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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Auf der, Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina

Geschlechtsnamen fragen, sagen sie uns gegenüber nur: ngi ÄMg Mi? --wie
heißest du? Viele betrachten es freilich doch als eine Ehre, wenn wir in ihre
"elende Grashütte" eintreten, "das Licht des .Hauses vermehren" und "ihnen
Angesicht (Ansehen) geben".

Wie atmet man anf, wenn es durch kleine Haine breitästiger Laubbüume
geht oder über föhrenbewachsne Hügel, denn der geringste Schatten ist Labsal!
Und wie mundet ein Schälchen heißen Tees in den Teehütten, die uns all¬
überall einladen; denn jeder Schritt fast kostet einen Schweißtropfen, und eine
brennende Röte verbreitet sich über meinen Nacken und meine Hände, wie wei¬
land bei Wanderungen auf den Schneefeldern der Schweiz, und so freut sich
der Durst, daß es in China so viel Tee und so viel Wasser und so viel Tee-
Hütten gibt, während ich in Afrika immer nur anf das angewiesen war, was
ich selbst bei mir trug. In den Teehütten kann man auch Reis, Gemüse.
Fische, Fleisch usw. bekomme", und wenn es dem Europäer nicht allzusehr vor
schmutzigen Schüsseln und klebrigen Eßstäbchen graust, und er zuvor nicht ge¬
sehen hat, wie mit den bloßen Händen das Gericht angemacht worden ist, der
soll nur eintreten - es ist inzwischen Mittag geworden - und soll sich Lecker¬
bissen bestellen wie Fischblase", Haifischflossen. Vogelnester, Holothurien und
schwarze Eier; ich selbst ziehe vor. uoch eine halbe Stunde weiterzureiten und
mir dort in jenem Dörfchen von der Frau Katechistin Reis und Zukost be¬
reiten zu lassen; sie hat allem Anschein nach einmal bei Missionaren in Dienst
gestanden oder doch gesehen, was nach europäische" Begriffen sauber ist.

Die zweite Hälfte des Tages zog sich der Weg meist dem Ufer eines
ordentlich breiten Flusses entlang; manches weißschimmernde Floß glitt an mir
vorbei, dagegen sah ich mir wenige jener charakteristischen Boote, die für ihre
Besitzer meist Haus und Heimat bedeuten. Am liebsten ritt ich etwas voraus
- an Kreuzwege" fanden M) ja stets Granitsteine, auf denen als Wegweisern
die nächsten Orte eingeschrieben waren -- und setzte mich dann, um auf die
Träger zu warte", entweder anf ein Grab, von wo man wegen des lnnx sellui's,
das heißt der "Wind- und Wasserlehre", meist eine herrliche Aussicht auf Hügel
und Berge hat, oder ich erquickte mich im Schatten eines Opferhaines, denen
man immer wieder begegnet; steht doch fast unter jedem großen einzelnen Baume
ein altes Götzenbild mit Altar, auf dem Speise und Weihrauchstäbchen geopfert
werden; oft hängen auch am Stamm und Geäste unzählige Votivtafeln. die von der
Wunderkraft des Götzen erzählen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten
wir IQiQ lieu, das Ziel des Tages, wo wir beim Basler Katechisten geräumige
Unterkunft fanden.

Es war noch Nacht, als ich am andern Morgen "in vier Uhr aufstand,
'nein primitives Bett zusammenpackte und eine Schale Tee zum Frühstück nahm.
An einer Berglehne zog sich der Weg dahin mit dem Blick in ein Tal. aus
dem feuchte Morgeimebel gen Himmel stiege"; die Sonne hatte noch nicht Zeit
gehabt, über jenen hohen Paß zu klimmen, den wir heute ersteigen mußten, um


Auf der, Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina

Geschlechtsnamen fragen, sagen sie uns gegenüber nur: ngi ÄMg Mi? —wie
heißest du? Viele betrachten es freilich doch als eine Ehre, wenn wir in ihre
„elende Grashütte" eintreten, „das Licht des .Hauses vermehren" und „ihnen
Angesicht (Ansehen) geben".

Wie atmet man anf, wenn es durch kleine Haine breitästiger Laubbüume
geht oder über föhrenbewachsne Hügel, denn der geringste Schatten ist Labsal!
Und wie mundet ein Schälchen heißen Tees in den Teehütten, die uns all¬
überall einladen; denn jeder Schritt fast kostet einen Schweißtropfen, und eine
brennende Röte verbreitet sich über meinen Nacken und meine Hände, wie wei¬
land bei Wanderungen auf den Schneefeldern der Schweiz, und so freut sich
der Durst, daß es in China so viel Tee und so viel Wasser und so viel Tee-
Hütten gibt, während ich in Afrika immer nur anf das angewiesen war, was
ich selbst bei mir trug. In den Teehütten kann man auch Reis, Gemüse.
Fische, Fleisch usw. bekomme», und wenn es dem Europäer nicht allzusehr vor
schmutzigen Schüsseln und klebrigen Eßstäbchen graust, und er zuvor nicht ge¬
sehen hat, wie mit den bloßen Händen das Gericht angemacht worden ist, der
soll nur eintreten - es ist inzwischen Mittag geworden - und soll sich Lecker¬
bissen bestellen wie Fischblase», Haifischflossen. Vogelnester, Holothurien und
schwarze Eier; ich selbst ziehe vor. uoch eine halbe Stunde weiterzureiten und
mir dort in jenem Dörfchen von der Frau Katechistin Reis und Zukost be¬
reiten zu lassen; sie hat allem Anschein nach einmal bei Missionaren in Dienst
gestanden oder doch gesehen, was nach europäische» Begriffen sauber ist.

