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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Aufgaben der Volksvertreter

zu den nächsten Wahlen gelingen wird, einen Umschwung in der Gesinnung ihrer
Wähler herbeizuführen. Nur wenn die konservativen Machthaber einsehen, daß
die von ihnen beliebte agrarische Politik ihren Einfluß auf die Städte beseitigt,
nur wenn sich die Regierung genötigt sieht, den Kampf mit dieser Art konservativer
Heißsporne aufzunehmen, um Industrie, Gewerbe und Handel den ihnen ge¬
bührenden Einfluß zu verschaffen, nur dann ist auf eine gesunde, dem Gemein¬
wohl nützliche Fortentwicklung der deutschkonscrvativeu Partei zu rechnen.

Die Reichspartei ist der alten Wahlparole treu geblieben. Sie hat
den Blockgedanken bis zum letzten Augenblick gehegt und gepflegt. Dr. Arendt
hat noch vor kurzem die alsbaldige Wiederherstellung des Blocks gepredigt.
Leider können wir darüber schnell hinweggehen. Es wird lange dauern, bis
die Freikonservativcn wieder einmal so guten Nährboden finden werden wie in
den vergangnen Monaten; denn sie haben ihn nicht zu nützen verstanden und
dadurch bewiesen, daß sie keinen Willen zur Macht haben. Das aber ver¬
dammt sie zu politischer Einflußlosigkeit.

Bleiben die Liberalen. Sie sind in ungleich günstigerer Stellung als
die Konservativen. Auch die besten Köpfe in den Reihen der Gegner werden
ihnen nicht nachweisen köunen, daß sie dem Blockgedanken untreu geworden
sind. Sie können mit Fug darauf verweisen, daß sie dem Block nur um des¬
willen nicht mehr angehören, weil andre ihn gegen ihren Willen gesprengt
haben. Die Frage ist deshalb, welche Haltung die Wähler von ihnen ver¬
langen. Die Nächstliegende Antwort ist zweifellos die: "Man hat euch zur
Pflicht gemacht, mit den Konservativen zusammen den unheilvollen Einfluß von
Zentrum und Sozialdemokratie auf die deutsche Reichspolitik zu brechen; ihr
müßt also euer Verhalten so einrichten, daß die erneute Verwirklichung eines
solchen Kampfes jederzeit möglich ist." Ist dies die Nächstliegende Antwort,
so ist es auch die falscheste. 1907 wollte man die grundsätzliche Bekämpfung
der beiden zentrifugalen Parteien, nicht aber die Möglichkeit von Mehrhcits-
bildungen, bei denen das Zentrum gelegentlich berufen wäre, den Ausschlag
zu geben. Dazu kommt, daß sich eine politische Partei lächerlich macht, wenn
sie ihre Politik dauernd darauf einrichtet, daß eine andre Partei, die ihr soeben
einen Fußtritt versetzt hat, ihr von neuem in Bundestreue nahen soll. Auch
würde durch die schönsten Versprechungen und Reden der Konservativen das
alte Vertrauensverhältnis nicht wiederhergestellt werden können; und auf Ver¬
trauen erweckende Taten können die Liberalen von feiten der Konservativen
nicht rechnen, solange diese unter einem Führer marschieren, der es für absurd
erklärt, liberale Politik mit konservativer Hilfe treiben zu wollen. Die ab¬
wartende, dem alten Block freundliche Haltung würde den Liberalen teuer zu
stehen kommen. Auch wenn man von der Verärgerung absieht, die zurzert
weite Kreise ergriffen hat, und an der die ungerechte Verteilung der Steuerlast
mit schuld ist. auch wenn man mit einer früher oder später eintretenden Be¬
ruhigung der Gemüter rechnet, bleibt es unbestritten, daß die Stimmung in


Aufgaben der Volksvertreter

zu den nächsten Wahlen gelingen wird, einen Umschwung in der Gesinnung ihrer
Wähler herbeizuführen. Nur wenn die konservativen Machthaber einsehen, daß
die von ihnen beliebte agrarische Politik ihren Einfluß auf die Städte beseitigt,
nur wenn sich die Regierung genötigt sieht, den Kampf mit dieser Art konservativer
Heißsporne aufzunehmen, um Industrie, Gewerbe und Handel den ihnen ge¬
bührenden Einfluß zu verschaffen, nur dann ist auf eine gesunde, dem Gemein¬
wohl nützliche Fortentwicklung der deutschkonscrvativeu Partei zu rechnen.

Die Reichspartei ist der alten Wahlparole treu geblieben. Sie hat
den Blockgedanken bis zum letzten Augenblick gehegt und gepflegt. Dr. Arendt
hat noch vor kurzem die alsbaldige Wiederherstellung des Blocks gepredigt.
Leider können wir darüber schnell hinweggehen. Es wird lange dauern, bis
die Freikonservativcn wieder einmal so guten Nährboden finden werden wie in
den vergangnen Monaten; denn sie haben ihn nicht zu nützen verstanden und
dadurch bewiesen, daß sie keinen Willen zur Macht haben. Das aber ver¬
dammt sie zu politischer Einflußlosigkeit.

