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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in China

ein andres Flußgebiet zu erreichen. Es war ein herrlicher Ritt in der Kühle
des Morgens:

[Beginn Spaltensatz] Sie spinnen und sie weben
Den Bergen ein Gewand.Die Nebel all entschweben
Dem Fluß und tiefern Land, [Spaltenumbruch] Wie heilig des Morgens Schweigen!
Streif' stille Bäume ich,
So träufet von den Zweigen
Des Segens Tau auf mich. [Ende Spaltensatz] Ich steig auf steilen Wegen
Zum Höhenwald empor,
Verborgner Sonn entgegen
Im Purpurwolkentor.

Bald ritt ich, das Tal und die sich hoch hinauf ziehenden Reisfelder zurück¬
lassend, durch dichten Wald und freute mich des blühenden dichten Gesträuches,
der mächtigen zierlichen Farne, der knorrigen Föhren und der gewaltigen Laub¬
bäume! Man kommt so selten durch Wald; fast alle Berge sind abgeholzt, und
nur auf dem Kamme sind noch einzelne Föhren stehngeblieben, sodaß die
meisten Höhen von fern aussehen, als hätte der liebe Gott ein paar Noten
auf sie gesetzt.

Kurz bevor wir den Paß erreichten, hatte ich noch eiuen Unfall; eine
schmale Holzbrücke kam, und ich versuchte, mein Pferd an der Leine hinüber¬
zuführen; da, beim Tritt aufs andre Ufer, gab das Erdreich nach, das Pferd
glitt aus und stürzte vier bis fünf Meter in die Tiefe; ich glaubte es schwer
verletzt! Aber es war hart an einem Felsen vorbei auf Sand gefallen, sprang
gleich wieder aus und weidete das saftige Gras ab, das da unten am
Bache wuchs!

Steiler als hinauf auf die Paßhöhe, wo einige Kaufläden und Teehütteu
stehn, ging es hinab ins andre Tal zunächst auf Hunderten von rohen Stein¬
stufen, dann auf Sandwegen. Gottlob hatten wir kein Begegnis mit Räubern,
die gerade in jenen Tagen diese etwas einsame Gegend unsicher machten.
Endlich kamen wir aus der Enge waldiger Bergeinsamkeit in die Weite des
Tales, das sich vor uns mit einem burggekrönten Hügel malerisch abschloß,
und je näher wir auf den am Flußufer eben sich hinziehenden Wegen kamen,
um so deutlicher wurde dieses Kastell und seine Umgebung; über den Hügel
lief eine hohe Mauer, und diese Mauer wiederum wurde von einer Stadt aus¬
gesandt, die unten am Fuße der Anhöhe lag. Wie mittelalterlich, trutzig und
wehrhaft erschien die Stadt selbst mit ihren gewaltigen acht bis zehn Meter
hohen zinnenversehenen Mauern und malerischen Toren; es war tun on -- ewige
Ruhe, eine Handelsreiche Kreisstadt, Sitz eines Kreis- und Militärmandarins.
Fast wäre hier in den engen Gassen, wo kaum der Himmel hineingucken kann,
und wo immer großes Gedränge herrscht, ein zweites Unglück mit dem Pferde
passiert; ein bissiger Hengst der Soldaten kam hergerannt, und als ich abge¬
stiegen war, riß sich mein Pferd los und raste mit dem stürmischen Freunde
durch die nächste Gasse! Überall großes Geschrei der Händler, die auf Banken


Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in China

ein andres Flußgebiet zu erreichen. Es war ein herrlicher Ritt in der Kühle
des Morgens:

[Beginn Spaltensatz] Sie spinnen und sie weben
Den Bergen ein Gewand.Die Nebel all entschweben
Dem Fluß und tiefern Land, [Spaltenumbruch] Wie heilig des Morgens Schweigen!
Streif' stille Bäume ich,
So träufet von den Zweigen
Des Segens Tau auf mich. [Ende Spaltensatz] Ich steig auf steilen Wegen
Zum Höhenwald empor,
Verborgner Sonn entgegen
Im Purpurwolkentor.

Bald ritt ich, das Tal und die sich hoch hinauf ziehenden Reisfelder zurück¬
lassend, durch dichten Wald und freute mich des blühenden dichten Gesträuches,
der mächtigen zierlichen Farne, der knorrigen Föhren und der gewaltigen Laub¬
bäume! Man kommt so selten durch Wald; fast alle Berge sind abgeholzt, und
nur auf dem Kamme sind noch einzelne Föhren stehngeblieben, sodaß die
meisten Höhen von fern aussehen, als hätte der liebe Gott ein paar Noten
auf sie gesetzt.

Kurz bevor wir den Paß erreichten, hatte ich noch eiuen Unfall; eine
schmale Holzbrücke kam, und ich versuchte, mein Pferd an der Leine hinüber¬
zuführen; da, beim Tritt aufs andre Ufer, gab das Erdreich nach, das Pferd
glitt aus und stürzte vier bis fünf Meter in die Tiefe; ich glaubte es schwer
verletzt! Aber es war hart an einem Felsen vorbei auf Sand gefallen, sprang
gleich wieder aus und weidete das saftige Gras ab, das da unten am
Bache wuchs!

Steiler als hinauf auf die Paßhöhe, wo einige Kaufläden und Teehütteu
stehn, ging es hinab ins andre Tal zunächst auf Hunderten von rohen Stein¬
stufen, dann auf Sandwegen. Gottlob hatten wir kein Begegnis mit Räubern,
die gerade in jenen Tagen diese etwas einsame Gegend unsicher machten.
Endlich kamen wir aus der Enge waldiger Bergeinsamkeit in die Weite des
Tales, das sich vor uns mit einem burggekrönten Hügel malerisch abschloß,
und je näher wir auf den am Flußufer eben sich hinziehenden Wegen kamen,
um so deutlicher wurde dieses Kastell und seine Umgebung; über den Hügel
lief eine hohe Mauer, und diese Mauer wiederum wurde von einer Stadt aus¬
gesandt, die unten am Fuße der Anhöhe lag. Wie mittelalterlich, trutzig und
wehrhaft erschien die Stadt selbst mit ihren gewaltigen acht bis zehn Meter
hohen zinnenversehenen Mauern und malerischen Toren; es war tun on — ewige
Ruhe, eine Handelsreiche Kreisstadt, Sitz eines Kreis- und Militärmandarins.
Fast wäre hier in den engen Gassen, wo kaum der Himmel hineingucken kann,
und wo immer großes Gedränge herrscht, ein zweites Unglück mit dem Pferde
passiert; ein bissiger Hengst der Soldaten kam hergerannt, und als ich abge¬
stiegen war, riß sich mein Pferd los und raste mit dem stürmischen Freunde
durch die nächste Gasse! Überall großes Geschrei der Händler, die auf Banken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/456>, abgerufen am 24.07.2024.