigen sind, zurückgeführt. Welch voller Ernst
es ihm mit dieser materialistischen Deutung alles Geistigen, aller Güter und
Errungenschaften des Geistes ist, dafür noch folgendes Wort Haeckels als
Zeugnis: „Auch die Völkergeschichte oder die sogenannte Weltgeschichte muß
größtenteils durch natürliche Züchtung erklärbar sein, muß ein chemisch¬
physikalischer Prozeß sein, der auf der Wechselwirkung, der Anpassung und
der Vererbung in dem Kampfe der Menschen ums Dasein beruht."

. Danach will es auch beurteilt sein, wenn sich Hcieckel mit Emphase als
Spinozist bekennt, Das hat er in der Tat mit Spinoza gemein, daß er wie
dieser mir eine Substanz als Grund und Wesen der Welt annimmt- Aber
besehen wir uns diese Substanz des modernen Monisten näher und vergleichen
wir sie mit der Spinozas, so tritt uns bald ein tiefgreifender Unterschied ent¬
gegen. Die Substanz Spinozas hatte zwei Attribute: Ausdehnung und Denken-
Auch Haeckel gesteht ihr zwei Attribute zu, aber hier heißen sie: Ausdehnung
und Energie. Indem von Spinoza das Denken als eine unveräußerliche
Grundfunktion in das Wesen der Welt gelegt wird, ist in ihr das Prinzip der
Geistigkeit gewahrt. Bei Haeckel fällt dies aus, und statt dessen tritt die Energie
ein, diese aber wird, wie nach dem Vorhergesagten klar ist, von ihm durchaus
bloß in dem Sinne gedacht, in der man in der stofflichen Welt von ihr redet,
als chemisch-physikalisch. Nicht Spinoza darf von Haeckel als Patron für seine
Ansichten angerufen werden, sondern höchstens ein Büchner, Vogt und Moleschott,
die Koryphäen des neuern Materialismus.*)

Dieser Verwandtschaft mit dem Materialismus entspricht es auch, wenn
aus der Weltbetrachtung jeder Gedanke an einen Zweck verbannt bleiben soll.
Hieß es. dort: zu behaupten, die Augen seien zum Zweck des Sehens , da. sei
eben so töricht als die Annahme,, die Steine seien zu dem Zwecke da, daß die
Menschen sich einander mit ihnen die Schädel einschlagen, so gilt es anch hier



-' Die andre-Annahme beseelter Atome bei Haeckel widerspricht diesen als konstitutiv
hsrvorgeholmen Grundsätzen und ist eine der großen Jnkonsequenzen seines Systems. Vgl. des
Verfassers Schrift .über „Entwicklung und Offenbarung" S, 40 (Berlin, Trowitzsch H Sohn).
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[0554] Was ist Monismus? findet, hat mit jenem geistigen Monismus wenig zu tun, zeigt im Gegenteil eine ausgesprochne Verwandtschaft mit dem Antipoden, dem materialistischen Monismus. , Einen wesentlichen Unterschied zwischen jener materialistischen Auffassung der Gedanken als Sekretionen des Gehirns und der Haeckelschen Behauptung, der Geist sei als die vollkommenste Leistung einer Dynamomaschine zu bezeichnen, vermögen wir nicht zu entdecken. „Jede einzelne Phronetalzelle ist ein kleines chemisches Laboratorium, das seinen Teil zu der einheitlichen Zentralfunktion des Geistes, zur bewußten Vernunfttätigkeit beiträgt." „Mitleid ist eine der schönsten und edelsten Gehirnfunktionen." In aller nur wünschenswerten Klarheit werden hier geistige Tätigkeiten und Eigenschaften auf chemische und physikalische Vor¬ gänge, also solche, die dein stofflichen eigen sind, zurückgeführt. Welch voller Ernst es ihm mit dieser materialistischen Deutung alles Geistigen, aller Güter und Errungenschaften des Geistes ist, dafür noch folgendes Wort Haeckels als Zeugnis: „Auch die Völkergeschichte oder die sogenannte Weltgeschichte muß größtenteils durch natürliche Züchtung erklärbar sein, muß ein chemisch¬ physikalischer Prozeß sein, der auf der Wechselwirkung, der Anpassung und der Vererbung in dem Kampfe der Menschen ums Dasein beruht." . Danach will es auch beurteilt sein, wenn sich Hcieckel mit Emphase als Spinozist bekennt, Das hat er in der Tat mit Spinoza gemein, daß er wie dieser mir eine Substanz als Grund und Wesen der Welt annimmt- Aber besehen wir uns diese Substanz des modernen Monisten näher und vergleichen wir sie mit der Spinozas, so tritt uns bald ein tiefgreifender Unterschied ent¬ gegen. Die Substanz Spinozas hatte zwei Attribute: Ausdehnung und Denken- Auch Haeckel gesteht ihr zwei Attribute zu, aber hier heißen sie: Ausdehnung und Energie. Indem von Spinoza das Denken als eine unveräußerliche Grundfunktion in das Wesen der Welt gelegt wird, ist in ihr das Prinzip der Geistigkeit gewahrt. Bei Haeckel fällt dies aus, und statt dessen tritt die Energie ein, diese aber wird, wie nach dem Vorhergesagten klar ist, von ihm durchaus bloß in dem Sinne gedacht, in der man in der stofflichen Welt von ihr redet, als chemisch-physikalisch. Nicht Spinoza darf von Haeckel als Patron für seine Ansichten angerufen werden, sondern höchstens ein Büchner, Vogt und Moleschott, die Koryphäen des neuern Materialismus.*) Dieser Verwandtschaft mit dem Materialismus entspricht es auch, wenn aus der Weltbetrachtung jeder Gedanke an einen Zweck verbannt bleiben soll. Hieß es. dort: zu behaupten, die Augen seien zum Zweck des Sehens , da. sei eben so töricht als die Annahme,, die Steine seien zu dem Zwecke da, daß die Menschen sich einander mit ihnen die Schädel einschlagen, so gilt es anch hier -' Die andre-Annahme beseelter Atome bei Haeckel widerspricht diesen als konstitutiv hsrvorgeholmen Grundsätzen und ist eine der großen Jnkonsequenzen seines Systems. Vgl. des Verfassers Schrift .über „Entwicklung und Offenbarung" S, 40 (Berlin, Trowitzsch H Sohn).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/554>, abgerufen am 24.07.2024.