Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entstehung der Religion

auf Grund allgemeingiltiger psychologischer Erwägungen der Kultus als das
äußere Merkmal vorangestellt werden, das zwar an sich selbst noch nicht für
einen religiösen Inhalt der Handlungen entscheidend, das aber für die Kenn¬
zeichnung vor allem der frühern Stufen der Religion unerläßlich ist. Denn
mag immerhin schließlich eine Tiefe der religiösen Gesinnung möglich sein, die
auf äußere Symbole verzichtet, in der Gesamtentwicklung der hierher gehörigen
Erscheinungen kann es zwar möglicherweise einen Kultus geben, den wir noch
nicht Religion nennen, aber es gibt keine Religion, die nicht in Kultushand¬
lungen nach außen tritt, weil jeder irgendwie lebendig das Bewußtsein er¬
greifende Trieb naturnotwendig in Handlungen sich äußert. Eine Religion,
die von Anfang an bloß in theoretischen Überzeugungen oder subjektiven
Stimmungen ohne äußern Effekt bestünde, ist daher ein psychologisch unmög¬
licher Begriff. Schon darum ist also der Versuch, aus den Schilderungen rein
subjektiver Stimmungen und Gefühle einen Aufschluß über das Wesen der
Religion zu gewinnen, ebenso verkehrt wie die immer wieder auftauchende
Behauptung eines primitiven Monotheismus, der in der bloß theoretischen
Überzeugung von der Existenz eines höchsten Wesens bestehen soll.... Um die
Bedeutung zu ermessen, die der Übergang des Dümonenkults in den Götter¬
kult für die religiöse Entwicklung besitzt, müssen wir uns der drei Eigenschaften
erinnern, die der Begriff des Gottes in sich schließt. Es sind die des über-
oder unterirdischen oder irgendwie sonst der gewöhnlichen sinnlichen Wahr¬
nehmung entrückten Wohnorts, der Unsterblichkeit und endlich einer von
menschlichen Sorgen nicht getrübten Seligkeit. Indem sich mit diesen Eigen¬
schaften auch die andern, die schon den Dämonen zukamen, in gesteigertem Grade
verbinden, werden die Götter zu Natur- und Schicksalsmächten, die der Mensch
durch den ihnen geweihten Kultus zu gewinnen strebt, und in deren eigenstes
Wesen er mehr und mehr die gütige Gesinnung verlegt, von der er in der
Not des Lebens und in der Furcht vor dem Tode Rettung und Hilfe hofft.
So treten uns in den Göttern zum erstenmal die Bilder von Wesen entgegen,
die sinnlich und menschlich und doch soweit möglich übersinnlich und über¬
menschlich, der sinnlichen Umgebung entrückt und dennoch menschlichem Streben
erreichbar gedacht werden. Auf diese Weise entfalten sich in dem Götterkultus
zuerst in der Beziehung menschlichen Tuns und Leidens auf höchste ideale
Wesen religiöse Motive. Es schließt sich nun aber auch, je mehr diese Götter¬
welt von der mythenbildenden Phantasie ausgestaltet wird, immer fester das
Band zwischen Kultus und Mythus. ^Der Kult erzeugt neue Mythen, indem
Kulthandlungen, besonders Mysterienhandlungen, als Darstellungen der Schick¬
sale eines Gottes gedeutet werden.) Ohne Mythus kein religiöser Kultus. Die
Gegenstände, in denen sich die Gefühle der Abhängigkeit von über ihm stehenden
Welt- und Schicksalsmächten verdichten, muß sich der Mensch in sinnlich an¬
schaulichen Bildern gegenüberstellen, wenn sie eine dauernde Wirkung auf sein
Denken und Handeln gewinnen sollen. Damit treten bildende Kunst und


Die Entstehung der Religion

auf Grund allgemeingiltiger psychologischer Erwägungen der Kultus als das
