Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entstehung der Religion

mythologische Dichtung in den Dienst der Religion, die sie zugleich mit einem
reichen Kranz von Phantasieschöpfungen fremdartigen und teilweise wider¬
sprechenden Ursprungs umgeben. Gerade diese Dissonanz der den Göttermythus
zusammensetzenden Motive, die ihren schärfsten Ausdruck in dem Kampfe der
Philosophie gegen den Mythus findet, führt nun aber auch die religiöse Ent¬
wicklung von dieser Stufe sinnlicher Gebundenheit, die der mythologische Götter¬
kult nicht zu überwinden vermag, zu einer weitern: zu dem Glauben an eine
ideale, übersinnliche Welt, in der das menschliche Streben und Handeln mit
eingeschlossen liegt, und in der sich der Mensch die Ideale seines eignen
Strebens verwirklicht denkt."

Es wird dann weiter gezeigt, wie die Auffassung der Kulthandlung und
des Götterbildes als eines Symbols auf die Entwicklung einwirkt, wie man
aber des Bildes, eben als eines Symbols, zur Verstärkung der religiösen Gefühle
immer noch bedarf. In der Vorstellung eines Gottmenschen aber, eines im
Kultus verehrten Gottes, der als Mensch auf Erden geweilt habe, besitze man
ein wirksames Mittel, von der idealen zur realen Bedeutung des Symbols
zurückzukehren. Verblaßt gleich dem realen Symbole auch das ideale mit der
Zeit, wie dies mit dem Christusbilde in einem großen Teile der Christenheit
geschehen ist, dann erhebt sich "ans dem subjektiven Schwanken der Vor¬
stellungen als letzte Idee die der Unvorstellbarkeit der Gottheit, die nunmehr
als ein notwendiges Attribut ihres übersinnlichen und demzufolge rein geistigen
Wesens aufgefaßt wird". Im letzten Satze ist die Entwicklung nicht ganz
richtig dargestellt, weil die Urchristengemeinde die Idee des rein geistigen, un¬
vorstellbaren Gottes schon besaß, ehe sie die Idee des Gottmenschen ausbildete.
Jene ältere Idee ist deutlich ausgesprochen u. a. in manchen Psalmen wie dem
139. und in Salomons Tempelweihgebet 1. Könige 8.

Auch wird der Fortschritt zum Monotheismus nicht in seiner vollen Be¬
deutung gewürdigt. Das geht daraus hervor, daß Wundt die israelitische
Religion Polytheismus nennt. Er unterscheidet zwei Arten der sozusagen
monarchischen Form des Polytheismus, die der Götterstaat ebenso gefordert
habe, wie sie der Menschenstaat fordert, auch wenn dieser sich Republik nennt.
In der einen ist der höchste Gott nur xrimus mrsr xarog wie der griechische
Zeus; die andern sind Nebengötter und in ihren Gebieten selbständige Herrscher.
Nach der andern Vorstellung sind die geringern Götter Untergötter. Diener
des höchsten Gottes und Vollstrecker seiner Befehle. Die zweite dieser Formen,
schreibt Wundt. ..nicht Polytheismus zu nennen, dazu liegt kein triftiger
Grund vor. Die Engel und ihre Gegner, der Satan mit seinen Dämonen,
bilden ebenso integrierende Bestandteile der Religion Jehovas. wie die griechische
Götterwelt um Zeus als ihren Mittelpunkt geordnet ist. Hier wie dort bedarf
der oberste Gott einer Umgebung, und die verschiednen Sorgen und Wunsche
der Menschen verlangen nach einer Vielheit hilfreicher Geister, die alle Mer
übersinnlichen Welt angehören, mag auch die Macht dieser Geister eine be-


Die Entstehung der Religion

mythologische Dichtung in den Dienst der Religion, die sie zugleich mit einem
reichen Kranz von Phantasieschöpfungen fremdartigen und teilweise wider¬
sprechenden Ursprungs umgeben. Gerade diese Dissonanz der den Göttermythus
zusammensetzenden Motive, die ihren schärfsten Ausdruck in dem Kampfe der
Philosophie gegen den Mythus findet, führt nun aber auch die religiöse Ent¬
wicklung von dieser Stufe sinnlicher Gebundenheit, die der mythologische Götter¬
kult nicht zu überwinden vermag, zu einer weitern: zu dem Glauben an eine
ideale, übersinnliche Welt, in der das menschliche Streben und Handeln mit
eingeschlossen liegt, und in der sich der Mensch die Ideale seines eignen
Strebens verwirklicht denkt."

