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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hofleben und Htaatsorganismus in ^"lam
von Dr, Georg Schulze, Kaiserlichen Konsul a. v.

n Singapore hatten sie den deutschen Reichspostdampfer des
Norddeutschen Lloyd Prinz Ludwig verlassen, um auf einem
andern Küstendampfer des Lloyd in viertägiger Fahrt ihre Heimat
Bangkok, die Hauptstadt des Königreichs Siam, zu erreichen:
Bater und zwei Töchter. Er war langjähriger Gesandter des
Königs von Siam in Paris, wo er die Interessen seines Staates gegen den
übermächtigen französischen Kolonialnachbar in Hinterindien vertreten hatte.
Eine distinguierte, mit würdevoller Sorgfalt gekleidete Erscheinung, tritt er
doch gegen seine im elegantesten Pariser Geschmack gekleideten Töchter zurück,
die schon auf dem großen Ozeandampfer der Mittelpunkt des vornehmen,
internationalen Reisepublikums gewesen sind. Es ist der besondre Charme
der mit allen Finessen einer raffinierter Überkultnr zur Weltdame erzognen
Orientalin, der solche Anziehung auf die distinguierte internationale Gesell¬
schaft, zumal den biedern Deutschen ausübt. Aber der Kenner siamesischer
Verhältnisse mag sich wohl mit einigen Bedauern und berechtigter Nachdenklich¬
keit den jähen Wechsel vergegenwärtigen, der diesen Damen von einer ihnen
in Fleisch und Blut übergegangnen Hochkultur zur asiatischen Halbkultur
bevorsteht. Wie schmerzlich mögen diese eleganten Damen, die ihre Heimat
nie gesehen haben und sich bei aller Sehnsucht nach dem Lande einer tropischen
Märchenpracht kein klares Bild vom Leben und Treiben in ihrem Vaterlande
machen können, berührt sein, wenn sie sich der veränderten Tracht und Sitte
fügen müssen. Das üppige hochmodern frisierte schwarze Haar, das bisher
das Entzücken der Herrenwelt gewesen ist, wird fallen und zur entstellenden,
hochgebürsteten Haartracht unsrer Jungen verunstaltet werden, die schimmernden
Perlenzähnchen, die sie beim kokett-anmutigen Lächeln der großen Dame so
diskret unabsichtlich haben ahnen lassen, werden der Unart des Siamesen,
seine Zähne schwarz zu färben, weil jeder Hund Weiße Zähne hat -- zum


Grenzboten IV 1909 68


Hofleben und Htaatsorganismus in ^»lam
von Dr, Georg Schulze, Kaiserlichen Konsul a. v.

n Singapore hatten sie den deutschen Reichspostdampfer des
Norddeutschen Lloyd Prinz Ludwig verlassen, um auf einem
andern Küstendampfer des Lloyd in viertägiger Fahrt ihre Heimat
Bangkok, die Hauptstadt des Königreichs Siam, zu erreichen:
Bater und zwei Töchter. Er war langjähriger Gesandter des
Königs von Siam in Paris, wo er die Interessen seines Staates gegen den
übermächtigen französischen Kolonialnachbar in Hinterindien vertreten hatte.
Eine distinguierte, mit würdevoller Sorgfalt gekleidete Erscheinung, tritt er
doch gegen seine im elegantesten Pariser Geschmack gekleideten Töchter zurück,
die schon auf dem großen Ozeandampfer der Mittelpunkt des vornehmen,
internationalen Reisepublikums gewesen sind. Es ist der besondre Charme
der mit allen Finessen einer raffinierter Überkultnr zur Weltdame erzognen
Orientalin, der solche Anziehung auf die distinguierte internationale Gesell¬
schaft, zumal den biedern Deutschen ausübt. Aber der Kenner siamesischer
Verhältnisse mag sich wohl mit einigen Bedauern und berechtigter Nachdenklich¬
keit den jähen Wechsel vergegenwärtigen, der diesen Damen von einer ihnen
in Fleisch und Blut übergegangnen Hochkultur zur asiatischen Halbkultur
bevorsteht. Wie schmerzlich mögen diese eleganten Damen, die ihre Heimat
nie gesehen haben und sich bei aller Sehnsucht nach dem Lande einer tropischen
Märchenpracht kein klares Bild vom Leben und Treiben in ihrem Vaterlande
machen können, berührt sein, wenn sie sich der veränderten Tracht und Sitte
fügen müssen. Das üppige hochmodern frisierte schwarze Haar, das bisher
das Entzücken der Herrenwelt gewesen ist, wird fallen und zur entstellenden,
hochgebürsteten Haartracht unsrer Jungen verunstaltet werden, die schimmernden
Perlenzähnchen, die sie beim kokett-anmutigen Lächeln der großen Dame so
diskret unabsichtlich haben ahnen lassen, werden der Unart des Siamesen,
seine Zähne schwarz zu färben, weil jeder Hund Weiße Zähne hat — zum


Grenzboten IV 1909 68
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[0541] [Abbildung] Hofleben und Htaatsorganismus in ^»lam von Dr, Georg Schulze, Kaiserlichen Konsul a. v. n Singapore hatten sie den deutschen Reichspostdampfer des Norddeutschen Lloyd Prinz Ludwig verlassen, um auf einem andern Küstendampfer des Lloyd in viertägiger Fahrt ihre Heimat Bangkok, die Hauptstadt des Königreichs Siam, zu erreichen: Bater und zwei Töchter. Er war langjähriger Gesandter des Königs von Siam in Paris, wo er die Interessen seines Staates gegen den übermächtigen französischen Kolonialnachbar in Hinterindien vertreten hatte. Eine distinguierte, mit würdevoller Sorgfalt gekleidete Erscheinung, tritt er doch gegen seine im elegantesten Pariser Geschmack gekleideten Töchter zurück, die schon auf dem großen Ozeandampfer der Mittelpunkt des vornehmen, internationalen Reisepublikums gewesen sind. Es ist der besondre Charme der mit allen Finessen einer raffinierter Überkultnr zur Weltdame erzognen Orientalin, der solche Anziehung auf die distinguierte internationale Gesell¬ schaft, zumal den biedern Deutschen ausübt. Aber der Kenner siamesischer Verhältnisse mag sich wohl mit einigen Bedauern und berechtigter Nachdenklich¬ keit den jähen Wechsel vergegenwärtigen, der diesen Damen von einer ihnen in Fleisch und Blut übergegangnen Hochkultur zur asiatischen Halbkultur bevorsteht. Wie schmerzlich mögen diese eleganten Damen, die ihre Heimat nie gesehen haben und sich bei aller Sehnsucht nach dem Lande einer tropischen Märchenpracht kein klares Bild vom Leben und Treiben in ihrem Vaterlande machen können, berührt sein, wenn sie sich der veränderten Tracht und Sitte fügen müssen. Das üppige hochmodern frisierte schwarze Haar, das bisher das Entzücken der Herrenwelt gewesen ist, wird fallen und zur entstellenden, hochgebürsteten Haartracht unsrer Jungen verunstaltet werden, die schimmernden Perlenzähnchen, die sie beim kokett-anmutigen Lächeln der großen Dame so diskret unabsichtlich haben ahnen lassen, werden der Unart des Siamesen, seine Zähne schwarz zu färben, weil jeder Hund Weiße Zähne hat — zum Grenzboten IV 1909 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/541>, abgerufen am 24.07.2024.