Die zweite Hälfte des Tages zog sich der Weg meist dem Ufer eines
ordentlich breiten Flusses entlang; manches weißschimmernde Floß glitt an mir
vorbei, dagegen sah ich mir wenige jener charakteristischen Boote, die für ihre
Besitzer meist Haus und Heimat bedeuten. Am liebsten ritt ich etwas voraus
- an Kreuzwege» fanden M) ja stets Granitsteine, auf denen als Wegweisern
die nächsten Orte eingeschrieben waren — und setzte mich dann, um auf die
Träger zu warte», entweder anf ein Grab, von wo man wegen des lnnx sellui's,
das heißt der „Wind- und Wasserlehre", meist eine herrliche Aussicht auf Hügel
und Berge hat, oder ich erquickte mich im Schatten eines Opferhaines, denen
man immer wieder begegnet; steht doch fast unter jedem großen einzelnen Baume
ein altes Götzenbild mit Altar, auf dem Speise und Weihrauchstäbchen geopfert
werden; oft hängen auch am Stamm und Geäste unzählige Votivtafeln. die von der
Wunderkraft des Götzen erzählen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten
wir IQiQ lieu, das Ziel des Tages, wo wir beim Basler Katechisten geräumige
Unterkunft fanden.

Es war noch Nacht, als ich am andern Morgen »in vier Uhr aufstand,
'nein primitives Bett zusammenpackte und eine Schale Tee zum Frühstück nahm.
An einer Berglehne zog sich der Weg dahin mit dem Blick in ein Tal. aus
dem feuchte Morgeimebel gen Himmel stiege»; die Sonne hatte noch nicht Zeit
gehabt, über jenen hohen Paß zu klimmen, den wir heute ersteigen mußten, um


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[0455] Auf der, Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina Geschlechtsnamen fragen, sagen sie uns gegenüber nur: ngi ÄMg Mi? —wie heißest du? Viele betrachten es freilich doch als eine Ehre, wenn wir in ihre „elende Grashütte" eintreten, „das Licht des .Hauses vermehren" und „ihnen Angesicht (Ansehen) geben". Wie atmet man anf, wenn es durch kleine Haine breitästiger Laubbüume geht oder über föhrenbewachsne Hügel, denn der geringste Schatten ist Labsal! Und wie mundet ein Schälchen heißen Tees in den Teehütten, die uns all¬ überall einladen; denn jeder Schritt fast kostet einen Schweißtropfen, und eine brennende Röte verbreitet sich über meinen Nacken und meine Hände, wie wei¬ land bei Wanderungen auf den Schneefeldern der Schweiz, und so freut sich der Durst, daß es in China so viel Tee und so viel Wasser und so viel Tee- Hütten gibt, während ich in Afrika immer nur anf das angewiesen war, was ich selbst bei mir trug. In den Teehütten kann man auch Reis, Gemüse. Fische, Fleisch usw. bekomme», und wenn es dem Europäer nicht allzusehr vor schmutzigen Schüsseln und klebrigen Eßstäbchen graust, und er zuvor nicht ge¬ sehen hat, wie mit den bloßen Händen das Gericht angemacht worden ist, der soll nur eintreten - es ist inzwischen Mittag geworden - und soll sich Lecker¬ bissen bestellen wie Fischblase», Haifischflossen. Vogelnester, Holothurien und schwarze Eier; ich selbst ziehe vor. uoch eine halbe Stunde weiterzureiten und mir dort in jenem Dörfchen von der Frau Katechistin Reis und Zukost be¬ reiten zu lassen; sie hat allem Anschein nach einmal bei Missionaren in Dienst gestanden oder doch gesehen, was nach europäische» Begriffen sauber ist. Die zweite Hälfte des Tages zog sich der Weg meist dem Ufer eines ordentlich breiten Flusses entlang; manches weißschimmernde Floß glitt an mir vorbei, dagegen sah ich mir wenige jener charakteristischen Boote, die für ihre Besitzer meist Haus und Heimat bedeuten. Am liebsten ritt ich etwas voraus - an Kreuzwege» fanden M) ja stets Granitsteine, auf denen als Wegweisern die nächsten Orte eingeschrieben waren — und setzte mich dann, um auf die Träger zu warte», entweder anf ein Grab, von wo man wegen des lnnx sellui's, das heißt der „Wind- und Wasserlehre", meist eine herrliche Aussicht auf Hügel und Berge hat, oder ich erquickte mich im Schatten eines Opferhaines, denen man immer wieder begegnet; steht doch fast unter jedem großen einzelnen Baume ein altes Götzenbild mit Altar, auf dem Speise und Weihrauchstäbchen geopfert werden; oft hängen auch am Stamm und Geäste unzählige Votivtafeln. die von der Wunderkraft des Götzen erzählen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir IQiQ lieu, das Ziel des Tages, wo wir beim Basler Katechisten geräumige Unterkunft fanden. Es war noch Nacht, als ich am andern Morgen »in vier Uhr aufstand, 'nein primitives Bett zusammenpackte und eine Schale Tee zum Frühstück nahm. An einer Berglehne zog sich der Weg dahin mit dem Blick in ein Tal. aus dem feuchte Morgeimebel gen Himmel stiege»; die Sonne hatte noch nicht Zeit gehabt, über jenen hohen Paß zu klimmen, den wir heute ersteigen mußten, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/455>, abgerufen am 24.07.2024.