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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Ztiterarische Rundschau

Wieder von dem Herzog, an dessen Hof er Dienste genommen hatte, die ver¬
fehlte Ehe wird gelöst, und nun sehen wir ihn allmählich hinübergleiten zu
Frau von Stael, sehen und erleben die berühmte" Tage am Genfer See, in
die so viele deutsche Geister mit hineingezogen sind. Die beiden kommen nach
Weimar, Constant tritt mit Goethe in Berührung und bearbeitet, neuerlich,
der Frau von Stael wegen im Geheimen, mit einer zweiten Deutschen,
Charlotte von Mcchrenholtz, vermählt, Schillers Wallenstein für seine fran¬
zösischen Landsleute. Und dann begleiten wir Constant, der jetzt unumschränkt
von Gedanken an Juliette Recamier beherrscht wird, auf die Höhe seiner
politischen Wirksamkeit. Er, der während der ersten Republik Tribun gewesen
ist und seine berühmten ersten politischen Essays geschrieben hat, tritt nun
w den hundert Tagen neben den zurückgekehrten Napoleon, den er, wie Frau
von Stael, doch früher gehaßt hatte. Es reizte diesen beweglichen und im
Grunde unglücklichen Geist, wie Ettlinger sagt, "der Marquis Posa dieses
größten aller lebenden Selbstherrscher zu werden", der ihn gefangen hatte
durch die Bitte: "Bringen Sie mir Ihre Vorschläge! Zensurfreiheit. Wahl¬
freiheit. Ministerverantwortlichkeit, Preßfreiheit, alles das will ich geben."
Und als die hundert Tage vorüber sind, folgt der letzte politische Kampf
gegen Chateaubriand und seine Partei, der eigentliche liberale Kampf gegen
das Königtum, das nichts gelernt hat, im Parlament und in der Presse,
zugleich die Zeit, wo Constant in seinem Pariser Hause nicht nur alle Häupter
der liberale" Opposition, sondern auch alle die großen Gelehrten, Künstler,
Schriftsteller Frankreichs und des Auslandes, Humboldt, Mranger, Vernet
und wie viele noch, empfing. Er hatte inzwischen seinen Bekenntnisroman
"Adolphe" geschrieben, aber sein Tod im Jahre 1831 fand ihn vor allem
als den weithin in seinem Vaterlands bewunderten und verehrten liberalen
Politiker, an dessen offnem Grabe auch der große Lafayette bewegte Worte
sprach. In der Tat. ein ungemein reiches, eigenartiges Leben, das Ettlinger
wirklich nicht nur mit der Forscherkunst des Historikers, sondern auch mit der
gestaltenden Kraft eines echten Erzählers dargestellt hat.

Weit tiefer ins Ästhetische mußte Paul Mahn bei seiner Aufgabe greifen.
Auch er gibt, dokumentarisch unterstützt, das Leben seines Helden, das nur
zu kurze und früh umnachtete Guy de Maupassants. Aber dann muß das
unvergleichlich reichere Werk dieses größten französischen Novellisten bis ins
Detail dargelegt und analysiert werden. Die Maßstäbe, die sich Mahn holt,
liegen immer wieder in dem großen Dichter selbst. Und gleich fern von
kritikloser Bewunderung wie von äußerlich urteilender, rein stofflicher Analyse
weiß er jenen entzückenden Schimmer, jene letzte Heiterkeit darzustellen, die
auch noch über Maupassants oft so tiefer Tragik liegen: "Wie in den alten
Fabliaux. wie in der Schwankliteratur aller Völker, sagt Mahn an einer
Stelle, wiegen auch in Maupassants Fabliaux die geschlechtlichen Gegenstände
vor. Die erhöhte Schwierigkeit eines Stoffbezirks, die Gefahren der Be-


Grenzboten IV 1909
Ztiterarische Rundschau

Wieder von dem Herzog, an dessen Hof er Dienste genommen hatte, die ver¬
fehlte Ehe wird gelöst, und nun sehen wir ihn allmählich hinübergleiten zu
Frau von Stael, sehen und erleben die berühmte» Tage am Genfer See, in
die so viele deutsche Geister mit hineingezogen sind. Die beiden kommen nach
Weimar, Constant tritt mit Goethe in Berührung und bearbeitet, neuerlich,
der Frau von Stael wegen im Geheimen, mit einer zweiten Deutschen,
Charlotte von Mcchrenholtz, vermählt, Schillers Wallenstein für seine fran¬
zösischen Landsleute. Und dann begleiten wir Constant, der jetzt unumschränkt
von Gedanken an Juliette Recamier beherrscht wird, auf die Höhe seiner
politischen Wirksamkeit. Er, der während der ersten Republik Tribun gewesen
ist und seine berühmten ersten politischen Essays geschrieben hat, tritt nun
w den hundert Tagen neben den zurückgekehrten Napoleon, den er, wie Frau
von Stael, doch früher gehaßt hatte. Es reizte diesen beweglichen und im
Grunde unglücklichen Geist, wie Ettlinger sagt, „der Marquis Posa dieses
größten aller lebenden Selbstherrscher zu werden", der ihn gefangen hatte
durch die Bitte: „Bringen Sie mir Ihre Vorschläge! Zensurfreiheit. Wahl¬
freiheit. Ministerverantwortlichkeit, Preßfreiheit, alles das will ich geben."
Und als die hundert Tage vorüber sind, folgt der letzte politische Kampf
gegen Chateaubriand und seine Partei, der eigentliche liberale Kampf gegen
das Königtum, das nichts gelernt hat, im Parlament und in der Presse,
zugleich die Zeit, wo Constant in seinem Pariser Hause nicht nur alle Häupter
der liberale» Opposition, sondern auch alle die großen Gelehrten, Künstler,
Schriftsteller Frankreichs und des Auslandes, Humboldt, Mranger, Vernet
und wie viele noch, empfing. Er hatte inzwischen seinen Bekenntnisroman
»Adolphe" geschrieben, aber sein Tod im Jahre 1831 fand ihn vor allem
als den weithin in seinem Vaterlands bewunderten und verehrten liberalen
Politiker, an dessen offnem Grabe auch der große Lafayette bewegte Worte
sprach. In der Tat. ein ungemein reiches, eigenartiges Leben, das Ettlinger
wirklich nicht nur mit der Forscherkunst des Historikers, sondern auch mit der
gestaltenden Kraft eines echten Erzählers dargestellt hat.

