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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina

an der Straße ihre Waren liegen hatten; großer Auflauf und lange vergeb¬
liches Bemühen, die zwei Liebhaber auseinanderzubringen; denn kam man dem
Hengst von vorn zu nahe, so biß er, versuchte man von hinten seiner habhaft
zu werden, so schlug er aus! Schließlich aber wurde der morio sapiens doch
Herr über die aller Vernunft baren Bestien, und hocherhobnen Hauptes ritt
ich das Osttor hinaus, um eben noch vor Dunkelheit Ho sehn wan, das Ziel der
Reise, zu erreichen.

Es liegt nicht im Plane dieser Zeilen, von meiner speziellen ärztliche,:
Arbeit zu reden, sondern eben von den allgemeinen menschlichen Erlebnissen bei
Ausübung meiner Außenpraxis ein weniges zu erzählen. Nach zwei Tagen
konnte ich meinen Patienten wieder verlassen und zog denselben Weg wieder
heim. Als ich in der ersten Morgenfrühe durch die Stadt kam, taten die Kauf¬
leute eben ihre Läden auf. zündeten Weihrauchstäbchen vor dem meist im Laden
stehenden Hausaltar an und ließen Feuerfrösche los. um alle bösen Geister der
Nacht zu verjagen. Manche zählten wohl auch mich dazu, und ich war froh,
als ich aus den stinkenden Gassen der Menschheit wieder in Gottes freie Natur
hinauskam. Alles ging gut in den zwei Tagen der Heimreise, bis einige
Stunden vor Ho-puer; da geriet ich in ein starkes Gewitter, dessen Macht
"nein Regenschirm nicht ganz gewachsen war. Aber die Freude, gleich daheim
zu sein, war stärker als Sturm und Regen und zauberte Sonnenschein in
mein Herz.

Während meiner sechstägigen Abwesenheit waren natürlich allerlei Patienten
vergeblich gekommen; der Missionar hatte ausgeholfen, wo er konnte, so bei
einer Opiumvergiftung, die sich meist Frauen infolge von Unverträglichkeit mit
der Schwiegermutter zuziehen, und bei zwei Cholerafüllen; leider verpaßte ich
auch die Einweihungsfeier eines Hauses (das heißt alten Tempels), worin
Opiumraucher von Amts wegen von ihrer Sucht geheilt werden sollen; der
jetzige Kreismandarin gibt sich viel Mühe, die Schäden des Volkes zu heilen.
Vorderhand kann ich selbst noch nicht viel in der Sache tun. da das Spital
noch nicht fertig ist, und ich nicht weiß, ob Freunde daheim mir so viel Geld
schenken, daß ich mit Opinmsüchtigen die etwas kostspielige Kur vornehmen kann,
zumal da wir infolge des Schadens durch die letzte Hochflut und andre Um¬
stände sowieso mit dem von Basel bewilligten Gelde nicht auskommen! Aber wir
treiben ja nicht nur deutsche Kulturarbeit im Reiche der Mitte, sondern auch
Arbeit im Namen unsers Gottes, und so wollen wir nicht verzagen, sondern
neben hilfbereiten Freunden daheim auf Ihn hoffen, von dem gesagt ist: "Alle
eure Sorge werfet auf Ihn."

Es gibt Leute -- besonders Frauen, sagt man --. die keinen Brief schreiben
können ohne Postscriptum. Und so muß auch ich meine Berichte über Fälle
Von Außenpraxis meist mit einer Nachschrift schließen, mit der nämlich: bin
nochmals gerufen worden! Auch diesmal! Nur ging alles unter erschwerenden
Umständen, denn ich war auf Reisen, fern in der Nordostecke der Kantonprovinz,


Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina

an der Straße ihre Waren liegen hatten; großer Auflauf und lange vergeb¬
liches Bemühen, die zwei Liebhaber auseinanderzubringen; denn kam man dem
Hengst von vorn zu nahe, so biß er, versuchte man von hinten seiner habhaft
zu werden, so schlug er aus! Schließlich aber wurde der morio sapiens doch
Herr über die aller Vernunft baren Bestien, und hocherhobnen Hauptes ritt
ich das Osttor hinaus, um eben noch vor Dunkelheit Ho sehn wan, das Ziel der
Reise, zu erreichen.

Es liegt nicht im Plane dieser Zeilen, von meiner speziellen ärztliche,:
Arbeit zu reden, sondern eben von den allgemeinen menschlichen Erlebnissen bei
Ausübung meiner Außenpraxis ein weniges zu erzählen. Nach zwei Tagen
konnte ich meinen Patienten wieder verlassen und zog denselben Weg wieder
heim. Als ich in der ersten Morgenfrühe durch die Stadt kam, taten die Kauf¬
leute eben ihre Läden auf. zündeten Weihrauchstäbchen vor dem meist im Laden
stehenden Hausaltar an und ließen Feuerfrösche los. um alle bösen Geister der
Nacht zu verjagen. Manche zählten wohl auch mich dazu, und ich war froh,
als ich aus den stinkenden Gassen der Menschheit wieder in Gottes freie Natur
hinauskam. Alles ging gut in den zwei Tagen der Heimreise, bis einige
Stunden vor Ho-puer; da geriet ich in ein starkes Gewitter, dessen Macht
»nein Regenschirm nicht ganz gewachsen war. Aber die Freude, gleich daheim
zu sein, war stärker als Sturm und Regen und zauberte Sonnenschein in
mein Herz.

