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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Entstehung der Religion

schränktere sein", worauf dann der katholische Heiligenkult als zweites Bei¬
spiel eines solchen monarchischen Polytheismus erwähnt wird. Hier ist zunächst
übersehen, daß es nicht etwa die kanaanitischen Naturgötter wie Moloch und
Ascheera sind, die, vom mächtigern Jahwe besiegt, dessen Hofstaat ausmachen
müßten -- die sind als Nichtse aus dem Vorstellungskreise der Religions¬
bildner, der Propheten, verbannt --, sondern die erst in der Zeit der Ge¬
fangenschaft aus der Zendreligion übernommenen Engel und Teufel. Sodann:
die jüdische Volksreligion jener Zeit mag tatsächlich Polytheismus gewesen
sein, wie es zweifellos heute noch der Katholizismus der Kalabreser ist -- ein
vom Herzensbedürfnis naiver Menschen geforderter Polytheismus, wie Wundt
richtig bemerkt. Aber zwischen der jüdischen und christlichen Theologie und
dem Polytheismus besteht ein Wesensunterschied von höchster Wichtigkeit.
Indem die vielen himmlischen Wesen als Geschöpfe und Diener des einen
allbeherrschender und allmächtigen Gottes und alle ihre Handlungen als Voll¬
streckungen des einen vernünftigen Willens dieses Gottes gedacht werden, wird
ein gesetzlich verfahrender Weltwille statuiert, dessen Ordnung kein andrer
Wille zu durchbrechen vermag. Und das ist von weltgeschichtlicher Bedeutung,
denn damit ist der Begriff des Naturgesetzes gewonnen und wirkliche Wissen¬
schaft möglich geworden. Und darum hat nur die christliche Welt wirkliche
Wissenschaft. Solche ist schon die Scholastik gewesen, die das richtige Prinzip
hatte; nur ihre Methoden waren zum Teil falsch, und in die heutige Bahn
zu gelangen, wurde sie durch die Mangelhaftigkeit ihrer Beobachtungen, durch
die Dürftigkeit ihrer Naturerkenntnis gehindert. Daß der Fortschritt zu diesem,
wie er meint noch im Polytheismus steckenbleibenden Monotheismus immerhin
ein Fortschritt gewesen sei, erkennt Wundt an, und auch die Verkörperung
des Bösen in einer Persönlichkeit, also der Glaube an Teufel, bedeutet ihm
einen Fortschritt, als "Symptom eines höher entwickelten ethisch-religiösen
Bedürfnisses. Denn nicht bloß dem vorreligiösen, sondern auch dem beginnenden
religiösen Kultus sind diese persönlichen Verkörperungen des Bösen zumeist
noch unbekannt. Er kennt nur böse Dämonen. Der persönliche Teufel in
seinen verschiednen Gestalten ist aus dem Bedürfnis geboren, die Hemmungen
des sittlichen Strebens, vor allem die, die aus eigner Verschuldung entspringen,
ebenso wie die Ideale des Guten als persönliche Wesen sich gegenüberzustellen";
die dann ebenfalls zu einem Staate oder Reiche geordnet und einem Allein¬
herrscher untergeben werden. Sehr schön und meiner Ansicht nach vollkommen
richtig wird das Verhältnis der Religion zur Sittlichkeit bestimmt. Zunächst
wird die einseitig metaphysische Erklärung des Ursprungs jener ebenso zurück¬
gewiesen wie die einseitig ethische. Die Religion wurzelt sowohl im meta¬
physischen Bedürfnis wie in der ethischen Anlage des Menschen. Ethos und
Religion aber entsteh" unabhängig voneinander. Jenes aus dem Kampfe der
egoistischen mit den sozialen, den sympathetischen Trieben und Neigungen.
Aus dem wechselnden Spiel widereinander streitender Affekte bildet sich "eine


