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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Umgestaltung des Rechtsstudiums

zu füllen, die ihn nachher beim weitern theoretischen Studium als lebendige
Beispiele begleiten. Seine Mitwirkung bei diesen Vorgängen wird freilich immer
nur eine untergeordnete sein können; zu selbständiger Tätigkeit wird er nicht
vordringen, weil er dazu am einzelnen Gegenstand zu flüchtig vorbei muß und
zu wenig Vorkenntnisse mitbringt. Dies letztere wird ihm hierbei besonders
zum Bewußtsein gebracht werden; er wird sehen, daß diese Kenntnisse und
wozu sie nötig sind; er wird einigermaßen beurteilen lernen, was man zur
eignen Rechtsanwendung braucht.

Aber nicht nur die Erkenntnis der Notwendigkeit, sondern auch der Wunsch
nach eingehender theoretischer Beschäftigung wird rege werden. Denn wie
theoretisches Studium den Wunsch und das Bedürfnis nach eigner praktischer
Betätigung auslöst, so bietet diese eine dauernde Quelle der Anregung zur
Ergänzung und Vertiefung der theoretischen Kenntnisse. Und dieser Wunsch
wird rechtzeitig seine Erfüllung finden in der Ablösung des praktischen Aus¬
bildungsdienstes durch die Fortsetzung des Studiums. Darin liegt ja gerade
der besondre Vorzug dieses Planes, daß er den naturgemäß sich entwickelnden
Wünschen und Interessen du Studierenden in der denkbar besten Weise gerecht
wird. Kann doch nichts den eignen Lernbetrieb des Lernenden ersetzen, nichts
auf den Fortgang des Unterrichts förderlicher wirken als dieser. Man muß
aus eigner Erfahrung und Anschauung wissen, wie viel Arbeitskraft und -lust,
wie viel wissenschaftliche Begeisterung junger Juristen an abseitsliegende
Gegenstände verschwendet oder im Keime erstickt wird, um ermessen zu können,
was hier an Kräften dem eignen Fache zugeführt werden könnte. Das Bild
würde mit einem Schlage ein andres werden; es würde sich erweisen, daß es
nicht am Gegenstande, sondern an seiner Behandlung liegt, wenn heute der
Rechtsstudent seinen Kommilitonen andrer Fakultäten an Eifer so nachsteht.

Gewisse Bedenken und Schwierigkeiten werden sich dergleichen umwälzenden
Vorschlägen stets entgegenstellen. Sie bleiben auch hier nicht aus, und der
Urheber der Vorschläge verkennt sie selbst nicht. Näher darauf einzugehn ist
dies nicht der Ort. Zweifellos aber werden sie gegenüber der werbenden
Kraft jener Vorschläge kein dauerndes Hindernis für ihre Verwirklichung
bilden können.

Geheimrat Zitelmann ist der Überzeugung, daß eine Umgestaltung der
juristischen Vorbildung in absehbarer Zeit kommen, und daß sie in der von
ihm gezeigten Richtung kommen wird. Wenn er Recht behält, so sind die zu
beneiden, die in Zukunft unter solchen idealen Bedingungen Rechtswissenschaft
studieren dürfen.




Zur Umgestaltung des Rechtsstudiums

zu füllen, die ihn nachher beim weitern theoretischen Studium als lebendige
Beispiele begleiten. Seine Mitwirkung bei diesen Vorgängen wird freilich immer
nur eine untergeordnete sein können; zu selbständiger Tätigkeit wird er nicht
vordringen, weil er dazu am einzelnen Gegenstand zu flüchtig vorbei muß und
zu wenig Vorkenntnisse mitbringt. Dies letztere wird ihm hierbei besonders
zum Bewußtsein gebracht werden; er wird sehen, daß diese Kenntnisse und
wozu sie nötig sind; er wird einigermaßen beurteilen lernen, was man zur
eignen Rechtsanwendung braucht.