Es wird dann weiter gezeigt, wie die Auffassung der Kulthandlung und
des Götterbildes als eines Symbols auf die Entwicklung einwirkt, wie man
aber des Bildes, eben als eines Symbols, zur Verstärkung der religiösen Gefühle
immer noch bedarf. In der Vorstellung eines Gottmenschen aber, eines im
Kultus verehrten Gottes, der als Mensch auf Erden geweilt habe, besitze man
ein wirksames Mittel, von der idealen zur realen Bedeutung des Symbols
zurückzukehren. Verblaßt gleich dem realen Symbole auch das ideale mit der
Zeit, wie dies mit dem Christusbilde in einem großen Teile der Christenheit
geschehen ist, dann erhebt sich „ans dem subjektiven Schwanken der Vor¬
stellungen als letzte Idee die der Unvorstellbarkeit der Gottheit, die nunmehr
als ein notwendiges Attribut ihres übersinnlichen und demzufolge rein geistigen
Wesens aufgefaßt wird". Im letzten Satze ist die Entwicklung nicht ganz
richtig dargestellt, weil die Urchristengemeinde die Idee des rein geistigen, un¬
vorstellbaren Gottes schon besaß, ehe sie die Idee des Gottmenschen ausbildete.
Jene ältere Idee ist deutlich ausgesprochen u. a. in manchen Psalmen wie dem
139. und in Salomons Tempelweihgebet 1. Könige 8.

