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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

Handlung sind, falls sie überwunden werden, geeignet, die Kühnheit des Autors
und die ungeheure Lächerlichkeit menschlicher Verwicklungen desto schlagender
hervortreten zu lassen. Nirgends zeigt sich Maupasscmts ungemeiner Ge¬
schmack, seine schlechthin unumschränkte Herrschaft über Sprache und Dar¬
stellung so klar wie auf diesem Gebiet, auf dem scheinbar alles erlaubt ist
und doch nur wenige sich so zu regieren wissen, daß sie gleichzeitig auch
gefallen. . . . Geist, Grazie, ungebundner Drang zum Leben verschönen bei
ihm alles. Das Frechste löst sich ihm in ein zauberhaftes Spiel auf.
Die kleinen Schwächen, die Neigungen, Triebe und Begierden der andern
werden von einem Dichter dargestellt und verspottet, der sich nicht großartig
darüber stellt, sondern sich selbst in das allgemeine Treiben mit einbezieht."
Werk für Werk begleitet Mahn Maupassant auf seinem kurzen und doch
nach seiner dichterischen Ausbeute so reichen Wege und findet immer wieder
den charakterisierenden, einzig passenden Ausdruck. Das Werk ist eine Gabe
von Deutschland an Frankreich, wie wir sie selten sehen. Und wenn ich etwas
daran zu tadeln wüßte, so wäre es die Undankbarkeit gegen Georg von
Ompteda, dessen klassische, den größten Meisterwerken neuerer deutscher Über¬
setzerkunst ebenbürtige Übertragung Maupassants in zwanzig Bänden Mahn
nicht erwähnt.

Zum Schluß seien einige neue Erscheinungen kurz angezeigt, bei denen
eine längere Empfehlung überflüssig ist. Unter dem Titel "Änigmatias" gibt
Franz Brentano (bei C. H. Beck in München) ein feines Mtselbuch für Leute,
die sich in Gesellschaft gern mit Geist den Kopf zerbrechen mögen, und das
sich in der Tat in der Praxis immer wieder bewährt; man dankt ihm keine
Verlorne Stunde. Unter den Büchern der "Rose" (bei Wilhelm Langewiesche-
Brandt in München) sind zum gewohnten Preis von 1 Mark 30 Pfg. Briefe,
Gedichte, Erzählungen der Freiin Annette von Droste-Hülshoff unter dem
Titel "Die Droste" erschienen, ausgewählt von Hans Amelungk. In Reclams
Universalbiliothek vereinigt Fritz Droop Aphorismen und Gedichte Peter Hilles
unter dem Titel "Aus dem Heiligtum der Schönheit", und noch einmal steigt
die rührende Gestalt des immer jungen Träumers und Wandrers, der nie
das Seine suchte, vor uns auf. Wenig goß er in volle Formen, und doch
liegt über diesem Büchlein der unvergängliche Hauch einer reinen Seele, die
in die Tiefe strebte, die den Kindern vor allem sich neigte, die Schönheit
wie ein stilles Glück empfand und so wundervoll, wie ein verspätetes Kind
versunkner Romantik, träumen konnte. Eine dankenswerte neue Ausgabe
ausgewühlter Werke von Achin von Arnim, besorgt und fein eingeleitet von
Monty Jacobs, ist zu sehr wohlfeilen Preise (beim Deutschen Verlagshaus
Borg >K Co.) erschienen, sie bringt Gedichte, mit Recht nicht viele, und neben
den "Kronenwächtern", "Halle und Jerusalem" und einer großen Zahl Er¬
zählungen erfreulicherweise eine Reihe sehr schöner Briefe, denen sich noch das
für den Berliner Arnim besonders charakteristische Lustspiel "Der Stralauer


Literarische Rundschau

Handlung sind, falls sie überwunden werden, geeignet, die Kühnheit des Autors
und die ungeheure Lächerlichkeit menschlicher Verwicklungen desto schlagender
hervortreten zu lassen. Nirgends zeigt sich Maupasscmts ungemeiner Ge¬
schmack, seine schlechthin unumschränkte Herrschaft über Sprache und Dar¬
stellung so klar wie auf diesem Gebiet, auf dem scheinbar alles erlaubt ist
und doch nur wenige sich so zu regieren wissen, daß sie gleichzeitig auch
gefallen. . . . Geist, Grazie, ungebundner Drang zum Leben verschönen bei
ihm alles. Das Frechste löst sich ihm in ein zauberhaftes Spiel auf.
Die kleinen Schwächen, die Neigungen, Triebe und Begierden der andern
werden von einem Dichter dargestellt und verspottet, der sich nicht großartig
darüber stellt, sondern sich selbst in das allgemeine Treiben mit einbezieht."
Werk für Werk begleitet Mahn Maupassant auf seinem kurzen und doch
nach seiner dichterischen Ausbeute so reichen Wege und findet immer wieder
den charakterisierenden, einzig passenden Ausdruck. Das Werk ist eine Gabe
von Deutschland an Frankreich, wie wir sie selten sehen. Und wenn ich etwas
daran zu tadeln wüßte, so wäre es die Undankbarkeit gegen Georg von
Ompteda, dessen klassische, den größten Meisterwerken neuerer deutscher Über¬
setzerkunst ebenbürtige Übertragung Maupassants in zwanzig Bänden Mahn
nicht erwähnt.