Die Entstehung der Religion

schränktere sein", worauf dann der katholische Heiligenkult als zweites Bei¬
spiel eines solchen monarchischen Polytheismus erwähnt wird. Hier ist zunächst
übersehen, daß es nicht etwa die kanaanitischen Naturgötter wie Moloch und
Ascheera sind, die, vom mächtigern Jahwe besiegt, dessen Hofstaat ausmachen
müßten — die sind als Nichtse aus dem Vorstellungskreise der Religions¬
bildner, der Propheten, verbannt —, sondern die erst in der Zeit der Ge¬
fangenschaft aus der Zendreligion übernommenen Engel und Teufel. Sodann:
die jüdische Volksreligion jener Zeit mag tatsächlich Polytheismus gewesen
sein, wie es zweifellos heute noch der Katholizismus der Kalabreser ist — ein
vom Herzensbedürfnis naiver Menschen geforderter Polytheismus, wie Wundt
richtig bemerkt. Aber zwischen der jüdischen und christlichen Theologie und
dem Polytheismus besteht ein Wesensunterschied von höchster Wichtigkeit.
Indem die vielen himmlischen Wesen als Geschöpfe und Diener des einen
allbeherrschender und allmächtigen Gottes und alle ihre Handlungen als Voll¬
streckungen des einen vernünftigen Willens dieses Gottes gedacht werden, wird
ein gesetzlich verfahrender Weltwille statuiert, dessen Ordnung kein andrer
Wille zu durchbrechen vermag. Und das ist von weltgeschichtlicher Bedeutung,
denn damit ist der Begriff des Naturgesetzes gewonnen und wirkliche Wissen¬
schaft möglich geworden. Und darum hat nur die christliche Welt wirkliche
Wissenschaft. Solche ist schon die Scholastik gewesen, die das richtige Prinzip
hatte; nur ihre Methoden waren zum Teil falsch, und in die heutige Bahn
zu gelangen, wurde sie durch die Mangelhaftigkeit ihrer Beobachtungen, durch
die Dürftigkeit ihrer Naturerkenntnis gehindert. Daß der Fortschritt zu diesem,
wie er meint noch im Polytheismus steckenbleibenden Monotheismus immerhin
ein Fortschritt gewesen sei, erkennt Wundt an, und auch die Verkörperung
des Bösen in einer Persönlichkeit, also der Glaube an Teufel, bedeutet ihm
einen Fortschritt, als „Symptom eines höher entwickelten ethisch-religiösen
Bedürfnisses. Denn nicht bloß dem vorreligiösen, sondern auch dem beginnenden
religiösen Kultus sind diese persönlichen Verkörperungen des Bösen zumeist
noch unbekannt. Er kennt nur böse Dämonen. Der persönliche Teufel in
seinen verschiednen Gestalten ist aus dem Bedürfnis geboren, die Hemmungen
des sittlichen Strebens, vor allem die, die aus eigner Verschuldung entspringen,
ebenso wie die Ideale des Guten als persönliche Wesen sich gegenüberzustellen";
die dann ebenfalls zu einem Staate oder Reiche geordnet und einem Allein¬
herrscher untergeben werden. Sehr schön und meiner Ansicht nach vollkommen
richtig wird das Verhältnis der Religion zur Sittlichkeit bestimmt. Zunächst
wird die einseitig metaphysische Erklärung des Ursprungs jener ebenso zurück¬
gewiesen wie die einseitig ethische. Die Religion wurzelt sowohl im meta¬
physischen Bedürfnis wie in der ethischen Anlage des Menschen. Ethos und
Religion aber entsteh» unabhängig voneinander. Jenes aus dem Kampfe der
egoistischen mit den sozialen, den sympathetischen Trieben und Neigungen.
Aus dem wechselnden Spiel widereinander streitender Affekte bildet sich „eine


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[0412] Die Entstehung der Religion schränktere sein", worauf dann der katholische Heiligenkult als zweites Bei¬ spiel eines solchen monarchischen Polytheismus erwähnt wird. Hier ist zunächst übersehen, daß es nicht etwa die kanaanitischen Naturgötter wie Moloch und Ascheera sind, die, vom mächtigern Jahwe besiegt, dessen Hofstaat ausmachen müßten — die sind als Nichtse aus dem Vorstellungskreise der Religions¬ bildner, der Propheten, verbannt —, sondern die erst in der Zeit der Ge¬ fangenschaft aus der Zendreligion übernommenen Engel und Teufel. Sodann: die jüdische Volksreligion jener Zeit mag tatsächlich Polytheismus gewesen sein, wie es zweifellos heute noch der Katholizismus der Kalabreser ist — ein vom Herzensbedürfnis naiver Menschen geforderter Polytheismus, wie Wundt richtig bemerkt. Aber zwischen der jüdischen und christlichen Theologie und dem Polytheismus besteht ein Wesensunterschied von höchster Wichtigkeit. Indem die vielen himmlischen Wesen als Geschöpfe und Diener des einen allbeherrschender und allmächtigen Gottes und alle ihre Handlungen als Voll¬ streckungen des einen vernünftigen Willens dieses Gottes gedacht werden, wird ein gesetzlich verfahrender Weltwille statuiert, dessen Ordnung kein andrer Wille zu durchbrechen vermag. Und das ist von weltgeschichtlicher Bedeutung, denn damit ist der Begriff des Naturgesetzes gewonnen und wirkliche Wissen¬ schaft möglich geworden. Und darum hat nur die christliche Welt wirkliche Wissenschaft. Solche ist schon die Scholastik gewesen, die das richtige Prinzip hatte; nur ihre Methoden waren zum Teil falsch, und in die heutige Bahn zu gelangen, wurde sie durch die Mangelhaftigkeit ihrer Beobachtungen, durch die Dürftigkeit ihrer Naturerkenntnis gehindert. Daß der Fortschritt zu diesem, wie er meint noch im Polytheismus steckenbleibenden Monotheismus immerhin ein Fortschritt gewesen sei, erkennt Wundt an, und auch die Verkörperung des Bösen in einer Persönlichkeit, also der Glaube an Teufel, bedeutet ihm einen Fortschritt, als „Symptom eines höher entwickelten ethisch-religiösen Bedürfnisses. Denn nicht bloß dem vorreligiösen, sondern auch dem beginnenden religiösen Kultus sind diese persönlichen Verkörperungen des Bösen zumeist noch unbekannt. Er kennt nur böse Dämonen. Der persönliche Teufel in seinen verschiednen Gestalten ist aus dem Bedürfnis geboren, die Hemmungen des sittlichen Strebens, vor allem die, die aus eigner Verschuldung entspringen, ebenso wie die Ideale des Guten als persönliche Wesen sich gegenüberzustellen"; die dann ebenfalls zu einem Staate oder Reiche geordnet und einem Allein¬ herrscher untergeben werden. Sehr schön und meiner Ansicht nach vollkommen richtig wird das Verhältnis der Religion zur Sittlichkeit bestimmt. Zunächst wird die einseitig metaphysische Erklärung des Ursprungs jener ebenso zurück¬ gewiesen wie die einseitig ethische. Die Religion wurzelt sowohl im meta¬ physischen Bedürfnis wie in der ethischen Anlage des Menschen. Ethos und Religion aber entsteh» unabhängig voneinander. Jenes aus dem Kampfe der egoistischen mit den sozialen, den sympathetischen Trieben und Neigungen. Aus dem wechselnden Spiel widereinander streitender Affekte bildet sich „eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/412>, abgerufen am 25.07.2024.