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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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auch manche Vögel zum Beispiel werden sehr alt. Nach Bacon lebt der Or¬
ganismus achtmal so lange, als sein Wachstum dauert. Hufeland hat dieses
Verhältnis richtig befunden und geglaubt, der Leib des Menschen sei erst tu
seinem fünfundzwanzigsten Jahre völlig ausgestaltet. Demnach betrüge das
Normalalter zweihundert Jahre. Flourens dagegen rechnet: 5 X 20. also
hundert. Dreierlei steht jedoch fest: daß viele Leute weit über hundert Jahre
alt geworden sind, daß auch die ältesten Greise gewöhnlich nicht wirklich an
Altersschwäche sterben, sondern daß ihnen eine Krankheit oder Gewalttat einen
Stoß versetzt, den ein Jüngerer vielleicht gut ausgehalten hätte, und drittens,
daß der Tod vor Beginn des Greisenalters meist vom Sterbenden selbst oder
von andern Personen oder von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in den
übrigen Fällen durch irgend ein Unglück verschuldet wird, sodaß man eigentlich
in der weit überwiegenden Zahl von Fällen den Tod einen unnatürlichen oder
gewaltsamen nennen muß. Bekannt ist. daß es viele jugendliche Greise und
greisenhafte Jungen gibt, besonders heutzutage; doch hat schon Walther von
der Vogelweide geklagt:


we wie tuont die jungen is,
die von froidm sollen in den lüften soeben

^nomme us neun x-is, it se tue. pflegte der alte Döllinger mit einem
Franzosen zu sagen, und Edison hat jüngst geäußert: die Menschen brächten sich
dadurch um. daß sie zu viel äßen und schliefen und zu wenig arbeiteten; eine
unberechtigte Verallgemeinerung; es steht fest, daß in den Vereinigten Staaten
die Arbeithetze Hunderttausende umbringt. Von lebenslustigen alten Leuten
wird viel Ergötzliches berichtet, und auch Bloch hat einiges aufgenommen.
Thomas Parr ist 152 Jahre alt geworden. Einige Jahre vor seinem Tode
wurde er vom Grafen Arundel dem Könige Karl dem Ersten vorgestellt, und die
Gräfin brachte eine 123jährige Hebamme mit. die zwei Jahre vorher noch
praktiziert habe. Den Alten' nahm zu seinem Unglück oder vielleicht auch
Glück der Graf in sein Haus auf und stellte ihm seinen Weinkeller zur Ver¬
fügung. Hütte er sich dort nicht zu Tode gesoffen, so hätte er vielleicht noch
lauge gelebt, meint der Berichterstatter. Und Weibernarren sind solche alte
Burschen oft auch noch; es gibt welche, die mit hundert und mehr Jahren
noch einmal heiraten, und noch mehr, die es gern möchten, aber K^he be¬
kommen. Der durch seine nationalökonomischen Studien bekannte Abbi Morellet
wurde mit fünfundachtzig Jahren Senator (1808; Bloch drückt sich ungenau
aus). Die Senatoren ' wurden auf fünf Jahre gewühlt und bekamen
1W00 Franken Gehalt. Als ihm jemand gratulierte, erwiderte er: .Ich
nehme das Amt gern an; 50000 Franken werden mich in den Stand setzen,
etwas für meine alten Tage zurückzulegen, und man weiß ja nicht, ob man
nicht wiedergewählt wird." Er lebte noch sieben Jahre. Bloch findet jedoch,
und ich stimme ihm darin bei. das Greisenalter nicht ganz des Ruhmes wert.


auch manche Vögel zum Beispiel werden sehr alt. Nach Bacon lebt der Or¬
ganismus achtmal so lange, als sein Wachstum dauert. Hufeland hat dieses
Verhältnis richtig befunden und geglaubt, der Leib des Menschen sei erst tu
seinem fünfundzwanzigsten Jahre völlig ausgestaltet. Demnach betrüge das
Normalalter zweihundert Jahre. Flourens dagegen rechnet: 5 X 20. also
hundert. Dreierlei steht jedoch fest: daß viele Leute weit über hundert Jahre
alt geworden sind, daß auch die ältesten Greise gewöhnlich nicht wirklich an
Altersschwäche sterben, sondern daß ihnen eine Krankheit oder Gewalttat einen
Stoß versetzt, den ein Jüngerer vielleicht gut ausgehalten hätte, und drittens,
daß der Tod vor Beginn des Greisenalters meist vom Sterbenden selbst oder
von andern Personen oder von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in den
übrigen Fällen durch irgend ein Unglück verschuldet wird, sodaß man eigentlich
in der weit überwiegenden Zahl von Fällen den Tod einen unnatürlichen oder
gewaltsamen nennen muß. Bekannt ist. daß es viele jugendliche Greise und
greisenhafte Jungen gibt, besonders heutzutage; doch hat schon Walther von
der Vogelweide geklagt:


we wie tuont die jungen is,
die von froidm sollen in den lüften soeben

^nomme us neun x-is, it se tue. pflegte der alte Döllinger mit einem
Franzosen zu sagen, und Edison hat jüngst geäußert: die Menschen brächten sich
dadurch um. daß sie zu viel äßen und schliefen und zu wenig arbeiteten; eine
unberechtigte Verallgemeinerung; es steht fest, daß in den Vereinigten Staaten
die Arbeithetze Hunderttausende umbringt. Von lebenslustigen alten Leuten
wird viel Ergötzliches berichtet, und auch Bloch hat einiges aufgenommen.
Thomas Parr ist 152 Jahre alt geworden. Einige Jahre vor seinem Tode
wurde er vom Grafen Arundel dem Könige Karl dem Ersten vorgestellt, und die
Gräfin brachte eine 123jährige Hebamme mit. die zwei Jahre vorher noch
praktiziert habe. Den Alten' nahm zu seinem Unglück oder vielleicht auch
Glück der Graf in sein Haus auf und stellte ihm seinen Weinkeller zur Ver¬
fügung. Hütte er sich dort nicht zu Tode gesoffen, so hätte er vielleicht noch
lauge gelebt, meint der Berichterstatter. Und Weibernarren sind solche alte
Burschen oft auch noch; es gibt welche, die mit hundert und mehr Jahren
noch einmal heiraten, und noch mehr, die es gern möchten, aber K^he be¬
kommen. Der durch seine nationalökonomischen Studien bekannte Abbi Morellet
wurde mit fünfundachtzig Jahren Senator (1808; Bloch drückt sich ungenau
aus). Die Senatoren ' wurden auf fünf Jahre gewühlt und bekamen
1W00 Franken Gehalt. Als ihm jemand gratulierte, erwiderte er: .Ich
nehme das Amt gern an; 50000 Franken werden mich in den Stand setzen,
etwas für meine alten Tage zurückzulegen, und man weiß ja nicht, ob man
nicht wiedergewählt wird.» Er lebte noch sieben Jahre. Bloch findet jedoch,
und ich stimme ihm darin bei. das Greisenalter nicht ganz des Ruhmes wert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/505>, abgerufen am 24.07.2024.