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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hcholastentum
von Adolf Mayer - 2

!N dieser Stelle ist es mir aber mehr darum zu tun, das noch
immer in der Philosophie und in der Ästhetik herrschende Scho-
lastentum nachzuweisen. Kant hat wohl in dieser Beziehung
gründlich Besserung gebracht, vor allem durch seinen Hinweis
lauf die Gefährlichkeit synthetischer Urteile, durch die man vom
Begriff mehr sage, als ursprünglich im Begriff enthalten sei, aber noch keines¬
wegs den alten Wust von unvollständig definierten Begriffen, die sich wie
eine Krankheit forterbten, und denen jeder neue Philosoph wieder einen
modifizierten Sinn unterlegte, endgiltig aus der Welt geschafft. Nach ihm
begannen Hegel und Schelling wieder das alte Spiel, sodaß Schopen¬
hauer nachher nicht mit Unrecht klagen konnte, das sicherste Kennzeichen, daß
jemand kein Philosoph sei, wäre, daß er Professor dieses Faches sei. Ihre
Systeme erscheinen uns heute größtenteils nicht viel besser als ein Kauderwelsch
gleich dem Hexeneinmaleins. Und doch waren beide ausgezeichnete Männer, was
sich aus nichts deutlicher ergibt, als daß sie trotz dieser unverständlichen und viel¬
deutigen Systeme doch viele bedeutende Dinge gesagt, ja auch ein offnes Auge
und einen bedeutenden Einfluß auf ihre Zeit gehabt haben. Ein Hauptgrundsatz
der rationellen (Ritterschen) Geographie, daß das Wasser ein verbindendes, kein
trennendes Element sei, findet sich zum Beispiel schon bei Hegel.

Unsre heutigen Philosophen, die bedeutendsten unter ihnen, wie Kuno
Fischer, Windelband, Paulsen, sind im Grunde nur Historiker. Sie
schreiben die Geschichte der Philosophie, aber sie bauen nicht mehr fort an
den Systemen, denen sie nur aus ihren Entstehungsursachen eine interessante,
die Hörer fesselnde Seite abgewinnen und wobei, wenn man auf die
künstlerische Ausgestaltung des Gegenstandes achtet, auch wahrhaft großes ge¬
leistet wurde. Positiv haben eigentlich nur noch die einige Bedeutung, die
wie Wundt von der Naturwissenschaft herkommen und in die experimentelle
Psychologie das Schwergewicht ihrer Forschungen verlegt haben, das aber
ziemlich außerhalb dessen liegt, was man ehemals als Philosophie bezeichnete.
Aber wie darf man sich erkühnen, ein so hartes Urteil auszusprechen? Ist
nicht, wie jene Historiker beweisen, ein ganzes Forscherleben dazu notwendig,




Hcholastentum
von Adolf Mayer - 2

!N dieser Stelle ist es mir aber mehr darum zu tun, das noch
immer in der Philosophie und in der Ästhetik herrschende Scho-
lastentum nachzuweisen. Kant hat wohl in dieser Beziehung
gründlich Besserung gebracht, vor allem durch seinen Hinweis
lauf die Gefährlichkeit synthetischer Urteile, durch die man vom
Begriff mehr sage, als ursprünglich im Begriff enthalten sei, aber noch keines¬
wegs den alten Wust von unvollständig definierten Begriffen, die sich wie
eine Krankheit forterbten, und denen jeder neue Philosoph wieder einen
modifizierten Sinn unterlegte, endgiltig aus der Welt geschafft. Nach ihm
begannen Hegel und Schelling wieder das alte Spiel, sodaß Schopen¬
hauer nachher nicht mit Unrecht klagen konnte, das sicherste Kennzeichen, daß
jemand kein Philosoph sei, wäre, daß er Professor dieses Faches sei. Ihre
Systeme erscheinen uns heute größtenteils nicht viel besser als ein Kauderwelsch
gleich dem Hexeneinmaleins. Und doch waren beide ausgezeichnete Männer, was
sich aus nichts deutlicher ergibt, als daß sie trotz dieser unverständlichen und viel¬
deutigen Systeme doch viele bedeutende Dinge gesagt, ja auch ein offnes Auge
und einen bedeutenden Einfluß auf ihre Zeit gehabt haben. Ein Hauptgrundsatz
der rationellen (Ritterschen) Geographie, daß das Wasser ein verbindendes, kein
trennendes Element sei, findet sich zum Beispiel schon bei Hegel.