Zum Schluß seien einige neue Erscheinungen kurz angezeigt, bei denen
eine längere Empfehlung überflüssig ist. Unter dem Titel „Änigmatias" gibt
Franz Brentano (bei C. H. Beck in München) ein feines Mtselbuch für Leute,
die sich in Gesellschaft gern mit Geist den Kopf zerbrechen mögen, und das
sich in der Tat in der Praxis immer wieder bewährt; man dankt ihm keine
Verlorne Stunde. Unter den Büchern der „Rose" (bei Wilhelm Langewiesche-
Brandt in München) sind zum gewohnten Preis von 1 Mark 30 Pfg. Briefe,
Gedichte, Erzählungen der Freiin Annette von Droste-Hülshoff unter dem
Titel „Die Droste" erschienen, ausgewählt von Hans Amelungk. In Reclams
Universalbiliothek vereinigt Fritz Droop Aphorismen und Gedichte Peter Hilles
unter dem Titel „Aus dem Heiligtum der Schönheit", und noch einmal steigt
die rührende Gestalt des immer jungen Träumers und Wandrers, der nie
das Seine suchte, vor uns auf. Wenig goß er in volle Formen, und doch
liegt über diesem Büchlein der unvergängliche Hauch einer reinen Seele, die
in die Tiefe strebte, die den Kindern vor allem sich neigte, die Schönheit
wie ein stilles Glück empfand und so wundervoll, wie ein verspätetes Kind
versunkner Romantik, träumen konnte. Eine dankenswerte neue Ausgabe
ausgewühlter Werke von Achin von Arnim, besorgt und fein eingeleitet von
Monty Jacobs, ist zu sehr wohlfeilen Preise (beim Deutschen Verlagshaus
Borg >K Co.) erschienen, sie bringt Gedichte, mit Recht nicht viele, und neben
den „Kronenwächtern", „Halle und Jerusalem" und einer großen Zahl Er¬
zählungen erfreulicherweise eine Reihe sehr schöner Briefe, denen sich noch das
für den Berliner Arnim besonders charakteristische Lustspiel „Der Stralauer


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[0274] Literarische Rundschau Handlung sind, falls sie überwunden werden, geeignet, die Kühnheit des Autors und die ungeheure Lächerlichkeit menschlicher Verwicklungen desto schlagender hervortreten zu lassen. Nirgends zeigt sich Maupasscmts ungemeiner Ge¬ schmack, seine schlechthin unumschränkte Herrschaft über Sprache und Dar¬ stellung so klar wie auf diesem Gebiet, auf dem scheinbar alles erlaubt ist und doch nur wenige sich so zu regieren wissen, daß sie gleichzeitig auch gefallen. . . . Geist, Grazie, ungebundner Drang zum Leben verschönen bei ihm alles. Das Frechste löst sich ihm in ein zauberhaftes Spiel auf. Die kleinen Schwächen, die Neigungen, Triebe und Begierden der andern werden von einem Dichter dargestellt und verspottet, der sich nicht großartig darüber stellt, sondern sich selbst in das allgemeine Treiben mit einbezieht." Werk für Werk begleitet Mahn Maupassant auf seinem kurzen und doch nach seiner dichterischen Ausbeute so reichen Wege und findet immer wieder den charakterisierenden, einzig passenden Ausdruck. Das Werk ist eine Gabe von Deutschland an Frankreich, wie wir sie selten sehen. Und wenn ich etwas daran zu tadeln wüßte, so wäre es die Undankbarkeit gegen Georg von Ompteda, dessen klassische, den größten Meisterwerken neuerer deutscher Über¬ setzerkunst ebenbürtige Übertragung Maupassants in zwanzig Bänden Mahn nicht erwähnt. Zum Schluß seien einige neue Erscheinungen kurz angezeigt, bei denen eine längere Empfehlung überflüssig ist. Unter dem Titel „Änigmatias" gibt Franz Brentano (bei C. H. Beck in München) ein feines Mtselbuch für Leute, die sich in Gesellschaft gern mit Geist den Kopf zerbrechen mögen, und das sich in der Tat in der Praxis immer wieder bewährt; man dankt ihm keine Verlorne Stunde. Unter den Büchern der „Rose" (bei Wilhelm Langewiesche- Brandt in München) sind zum gewohnten Preis von 1 Mark 30 Pfg. Briefe, Gedichte, Erzählungen der Freiin Annette von Droste-Hülshoff unter dem Titel „Die Droste" erschienen, ausgewählt von Hans Amelungk. In Reclams Universalbiliothek vereinigt Fritz Droop Aphorismen und Gedichte Peter Hilles unter dem Titel „Aus dem Heiligtum der Schönheit", und noch einmal steigt die rührende Gestalt des immer jungen Träumers und Wandrers, der nie das Seine suchte, vor uns auf. Wenig goß er in volle Formen, und doch liegt über diesem Büchlein der unvergängliche Hauch einer reinen Seele, die in die Tiefe strebte, die den Kindern vor allem sich neigte, die Schönheit wie ein stilles Glück empfand und so wundervoll, wie ein verspätetes Kind versunkner Romantik, träumen konnte. Eine dankenswerte neue Ausgabe ausgewühlter Werke von Achin von Arnim, besorgt und fein eingeleitet von Monty Jacobs, ist zu sehr wohlfeilen Preise (beim Deutschen Verlagshaus Borg >K Co.) erschienen, sie bringt Gedichte, mit Recht nicht viele, und neben den „Kronenwächtern", „Halle und Jerusalem" und einer großen Zahl Er¬ zählungen erfreulicherweise eine Reihe sehr schöner Briefe, denen sich noch das für den Berliner Arnim besonders charakteristische Lustspiel „Der Stralauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/274>, abgerufen am 24.07.2024.