Bleiben die Liberalen. Sie sind in ungleich günstigerer Stellung als
die Konservativen. Auch die besten Köpfe in den Reihen der Gegner werden
ihnen nicht nachweisen köunen, daß sie dem Blockgedanken untreu geworden
sind. Sie können mit Fug darauf verweisen, daß sie dem Block nur um des¬
willen nicht mehr angehören, weil andre ihn gegen ihren Willen gesprengt
haben. Die Frage ist deshalb, welche Haltung die Wähler von ihnen ver¬
langen. Die Nächstliegende Antwort ist zweifellos die: „Man hat euch zur
Pflicht gemacht, mit den Konservativen zusammen den unheilvollen Einfluß von
Zentrum und Sozialdemokratie auf die deutsche Reichspolitik zu brechen; ihr
müßt also euer Verhalten so einrichten, daß die erneute Verwirklichung eines
solchen Kampfes jederzeit möglich ist." Ist dies die Nächstliegende Antwort,
so ist es auch die falscheste. 1907 wollte man die grundsätzliche Bekämpfung
der beiden zentrifugalen Parteien, nicht aber die Möglichkeit von Mehrhcits-
bildungen, bei denen das Zentrum gelegentlich berufen wäre, den Ausschlag
zu geben. Dazu kommt, daß sich eine politische Partei lächerlich macht, wenn
sie ihre Politik dauernd darauf einrichtet, daß eine andre Partei, die ihr soeben
einen Fußtritt versetzt hat, ihr von neuem in Bundestreue nahen soll. Auch
würde durch die schönsten Versprechungen und Reden der Konservativen das
alte Vertrauensverhältnis nicht wiederhergestellt werden können; und auf Ver¬
trauen erweckende Taten können die Liberalen von feiten der Konservativen
nicht rechnen, solange diese unter einem Führer marschieren, der es für absurd
erklärt, liberale Politik mit konservativer Hilfe treiben zu wollen. Die ab¬
wartende, dem alten Block freundliche Haltung würde den Liberalen teuer zu
stehen kommen. Auch wenn man von der Verärgerung absieht, die zurzert
weite Kreise ergriffen hat, und an der die ungerechte Verteilung der Steuerlast
mit schuld ist. auch wenn man mit einer früher oder später eintretenden Be¬
ruhigung der Gemüter rechnet, bleibt es unbestritten, daß die Stimmung in


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[0447] Aufgaben der Volksvertreter zu den nächsten Wahlen gelingen wird, einen Umschwung in der Gesinnung ihrer Wähler herbeizuführen. Nur wenn die konservativen Machthaber einsehen, daß die von ihnen beliebte agrarische Politik ihren Einfluß auf die Städte beseitigt, nur wenn sich die Regierung genötigt sieht, den Kampf mit dieser Art konservativer Heißsporne aufzunehmen, um Industrie, Gewerbe und Handel den ihnen ge¬ bührenden Einfluß zu verschaffen, nur dann ist auf eine gesunde, dem Gemein¬ wohl nützliche Fortentwicklung der deutschkonscrvativeu Partei zu rechnen. Die Reichspartei ist der alten Wahlparole treu geblieben. Sie hat den Blockgedanken bis zum letzten Augenblick gehegt und gepflegt. Dr. Arendt hat noch vor kurzem die alsbaldige Wiederherstellung des Blocks gepredigt. Leider können wir darüber schnell hinweggehen. Es wird lange dauern, bis die Freikonservativcn wieder einmal so guten Nährboden finden werden wie in den vergangnen Monaten; denn sie haben ihn nicht zu nützen verstanden und dadurch bewiesen, daß sie keinen Willen zur Macht haben. Das aber ver¬ dammt sie zu politischer Einflußlosigkeit. Bleiben die Liberalen. Sie sind in ungleich günstigerer Stellung als die Konservativen. Auch die besten Köpfe in den Reihen der Gegner werden ihnen nicht nachweisen köunen, daß sie dem Blockgedanken untreu geworden sind. Sie können mit Fug darauf verweisen, daß sie dem Block nur um des¬ willen nicht mehr angehören, weil andre ihn gegen ihren Willen gesprengt haben. Die Frage ist deshalb, welche Haltung die Wähler von ihnen ver¬ langen. Die Nächstliegende Antwort ist zweifellos die: „Man hat euch zur Pflicht gemacht, mit den Konservativen zusammen den unheilvollen Einfluß von Zentrum und Sozialdemokratie auf die deutsche Reichspolitik zu brechen; ihr müßt also euer Verhalten so einrichten, daß die erneute Verwirklichung eines solchen Kampfes jederzeit möglich ist." Ist dies die Nächstliegende Antwort, so ist es auch die falscheste. 1907 wollte man die grundsätzliche Bekämpfung der beiden zentrifugalen Parteien, nicht aber die Möglichkeit von Mehrhcits- bildungen, bei denen das Zentrum gelegentlich berufen wäre, den Ausschlag zu geben. Dazu kommt, daß sich eine politische Partei lächerlich macht, wenn sie ihre Politik dauernd darauf einrichtet, daß eine andre Partei, die ihr soeben einen Fußtritt versetzt hat, ihr von neuem in Bundestreue nahen soll. Auch würde durch die schönsten Versprechungen und Reden der Konservativen das alte Vertrauensverhältnis nicht wiederhergestellt werden können; und auf Ver¬ trauen erweckende Taten können die Liberalen von feiten der Konservativen nicht rechnen, solange diese unter einem Führer marschieren, der es für absurd erklärt, liberale Politik mit konservativer Hilfe treiben zu wollen. Die ab¬ wartende, dem alten Block freundliche Haltung würde den Liberalen teuer zu stehen kommen. Auch wenn man von der Verärgerung absieht, die zurzert weite Kreise ergriffen hat, und an der die ungerechte Verteilung der Steuerlast mit schuld ist. auch wenn man mit einer früher oder später eintretenden Be¬ ruhigung der Gemüter rechnet, bleibt es unbestritten, daß die Stimmung in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/447>, abgerufen am 24.07.2024.