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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hofleben und ötaatsorganismus in Äam

Opfer fallen, und die pompöse Pariser Seidenschleppe wird dem bauschigen
Panung, der siamesischen Kniehose weichen. Denn die Königin besteht uner¬
bittlich auf Einhaltung altsiamesischer Sitten, während sie allerdings bei
Empfängen europäischer Fürstlichkeiten für ihre Person eine Ausnahme macht.
Bei solchem Anlaß erscheint sie auch nach dem Vorbilde der Gemahlinnen
unsrer Staatshäupter als Repräsentantin neben dem allgewaltigen Könige.
Diese Königin ist eine kluge und sympathische Frau, die bei ihrer immerhin
nicht ganz einfachen Karriere zur ersten Königin vom Glück begünstigt wurde.
Sie hatte zwei Vorgängerinnen gehabt -- mit der zweiten Königin war es
eine Art unfreiwilliger Halbpart gewesen. Die erste, Sunanthalai, schied auf
eine Weise aus dem Leben, die überaus charakteristisch ist für das Verhältnis
zwischen Königshaus und Volk: bei einer Wasserfahrt auf dem Meran
stürzte sie aus dem Boote; aber die aufgestellten Wachen drohten jeden
niederzuschlagen, der sich unterfangen hätte, der mit dem Tode ringenden
Fürstin Hilfe zu bringen, denn nach siamesischer Anschauung gilt es als Ver¬
brechen, die geheiligte Person der ersten Königin zu berühren. So konnte
das Unglaubliche geschehen, daß die hohe Frau vor den Augen ihrer Um¬
gebung ertrank. Der modernem Anschauungen huldigende König bestrafte
zwar den Kommandanten der Leibwache mit lebenslänglichem Gefängnis ob
seines stupiden Gehorsams, trug aber andrerseits der allgemeinen Volksauf-
faffung Rechnung und begnadigte ihn nach kurzer Zeit. Die bisherige zweite
Königin Sawang Vadhana rückte nun zur ersten Königin auf, mußte aber
nach dem Tode ihres Sohnes, des damaligen Kronprinzen, von der Öffent¬
lichkeit zurücktreten. Ihren Platz nahm nunmehr die jetzige Königin Sawapa
Pongsi ein, aber nur kraft ihrer Qualifikation als Mutter des heutigen
Kronprinzen. Im Lande der Vielweiberei bedeutet schließlich auch sie dem
absoluten König nur eine bevorzugte Haremsfrau, die natürlich königlichen
Geblüts sein muß, um ihm ebenbürtig zur Seite treten zu können. Dies
Erfordernis führt zur schönsten Inzucht, die nach unsern Begriffen als an¬
stößig gilt, sodaß man es schließlich der guten Königin Viktoria von England
nicht verdenken konnte, wenn sie sich anfänglich weigerte, den König von Siam
bei einem Besuche in London offiziell zu empfangen, weil er seine Halb¬
schwester geheiratet habe. Im allgemeinen tritt die Königin wenig in die
Öffentlichkeit. Auch bei den großen Festen und Umzügen, die im siamesischen
Volksleben eine wichtige Rolle spielen, erscheint sie nur selten und dann fast
unauffällig in einer Schar von Hofdamen; jedenfalls tritt sie immer weit
hinter dem Könige zurück. Aber der Monarch hält große Stücke auf sie und
hat ihr sogar schon während einer frühern Europareise die Regierungsgeschäfte
übertragen. Im königlichen Palaste teilt sie mit den übrigen Frauen eine
Reihe von Gemächern, wo sie in stiller Beschaulichkeit ihren Liebhabereien
lebt. Hübsch ist sie nicht, mit ihrem breiten, knochigen Gesicht, der ge¬
drungnen Gestalt und dem kurzgeschnittnen Haar, aber ihr Antlitz, vor allem