Unsre heutigen Philosophen, die bedeutendsten unter ihnen, wie Kuno
Fischer, Windelband, Paulsen, sind im Grunde nur Historiker. Sie
schreiben die Geschichte der Philosophie, aber sie bauen nicht mehr fort an
den Systemen, denen sie nur aus ihren Entstehungsursachen eine interessante,
die Hörer fesselnde Seite abgewinnen und wobei, wenn man auf die
künstlerische Ausgestaltung des Gegenstandes achtet, auch wahrhaft großes ge¬
leistet wurde. Positiv haben eigentlich nur noch die einige Bedeutung, die
wie Wundt von der Naturwissenschaft herkommen und in die experimentelle
Psychologie das Schwergewicht ihrer Forschungen verlegt haben, das aber
ziemlich außerhalb dessen liegt, was man ehemals als Philosophie bezeichnete.
Aber wie darf man sich erkühnen, ein so hartes Urteil auszusprechen? Ist
nicht, wie jene Historiker beweisen, ein ganzes Forscherleben dazu notwendig,


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[0263] [Abbildung] Hcholastentum von Adolf Mayer - 2 !N dieser Stelle ist es mir aber mehr darum zu tun, das noch immer in der Philosophie und in der Ästhetik herrschende Scho- lastentum nachzuweisen. Kant hat wohl in dieser Beziehung gründlich Besserung gebracht, vor allem durch seinen Hinweis lauf die Gefährlichkeit synthetischer Urteile, durch die man vom Begriff mehr sage, als ursprünglich im Begriff enthalten sei, aber noch keines¬ wegs den alten Wust von unvollständig definierten Begriffen, die sich wie eine Krankheit forterbten, und denen jeder neue Philosoph wieder einen modifizierten Sinn unterlegte, endgiltig aus der Welt geschafft. Nach ihm begannen Hegel und Schelling wieder das alte Spiel, sodaß Schopen¬ hauer nachher nicht mit Unrecht klagen konnte, das sicherste Kennzeichen, daß jemand kein Philosoph sei, wäre, daß er Professor dieses Faches sei. Ihre Systeme erscheinen uns heute größtenteils nicht viel besser als ein Kauderwelsch gleich dem Hexeneinmaleins. Und doch waren beide ausgezeichnete Männer, was sich aus nichts deutlicher ergibt, als daß sie trotz dieser unverständlichen und viel¬ deutigen Systeme doch viele bedeutende Dinge gesagt, ja auch ein offnes Auge und einen bedeutenden Einfluß auf ihre Zeit gehabt haben. Ein Hauptgrundsatz der rationellen (Ritterschen) Geographie, daß das Wasser ein verbindendes, kein trennendes Element sei, findet sich zum Beispiel schon bei Hegel. Unsre heutigen Philosophen, die bedeutendsten unter ihnen, wie Kuno Fischer, Windelband, Paulsen, sind im Grunde nur Historiker. Sie schreiben die Geschichte der Philosophie, aber sie bauen nicht mehr fort an den Systemen, denen sie nur aus ihren Entstehungsursachen eine interessante, die Hörer fesselnde Seite abgewinnen und wobei, wenn man auf die künstlerische Ausgestaltung des Gegenstandes achtet, auch wahrhaft großes ge¬ leistet wurde. Positiv haben eigentlich nur noch die einige Bedeutung, die wie Wundt von der Naturwissenschaft herkommen und in die experimentelle Psychologie das Schwergewicht ihrer Forschungen verlegt haben, das aber ziemlich außerhalb dessen liegt, was man ehemals als Philosophie bezeichnete. Aber wie darf man sich erkühnen, ein so hartes Urteil auszusprechen? Ist nicht, wie jene Historiker beweisen, ein ganzes Forscherleben dazu notwendig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/263>, abgerufen am 24.07.2024.