äußere Merkmal vorangestellt werden, das zwar an sich selbst noch nicht für
einen religiösen Inhalt der Handlungen entscheidend, das aber für die Kenn¬
zeichnung vor allem der frühern Stufen der Religion unerläßlich ist. Denn
mag immerhin schließlich eine Tiefe der religiösen Gesinnung möglich sein, die
auf äußere Symbole verzichtet, in der Gesamtentwicklung der hierher gehörigen
Erscheinungen kann es zwar möglicherweise einen Kultus geben, den wir noch
nicht Religion nennen, aber es gibt keine Religion, die nicht in Kultushand¬
lungen nach außen tritt, weil jeder irgendwie lebendig das Bewußtsein er¬
greifende Trieb naturnotwendig in Handlungen sich äußert. Eine Religion,
die von Anfang an bloß in theoretischen Überzeugungen oder subjektiven
Stimmungen ohne äußern Effekt bestünde, ist daher ein psychologisch unmög¬
licher Begriff. Schon darum ist also der Versuch, aus den Schilderungen rein
subjektiver Stimmungen und Gefühle einen Aufschluß über das Wesen der
Religion zu gewinnen, ebenso verkehrt wie die immer wieder auftauchende
Behauptung eines primitiven Monotheismus, der in der bloß theoretischen
Überzeugung von der Existenz eines höchsten Wesens bestehen soll.... Um die
Bedeutung zu ermessen, die der Übergang des Dümonenkults in den Götter¬
kult für die religiöse Entwicklung besitzt, müssen wir uns der drei Eigenschaften
erinnern, die der Begriff des Gottes in sich schließt. Es sind die des über-
oder unterirdischen oder irgendwie sonst der gewöhnlichen sinnlichen Wahr¬
nehmung entrückten Wohnorts, der Unsterblichkeit und endlich einer von
menschlichen Sorgen nicht getrübten Seligkeit. Indem sich mit diesen Eigen¬
schaften auch die andern, die schon den Dämonen zukamen, in gesteigertem Grade
verbinden, werden die Götter zu Natur- und Schicksalsmächten, die der Mensch
durch den ihnen geweihten Kultus zu gewinnen strebt, und in deren eigenstes
Wesen er mehr und mehr die gütige Gesinnung verlegt, von der er in der
Not des Lebens und in der Furcht vor dem Tode Rettung und Hilfe hofft.
So treten uns in den Göttern zum erstenmal die Bilder von Wesen entgegen,
die sinnlich und menschlich und doch soweit möglich übersinnlich und über¬
menschlich, der sinnlichen Umgebung entrückt und dennoch menschlichem Streben
erreichbar gedacht werden. Auf diese Weise entfalten sich in dem Götterkultus
zuerst in der Beziehung menschlichen Tuns und Leidens auf höchste ideale
Wesen religiöse Motive. Es schließt sich nun aber auch, je mehr diese Götter¬
welt von der mythenbildenden Phantasie ausgestaltet wird, immer fester das
Band zwischen Kultus und Mythus. ^Der Kult erzeugt neue Mythen, indem
Kulthandlungen, besonders Mysterienhandlungen, als Darstellungen der Schick¬
sale eines Gottes gedeutet werden.) Ohne Mythus kein religiöser Kultus. Die
Gegenstände, in denen sich die Gefühle der Abhängigkeit von über ihm stehenden
Welt- und Schicksalsmächten verdichten, muß sich der Mensch in sinnlich an¬
schaulichen Bildern gegenüberstellen, wenn sie eine dauernde Wirkung auf sein
Denken und Handeln gewinnen sollen. Damit treten bildende Kunst und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314757"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entstehung der Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1939" prev="#ID_1938" next="#ID_1940"> auf Grund allgemeingiltiger psychologischer Erwägungen der Kultus als das<lb/>