Hofleben und ötaatsorganismus in Äam

Opfer fallen, und die pompöse Pariser Seidenschleppe wird dem bauschigen
Panung, der siamesischen Kniehose weichen. Denn die Königin besteht uner¬
bittlich auf Einhaltung altsiamesischer Sitten, während sie allerdings bei
Empfängen europäischer Fürstlichkeiten für ihre Person eine Ausnahme macht.
Bei solchem Anlaß erscheint sie auch nach dem Vorbilde der Gemahlinnen
unsrer Staatshäupter als Repräsentantin neben dem allgewaltigen Könige.
Diese Königin ist eine kluge und sympathische Frau, die bei ihrer immerhin
nicht ganz einfachen Karriere zur ersten Königin vom Glück begünstigt wurde.
Sie hatte zwei Vorgängerinnen gehabt — mit der zweiten Königin war es
eine Art unfreiwilliger Halbpart gewesen. Die erste, Sunanthalai, schied auf
eine Weise aus dem Leben, die überaus charakteristisch ist für das Verhältnis
zwischen Königshaus und Volk: bei einer Wasserfahrt auf dem Meran
stürzte sie aus dem Boote; aber die aufgestellten Wachen drohten jeden
niederzuschlagen, der sich unterfangen hätte, der mit dem Tode ringenden
Fürstin Hilfe zu bringen, denn nach siamesischer Anschauung gilt es als Ver¬
brechen, die geheiligte Person der ersten Königin zu berühren. So konnte
das Unglaubliche geschehen, daß die hohe Frau vor den Augen ihrer Um¬
gebung ertrank. Der modernem Anschauungen huldigende König bestrafte
zwar den Kommandanten der Leibwache mit lebenslänglichem Gefängnis ob
seines stupiden Gehorsams, trug aber andrerseits der allgemeinen Volksauf-
faffung Rechnung und begnadigte ihn nach kurzer Zeit. Die bisherige zweite
Königin Sawang Vadhana rückte nun zur ersten Königin auf, mußte aber
nach dem Tode ihres Sohnes, des damaligen Kronprinzen, von der Öffent¬
lichkeit zurücktreten. Ihren Platz nahm nunmehr die jetzige Königin Sawapa
Pongsi ein, aber nur kraft ihrer Qualifikation als Mutter des heutigen
Kronprinzen. Im Lande der Vielweiberei bedeutet schließlich auch sie dem
absoluten König nur eine bevorzugte Haremsfrau, die natürlich königlichen
Geblüts sein muß, um ihm ebenbürtig zur Seite treten zu können. Dies
Erfordernis führt zur schönsten Inzucht, die nach unsern Begriffen als an¬
stößig gilt, sodaß man es schließlich der guten Königin Viktoria von England
nicht verdenken konnte, wenn sie sich anfänglich weigerte, den König von Siam
bei einem Besuche in London offiziell zu empfangen, weil er seine Halb¬
schwester geheiratet habe. Im allgemeinen tritt die Königin wenig in die
Öffentlichkeit. Auch bei den großen Festen und Umzügen, die im siamesischen
Volksleben eine wichtige Rolle spielen, erscheint sie nur selten und dann fast
unauffällig in einer Schar von Hofdamen; jedenfalls tritt sie immer weit
hinter dem Könige zurück. Aber der Monarch hält große Stücke auf sie und
hat ihr sogar schon während einer frühern Europareise die Regierungsgeschäfte
übertragen. Im königlichen Palaste teilt sie mit den übrigen Frauen eine
Reihe von Gemächern, wo sie in stiller Beschaulichkeit ihren Liebhabereien
lebt. Hübsch ist sie nicht, mit ihrem breiten, knochigen Gesicht, der ge¬
drungnen Gestalt und dem kurzgeschnittnen Haar, aber ihr Antlitz, vor allem


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[0542] Hofleben und ötaatsorganismus in Äam Opfer fallen, und die pompöse Pariser Seidenschleppe wird dem bauschigen Panung, der siamesischen Kniehose weichen. Denn die Königin besteht uner¬ bittlich auf Einhaltung altsiamesischer Sitten, während sie allerdings bei Empfängen europäischer Fürstlichkeiten für ihre Person eine Ausnahme macht. Bei solchem Anlaß erscheint sie auch nach dem Vorbilde der Gemahlinnen unsrer Staatshäupter als Repräsentantin neben dem allgewaltigen Könige. Diese Königin ist eine kluge und sympathische Frau, die bei ihrer immerhin nicht ganz einfachen Karriere zur ersten Königin vom Glück begünstigt wurde. Sie hatte zwei Vorgängerinnen gehabt — mit der zweiten Königin war es eine Art unfreiwilliger Halbpart gewesen. Die erste, Sunanthalai, schied auf eine Weise aus dem Leben, die überaus charakteristisch ist für das Verhältnis zwischen Königshaus und Volk: bei einer Wasserfahrt auf dem Meran stürzte sie aus dem Boote; aber die aufgestellten Wachen drohten jeden niederzuschlagen, der sich unterfangen hätte, der mit dem Tode ringenden Fürstin Hilfe zu bringen, denn nach siamesischer Anschauung gilt es als Ver¬ brechen, die geheiligte Person der ersten Königin zu berühren. So konnte das Unglaubliche geschehen, daß die hohe Frau vor den Augen ihrer Um¬ gebung ertrank. Der modernem Anschauungen huldigende König bestrafte zwar den Kommandanten der Leibwache mit lebenslänglichem Gefängnis ob seines stupiden Gehorsams, trug aber andrerseits der allgemeinen Volksauf- faffung Rechnung und begnadigte ihn nach kurzer Zeit. Die bisherige zweite Königin Sawang Vadhana rückte nun zur ersten Königin auf, mußte aber nach dem Tode ihres Sohnes, des damaligen Kronprinzen, von der Öffent¬ lichkeit zurücktreten. Ihren Platz nahm nunmehr die jetzige Königin Sawapa Pongsi ein, aber nur kraft ihrer Qualifikation als Mutter des heutigen Kronprinzen. Im Lande der Vielweiberei bedeutet schließlich auch sie dem absoluten König nur eine bevorzugte Haremsfrau, die natürlich königlichen Geblüts sein muß, um ihm ebenbürtig zur Seite treten zu können. Dies Erfordernis führt zur schönsten Inzucht, die nach unsern Begriffen als an¬ stößig gilt, sodaß man es schließlich der guten Königin Viktoria von England nicht verdenken konnte, wenn sie sich anfänglich weigerte, den König von Siam bei einem Besuche in London offiziell zu empfangen, weil er seine Halb¬ schwester geheiratet habe. Im allgemeinen tritt die Königin wenig in die Öffentlichkeit. Auch bei den großen Festen und Umzügen, die im siamesischen Volksleben eine wichtige Rolle spielen, erscheint sie nur selten und dann fast unauffällig in einer Schar von Hofdamen; jedenfalls tritt sie immer weit hinter dem Könige zurück. Aber der Monarch hält große Stücke auf sie und hat ihr sogar schon während einer frühern Europareise die Regierungsgeschäfte übertragen. Im königlichen Palaste teilt sie mit den übrigen Frauen eine Reihe von Gemächern, wo sie in stiller Beschaulichkeit ihren Liebhabereien lebt. Hübsch ist sie nicht, mit ihrem breiten, knochigen Gesicht, der ge¬ drungnen Gestalt und dem kurzgeschnittnen Haar, aber ihr Antlitz, vor allem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/542>, abgerufen am 24.07.2024.