Auch wird der Fortschritt zum Monotheismus nicht in seiner vollen Be¬
deutung gewürdigt. Das geht daraus hervor, daß Wundt die israelitische
Religion Polytheismus nennt. Er unterscheidet zwei Arten der sozusagen
monarchischen Form des Polytheismus, die der Götterstaat ebenso gefordert
habe, wie sie der Menschenstaat fordert, auch wenn dieser sich Republik nennt.
In der einen ist der höchste Gott nur xrimus mrsr xarog wie der griechische
Zeus; die andern sind Nebengötter und in ihren Gebieten selbständige Herrscher.
Nach der andern Vorstellung sind die geringern Götter Untergötter. Diener
des höchsten Gottes und Vollstrecker seiner Befehle. Die zweite dieser Formen,
schreibt Wundt. ..nicht Polytheismus zu nennen, dazu liegt kein triftiger
Grund vor. Die Engel und ihre Gegner, der Satan mit seinen Dämonen,
bilden ebenso integrierende Bestandteile der Religion Jehovas. wie die griechische
Götterwelt um Zeus als ihren Mittelpunkt geordnet ist. Hier wie dort bedarf
der oberste Gott einer Umgebung, und die verschiednen Sorgen und Wunsche
der Menschen verlangen nach einer Vielheit hilfreicher Geister, die alle Mer
übersinnlichen Welt angehören, mag auch die Macht dieser Geister eine be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314758"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entstehung der Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1940" prev="#ID_1939"> mythologische Dichtung in den Dienst der Religion, die sie zugleich mit einem<lb/>
reichen Kranz von Phantasieschöpfungen fremdartigen und teilweise wider¬<lb/>
sprechenden Ursprungs umgeben. Gerade diese Dissonanz der den Göttermythus<lb/>
zusammensetzenden Motive, die ihren schärfsten Ausdruck in dem Kampfe der<lb/>
Philosophie gegen den Mythus findet, führt nun aber auch die religiöse Ent¬<lb/>
wicklung von dieser Stufe sinnlicher Gebundenheit, die der mythologische Götter¬<lb/>
kult nicht zu überwinden vermag, zu einer weitern: zu dem Glauben an eine<lb/>
ideale, übersinnliche Welt, in der das menschliche Streben und Handeln mit<lb/>
eingeschlossen liegt, und in der sich der Mensch die Ideale seines eignen<lb/>
Strebens verwirklicht denkt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1941"> Es wird dann weiter gezeigt, wie die Auffassung der Kulthandlung und<lb/>
des Götterbildes als eines Symbols auf die Entwicklung einwirkt, wie man<lb/>
aber des Bildes, eben als eines Symbols, zur Verstärkung der religiösen Gefühle<lb/>
immer noch bedarf. In der Vorstellung eines Gottmenschen aber, eines im<lb/>
Kultus verehrten Gottes, der als Mensch auf Erden geweilt habe, besitze man<lb/>
ein wirksames Mittel, von der idealen zur realen Bedeutung des Symbols<lb/>
zurückzukehren. Verblaßt gleich dem realen Symbole auch das ideale mit der<lb/>
Zeit, wie dies mit dem Christusbilde in einem großen Teile der Christenheit<lb/>
geschehen ist, dann erhebt sich &#x201E;ans dem subjektiven Schwanken der Vor¬<lb/>
stellungen als letzte Idee die der Unvorstellbarkeit der Gottheit, die nunmehr<lb/>
als ein notwendiges Attribut ihres übersinnlichen und demzufolge rein geistigen<lb/>
Wesens aufgefaßt wird". Im letzten Satze ist die Entwicklung nicht ganz<lb/>
richtig dargestellt, weil die Urchristengemeinde die Idee des rein geistigen, un¬<lb/>
vorstellbaren Gottes schon besaß, ehe sie die Idee des Gottmenschen ausbildete.<lb/>
Jene ältere Idee ist deutlich ausgesprochen u. a. in manchen Psalmen wie dem<lb/>
139. und in Salomons Tempelweihgebet 1. Könige 8.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1942" next="#ID_1943"> Auch wird der Fortschritt zum Monotheismus nicht in seiner vollen Be¬<lb/>
deutung gewürdigt. Das geht daraus hervor, daß Wundt die israelitische<lb/>
Religion Polytheismus nennt. Er unterscheidet zwei Arten der sozusagen<lb/>
monarchischen Form des Polytheismus, die der Götterstaat ebenso gefordert<lb/>
habe, wie sie der Menschenstaat fordert, auch wenn dieser sich Republik nennt.<lb/>
In der einen ist der höchste Gott nur xrimus mrsr xarog wie der griechische<lb/>
Zeus; die andern sind Nebengötter und in ihren Gebieten selbständige Herrscher.<lb/>
Nach der andern Vorstellung sind die geringern Götter Untergötter. Diener<lb/>
des höchsten Gottes und Vollstrecker seiner Befehle. Die zweite dieser Formen,<lb/>
schreibt Wundt. ..nicht Polytheismus zu nennen, dazu liegt kein triftiger<lb/>
Grund vor. Die Engel und ihre Gegner, der Satan mit seinen Dämonen,<lb/>
bilden ebenso integrierende Bestandteile der Religion Jehovas. wie die griechische<lb/>
Götterwelt um Zeus als ihren Mittelpunkt geordnet ist. Hier wie dort bedarf<lb/>
der oberste Gott einer Umgebung, und die verschiednen Sorgen und Wunsche<lb/>
der Menschen verlangen nach einer Vielheit hilfreicher Geister, die alle Mer<lb/>
übersinnlichen Welt angehören, mag auch die Macht dieser Geister eine be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] Die Entstehung der Religion mythologische Dichtung in den Dienst der Religion, die sie zugleich mit einem reichen Kranz von Phantasieschöpfungen fremdartigen und teilweise wider¬ sprechenden Ursprungs umgeben. Gerade diese Dissonanz der den Göttermythus zusammensetzenden Motive, die ihren schärfsten Ausdruck in dem Kampfe der Philosophie gegen den Mythus findet, führt nun aber auch die religiöse Ent¬ wicklung von dieser Stufe sinnlicher Gebundenheit, die der mythologische Götter¬ kult nicht zu überwinden vermag, zu einer weitern: zu dem Glauben an eine ideale, übersinnliche Welt, in der das menschliche Streben und Handeln mit eingeschlossen liegt, und in der sich der Mensch die Ideale seines eignen Strebens verwirklicht denkt." Es wird dann weiter gezeigt, wie die Auffassung der Kulthandlung und des Götterbildes als eines Symbols auf die Entwicklung einwirkt, wie man aber des Bildes, eben als eines Symbols, zur Verstärkung der religiösen Gefühle immer noch bedarf. In der Vorstellung eines Gottmenschen aber, eines im Kultus verehrten Gottes, der als Mensch auf Erden geweilt habe, besitze man ein wirksames Mittel, von der idealen zur realen Bedeutung des Symbols zurückzukehren. Verblaßt gleich dem realen Symbole auch das ideale mit der Zeit, wie dies mit dem Christusbilde in einem großen Teile der Christenheit geschehen ist, dann erhebt sich „ans dem subjektiven Schwanken der Vor¬ stellungen als letzte Idee die der Unvorstellbarkeit der Gottheit, die nunmehr als ein notwendiges Attribut ihres übersinnlichen und demzufolge rein geistigen Wesens aufgefaßt wird". Im letzten Satze ist die Entwicklung nicht ganz richtig dargestellt, weil die Urchristengemeinde die Idee des rein geistigen, un¬ vorstellbaren Gottes schon besaß, ehe sie die Idee des Gottmenschen ausbildete. Jene ältere Idee ist deutlich ausgesprochen u. a. in manchen Psalmen wie dem 139. und in Salomons Tempelweihgebet 1. Könige 8. Auch wird der Fortschritt zum Monotheismus nicht in seiner vollen Be¬ deutung gewürdigt. Das geht daraus hervor, daß Wundt die israelitische Religion Polytheismus nennt. Er unterscheidet zwei Arten der sozusagen monarchischen Form des Polytheismus, die der Götterstaat ebenso gefordert habe, wie sie der Menschenstaat fordert, auch wenn dieser sich Republik nennt. In der einen ist der höchste Gott nur xrimus mrsr xarog wie der griechische Zeus; die andern sind Nebengötter und in ihren Gebieten selbständige Herrscher. Nach der andern Vorstellung sind die geringern Götter Untergötter. Diener des höchsten Gottes und Vollstrecker seiner Befehle. Die zweite dieser Formen, schreibt Wundt. ..nicht Polytheismus zu nennen, dazu liegt kein triftiger Grund vor. Die Engel und ihre Gegner, der Satan mit seinen Dämonen, bilden ebenso integrierende Bestandteile der Religion Jehovas. wie die griechische Götterwelt um Zeus als ihren Mittelpunkt geordnet ist. Hier wie dort bedarf der oberste Gott einer Umgebung, und die verschiednen Sorgen und Wunsche der Menschen verlangen nach einer Vielheit hilfreicher Geister, die alle Mer übersinnlichen Welt angehören, mag auch die Macht dieser Geister eine be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/411>, abgerufen am 04.07.2024.