äußere Merkmal vorangestellt werden, das zwar an sich selbst noch nicht für<lb/>
einen religiösen Inhalt der Handlungen entscheidend, das aber für die Kenn¬<lb/>
zeichnung vor allem der frühern Stufen der Religion unerläßlich ist. Denn<lb/>
mag immerhin schließlich eine Tiefe der religiösen Gesinnung möglich sein, die<lb/>
auf äußere Symbole verzichtet, in der Gesamtentwicklung der hierher gehörigen<lb/>
Erscheinungen kann es zwar möglicherweise einen Kultus geben, den wir noch<lb/>
nicht Religion nennen, aber es gibt keine Religion, die nicht in Kultushand¬<lb/>
lungen nach außen tritt, weil jeder irgendwie lebendig das Bewußtsein er¬<lb/>
greifende Trieb naturnotwendig in Handlungen sich äußert. Eine Religion,<lb/>
die von Anfang an bloß in theoretischen Überzeugungen oder subjektiven<lb/>
Stimmungen ohne äußern Effekt bestünde, ist daher ein psychologisch unmög¬<lb/>
licher Begriff. Schon darum ist also der Versuch, aus den Schilderungen rein<lb/>
subjektiver Stimmungen und Gefühle einen Aufschluß über das Wesen der<lb/>
Religion zu gewinnen, ebenso verkehrt wie die immer wieder auftauchende<lb/>
Behauptung eines primitiven Monotheismus, der in der bloß theoretischen<lb/>
Überzeugung von der Existenz eines höchsten Wesens bestehen soll.... Um die<lb/>
Bedeutung zu ermessen, die der Übergang des Dümonenkults in den Götter¬<lb/>
kult für die religiöse Entwicklung besitzt, müssen wir uns der drei Eigenschaften<lb/>
erinnern, die der Begriff des Gottes in sich schließt. Es sind die des über-<lb/>
oder unterirdischen oder irgendwie sonst der gewöhnlichen sinnlichen Wahr¬<lb/>
nehmung entrückten Wohnorts, der Unsterblichkeit und endlich einer von<lb/>
menschlichen Sorgen nicht getrübten Seligkeit. Indem sich mit diesen Eigen¬<lb/>
schaften auch die andern, die schon den Dämonen zukamen, in gesteigertem Grade<lb/>
verbinden, werden die Götter zu Natur- und Schicksalsmächten, die der Mensch<lb/>
durch den ihnen geweihten Kultus zu gewinnen strebt, und in deren eigenstes<lb/>
Wesen er mehr und mehr die gütige Gesinnung verlegt, von der er in der<lb/>
Not des Lebens und in der Furcht vor dem Tode Rettung und Hilfe hofft.<lb/>
So treten uns in den Göttern zum erstenmal die Bilder von Wesen entgegen,<lb/>
die sinnlich und menschlich und doch soweit möglich übersinnlich und über¬<lb/>
menschlich, der sinnlichen Umgebung entrückt und dennoch menschlichem Streben<lb/>
erreichbar gedacht werden. Auf diese Weise entfalten sich in dem Götterkultus<lb/>
zuerst in der Beziehung menschlichen Tuns und Leidens auf höchste ideale<lb/>
Wesen religiöse Motive. Es schließt sich nun aber auch, je mehr diese Götter¬<lb/>
welt von der mythenbildenden Phantasie ausgestaltet wird, immer fester das<lb/>
Band zwischen Kultus und Mythus. ^Der Kult erzeugt neue Mythen, indem<lb/>
Kulthandlungen, besonders Mysterienhandlungen, als Darstellungen der Schick¬<lb/>
sale eines Gottes gedeutet werden.) Ohne Mythus kein religiöser Kultus. Die<lb/>
Gegenstände, in denen sich die Gefühle der Abhängigkeit von über ihm stehenden<lb/>
Welt- und Schicksalsmächten verdichten, muß sich der Mensch in sinnlich an¬<lb/>
schaulichen Bildern gegenüberstellen, wenn sie eine dauernde Wirkung auf sein<lb/>