Weit tiefer ins Ästhetische mußte Paul Mahn bei seiner Aufgabe greifen.
Auch er gibt, dokumentarisch unterstützt, das Leben seines Helden, das nur
zu kurze und früh umnachtete Guy de Maupassants. Aber dann muß das
unvergleichlich reichere Werk dieses größten französischen Novellisten bis ins
Detail dargelegt und analysiert werden. Die Maßstäbe, die sich Mahn holt,
liegen immer wieder in dem großen Dichter selbst. Und gleich fern von
kritikloser Bewunderung wie von äußerlich urteilender, rein stofflicher Analyse
weiß er jenen entzückenden Schimmer, jene letzte Heiterkeit darzustellen, die
auch noch über Maupassants oft so tiefer Tragik liegen: „Wie in den alten
Fabliaux. wie in der Schwankliteratur aller Völker, sagt Mahn an einer
Stelle, wiegen auch in Maupassants Fabliaux die geschlechtlichen Gegenstände
vor. Die erhöhte Schwierigkeit eines Stoffbezirks, die Gefahren der Be-


Grenzboten IV 1909
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[0273] Ztiterarische Rundschau Wieder von dem Herzog, an dessen Hof er Dienste genommen hatte, die ver¬ fehlte Ehe wird gelöst, und nun sehen wir ihn allmählich hinübergleiten zu Frau von Stael, sehen und erleben die berühmte» Tage am Genfer See, in die so viele deutsche Geister mit hineingezogen sind. Die beiden kommen nach Weimar, Constant tritt mit Goethe in Berührung und bearbeitet, neuerlich, der Frau von Stael wegen im Geheimen, mit einer zweiten Deutschen, Charlotte von Mcchrenholtz, vermählt, Schillers Wallenstein für seine fran¬ zösischen Landsleute. Und dann begleiten wir Constant, der jetzt unumschränkt von Gedanken an Juliette Recamier beherrscht wird, auf die Höhe seiner politischen Wirksamkeit. Er, der während der ersten Republik Tribun gewesen ist und seine berühmten ersten politischen Essays geschrieben hat, tritt nun w den hundert Tagen neben den zurückgekehrten Napoleon, den er, wie Frau von Stael, doch früher gehaßt hatte. Es reizte diesen beweglichen und im Grunde unglücklichen Geist, wie Ettlinger sagt, „der Marquis Posa dieses größten aller lebenden Selbstherrscher zu werden", der ihn gefangen hatte durch die Bitte: „Bringen Sie mir Ihre Vorschläge! Zensurfreiheit. Wahl¬ freiheit. Ministerverantwortlichkeit, Preßfreiheit, alles das will ich geben." Und als die hundert Tage vorüber sind, folgt der letzte politische Kampf gegen Chateaubriand und seine Partei, der eigentliche liberale Kampf gegen das Königtum, das nichts gelernt hat, im Parlament und in der Presse, zugleich die Zeit, wo Constant in seinem Pariser Hause nicht nur alle Häupter der liberale» Opposition, sondern auch alle die großen Gelehrten, Künstler, Schriftsteller Frankreichs und des Auslandes, Humboldt, Mranger, Vernet und wie viele noch, empfing. Er hatte inzwischen seinen Bekenntnisroman »Adolphe" geschrieben, aber sein Tod im Jahre 1831 fand ihn vor allem als den weithin in seinem Vaterlands bewunderten und verehrten liberalen Politiker, an dessen offnem Grabe auch der große Lafayette bewegte Worte sprach. In der Tat. ein ungemein reiches, eigenartiges Leben, das Ettlinger wirklich nicht nur mit der Forscherkunst des Historikers, sondern auch mit der gestaltenden Kraft eines echten Erzählers dargestellt hat. Weit tiefer ins Ästhetische mußte Paul Mahn bei seiner Aufgabe greifen. Auch er gibt, dokumentarisch unterstützt, das Leben seines Helden, das nur zu kurze und früh umnachtete Guy de Maupassants. Aber dann muß das unvergleichlich reichere Werk dieses größten französischen Novellisten bis ins Detail dargelegt und analysiert werden. Die Maßstäbe, die sich Mahn holt, liegen immer wieder in dem großen Dichter selbst. Und gleich fern von kritikloser Bewunderung wie von äußerlich urteilender, rein stofflicher Analyse weiß er jenen entzückenden Schimmer, jene letzte Heiterkeit darzustellen, die auch noch über Maupassants oft so tiefer Tragik liegen: „Wie in den alten Fabliaux. wie in der Schwankliteratur aller Völker, sagt Mahn an einer Stelle, wiegen auch in Maupassants Fabliaux die geschlechtlichen Gegenstände vor. Die erhöhte Schwierigkeit eines Stoffbezirks, die Gefahren der Be- Grenzboten IV 1909

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/273>, abgerufen am 24.07.2024.