Während meiner sechstägigen Abwesenheit waren natürlich allerlei Patienten
vergeblich gekommen; der Missionar hatte ausgeholfen, wo er konnte, so bei
einer Opiumvergiftung, die sich meist Frauen infolge von Unverträglichkeit mit
der Schwiegermutter zuziehen, und bei zwei Cholerafüllen; leider verpaßte ich
auch die Einweihungsfeier eines Hauses (das heißt alten Tempels), worin
Opiumraucher von Amts wegen von ihrer Sucht geheilt werden sollen; der
jetzige Kreismandarin gibt sich viel Mühe, die Schäden des Volkes zu heilen.
Vorderhand kann ich selbst noch nicht viel in der Sache tun. da das Spital
noch nicht fertig ist, und ich nicht weiß, ob Freunde daheim mir so viel Geld
schenken, daß ich mit Opinmsüchtigen die etwas kostspielige Kur vornehmen kann,
zumal da wir infolge des Schadens durch die letzte Hochflut und andre Um¬
stände sowieso mit dem von Basel bewilligten Gelde nicht auskommen! Aber wir
treiben ja nicht nur deutsche Kulturarbeit im Reiche der Mitte, sondern auch
Arbeit im Namen unsers Gottes, und so wollen wir nicht verzagen, sondern
neben hilfbereiten Freunden daheim auf Ihn hoffen, von dem gesagt ist: „Alle
eure Sorge werfet auf Ihn."

Es gibt Leute — besonders Frauen, sagt man —. die keinen Brief schreiben
können ohne Postscriptum. Und so muß auch ich meine Berichte über Fälle
Von Außenpraxis meist mit einer Nachschrift schließen, mit der nämlich: bin
nochmals gerufen worden! Auch diesmal! Nur ging alles unter erschwerenden
Umständen, denn ich war auf Reisen, fern in der Nordostecke der Kantonprovinz,


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[0457] Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina an der Straße ihre Waren liegen hatten; großer Auflauf und lange vergeb¬ liches Bemühen, die zwei Liebhaber auseinanderzubringen; denn kam man dem Hengst von vorn zu nahe, so biß er, versuchte man von hinten seiner habhaft zu werden, so schlug er aus! Schließlich aber wurde der morio sapiens doch Herr über die aller Vernunft baren Bestien, und hocherhobnen Hauptes ritt ich das Osttor hinaus, um eben noch vor Dunkelheit Ho sehn wan, das Ziel der Reise, zu erreichen. Es liegt nicht im Plane dieser Zeilen, von meiner speziellen ärztliche,: Arbeit zu reden, sondern eben von den allgemeinen menschlichen Erlebnissen bei Ausübung meiner Außenpraxis ein weniges zu erzählen. Nach zwei Tagen konnte ich meinen Patienten wieder verlassen und zog denselben Weg wieder heim. Als ich in der ersten Morgenfrühe durch die Stadt kam, taten die Kauf¬ leute eben ihre Läden auf. zündeten Weihrauchstäbchen vor dem meist im Laden stehenden Hausaltar an und ließen Feuerfrösche los. um alle bösen Geister der Nacht zu verjagen. Manche zählten wohl auch mich dazu, und ich war froh, als ich aus den stinkenden Gassen der Menschheit wieder in Gottes freie Natur hinauskam. Alles ging gut in den zwei Tagen der Heimreise, bis einige Stunden vor Ho-puer; da geriet ich in ein starkes Gewitter, dessen Macht »nein Regenschirm nicht ganz gewachsen war. Aber die Freude, gleich daheim zu sein, war stärker als Sturm und Regen und zauberte Sonnenschein in mein Herz. Während meiner sechstägigen Abwesenheit waren natürlich allerlei Patienten vergeblich gekommen; der Missionar hatte ausgeholfen, wo er konnte, so bei einer Opiumvergiftung, die sich meist Frauen infolge von Unverträglichkeit mit der Schwiegermutter zuziehen, und bei zwei Cholerafüllen; leider verpaßte ich auch die Einweihungsfeier eines Hauses (das heißt alten Tempels), worin Opiumraucher von Amts wegen von ihrer Sucht geheilt werden sollen; der jetzige Kreismandarin gibt sich viel Mühe, die Schäden des Volkes zu heilen. Vorderhand kann ich selbst noch nicht viel in der Sache tun. da das Spital noch nicht fertig ist, und ich nicht weiß, ob Freunde daheim mir so viel Geld schenken, daß ich mit Opinmsüchtigen die etwas kostspielige Kur vornehmen kann, zumal da wir infolge des Schadens durch die letzte Hochflut und andre Um¬ stände sowieso mit dem von Basel bewilligten Gelde nicht auskommen! Aber wir treiben ja nicht nur deutsche Kulturarbeit im Reiche der Mitte, sondern auch Arbeit im Namen unsers Gottes, und so wollen wir nicht verzagen, sondern neben hilfbereiten Freunden daheim auf Ihn hoffen, von dem gesagt ist: „Alle eure Sorge werfet auf Ihn." Es gibt Leute — besonders Frauen, sagt man —. die keinen Brief schreiben können ohne Postscriptum. Und so muß auch ich meine Berichte über Fälle Von Außenpraxis meist mit einer Nachschrift schließen, mit der nämlich: bin nochmals gerufen worden! Auch diesmal! Nur ging alles unter erschwerenden Umständen, denn ich war auf Reisen, fern in der Nordostecke der Kantonprovinz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/457>, abgerufen am 24.07.2024.