Denken und Handeln gewinnen sollen.  Damit treten bildende Kunst und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0410] Die Entstehung der Religion auf Grund allgemeingiltiger psychologischer Erwägungen der Kultus als das äußere Merkmal vorangestellt werden, das zwar an sich selbst noch nicht für einen religiösen Inhalt der Handlungen entscheidend, das aber für die Kenn¬ zeichnung vor allem der frühern Stufen der Religion unerläßlich ist. Denn mag immerhin schließlich eine Tiefe der religiösen Gesinnung möglich sein, die auf äußere Symbole verzichtet, in der Gesamtentwicklung der hierher gehörigen Erscheinungen kann es zwar möglicherweise einen Kultus geben, den wir noch nicht Religion nennen, aber es gibt keine Religion, die nicht in Kultushand¬ lungen nach außen tritt, weil jeder irgendwie lebendig das Bewußtsein er¬ greifende Trieb naturnotwendig in Handlungen sich äußert. Eine Religion, die von Anfang an bloß in theoretischen Überzeugungen oder subjektiven Stimmungen ohne äußern Effekt bestünde, ist daher ein psychologisch unmög¬ licher Begriff. Schon darum ist also der Versuch, aus den Schilderungen rein subjektiver Stimmungen und Gefühle einen Aufschluß über das Wesen der Religion zu gewinnen, ebenso verkehrt wie die immer wieder auftauchende Behauptung eines primitiven Monotheismus, der in der bloß theoretischen Überzeugung von der Existenz eines höchsten Wesens bestehen soll.... Um die Bedeutung zu ermessen, die der Übergang des Dümonenkults in den Götter¬ kult für die religiöse Entwicklung besitzt, müssen wir uns der drei Eigenschaften erinnern, die der Begriff des Gottes in sich schließt. Es sind die des über- oder unterirdischen oder irgendwie sonst der gewöhnlichen sinnlichen Wahr¬ nehmung entrückten Wohnorts, der Unsterblichkeit und endlich einer von menschlichen Sorgen nicht getrübten Seligkeit. Indem sich mit diesen Eigen¬ schaften auch die andern, die schon den Dämonen zukamen, in gesteigertem Grade verbinden, werden die Götter zu Natur- und Schicksalsmächten, die der Mensch durch den ihnen geweihten Kultus zu gewinnen strebt, und in deren eigenstes Wesen er mehr und mehr die gütige Gesinnung verlegt, von der er in der Not des Lebens und in der Furcht vor dem Tode Rettung und Hilfe hofft. So treten uns in den Göttern zum erstenmal die Bilder von Wesen entgegen, die sinnlich und menschlich und doch soweit möglich übersinnlich und über¬ menschlich, der sinnlichen Umgebung entrückt und dennoch menschlichem Streben erreichbar gedacht werden. Auf diese Weise entfalten sich in dem Götterkultus zuerst in der Beziehung menschlichen Tuns und Leidens auf höchste ideale Wesen religiöse Motive. Es schließt sich nun aber auch, je mehr diese Götter¬ welt von der mythenbildenden Phantasie ausgestaltet wird, immer fester das Band zwischen Kultus und Mythus. ^Der Kult erzeugt neue Mythen, indem Kulthandlungen, besonders Mysterienhandlungen, als Darstellungen der Schick¬ sale eines Gottes gedeutet werden.) Ohne Mythus kein religiöser Kultus. Die Gegenstände, in denen sich die Gefühle der Abhängigkeit von über ihm stehenden Welt- und Schicksalsmächten verdichten, muß sich der Mensch in sinnlich an¬ schaulichen Bildern gegenüberstellen, wenn sie eine dauernde Wirkung auf sein Denken und Handeln gewinnen sollen. Damit treten bildende Kunst und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/410
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/410>, abgerufen am 04.07.2024.