Aber nicht nur die Erkenntnis der Notwendigkeit, sondern auch der Wunsch
nach eingehender theoretischer Beschäftigung wird rege werden. Denn wie
theoretisches Studium den Wunsch und das Bedürfnis nach eigner praktischer
Betätigung auslöst, so bietet diese eine dauernde Quelle der Anregung zur
Ergänzung und Vertiefung der theoretischen Kenntnisse. Und dieser Wunsch
wird rechtzeitig seine Erfüllung finden in der Ablösung des praktischen Aus¬
bildungsdienstes durch die Fortsetzung des Studiums. Darin liegt ja gerade
der besondre Vorzug dieses Planes, daß er den naturgemäß sich entwickelnden
Wünschen und Interessen du Studierenden in der denkbar besten Weise gerecht
wird. Kann doch nichts den eignen Lernbetrieb des Lernenden ersetzen, nichts
auf den Fortgang des Unterrichts förderlicher wirken als dieser. Man muß
aus eigner Erfahrung und Anschauung wissen, wie viel Arbeitskraft und -lust,
wie viel wissenschaftliche Begeisterung junger Juristen an abseitsliegende
Gegenstände verschwendet oder im Keime erstickt wird, um ermessen zu können,
was hier an Kräften dem eignen Fache zugeführt werden könnte. Das Bild
würde mit einem Schlage ein andres werden; es würde sich erweisen, daß es
nicht am Gegenstande, sondern an seiner Behandlung liegt, wenn heute der
Rechtsstudent seinen Kommilitonen andrer Fakultäten an Eifer so nachsteht.

Gewisse Bedenken und Schwierigkeiten werden sich dergleichen umwälzenden
Vorschlägen stets entgegenstellen. Sie bleiben auch hier nicht aus, und der
Urheber der Vorschläge verkennt sie selbst nicht. Näher darauf einzugehn ist
dies nicht der Ort. Zweifellos aber werden sie gegenüber der werbenden
Kraft jener Vorschläge kein dauerndes Hindernis für ihre Verwirklichung
bilden können.

Geheimrat Zitelmann ist der Überzeugung, daß eine Umgestaltung der
juristischen Vorbildung in absehbarer Zeit kommen, und daß sie in der von
ihm gezeigten Richtung kommen wird. Wenn er Recht behält, so sind die zu
beneiden, die in Zukunft unter solchen idealen Bedingungen Rechtswissenschaft
studieren dürfen.




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[0262] Zur Umgestaltung des Rechtsstudiums zu füllen, die ihn nachher beim weitern theoretischen Studium als lebendige Beispiele begleiten. Seine Mitwirkung bei diesen Vorgängen wird freilich immer nur eine untergeordnete sein können; zu selbständiger Tätigkeit wird er nicht vordringen, weil er dazu am einzelnen Gegenstand zu flüchtig vorbei muß und zu wenig Vorkenntnisse mitbringt. Dies letztere wird ihm hierbei besonders zum Bewußtsein gebracht werden; er wird sehen, daß diese Kenntnisse und wozu sie nötig sind; er wird einigermaßen beurteilen lernen, was man zur eignen Rechtsanwendung braucht. Aber nicht nur die Erkenntnis der Notwendigkeit, sondern auch der Wunsch nach eingehender theoretischer Beschäftigung wird rege werden. Denn wie theoretisches Studium den Wunsch und das Bedürfnis nach eigner praktischer Betätigung auslöst, so bietet diese eine dauernde Quelle der Anregung zur Ergänzung und Vertiefung der theoretischen Kenntnisse. Und dieser Wunsch wird rechtzeitig seine Erfüllung finden in der Ablösung des praktischen Aus¬ bildungsdienstes durch die Fortsetzung des Studiums. Darin liegt ja gerade der besondre Vorzug dieses Planes, daß er den naturgemäß sich entwickelnden Wünschen und Interessen du Studierenden in der denkbar besten Weise gerecht wird. Kann doch nichts den eignen Lernbetrieb des Lernenden ersetzen, nichts auf den Fortgang des Unterrichts förderlicher wirken als dieser. Man muß aus eigner Erfahrung und Anschauung wissen, wie viel Arbeitskraft und -lust, wie viel wissenschaftliche Begeisterung junger Juristen an abseitsliegende Gegenstände verschwendet oder im Keime erstickt wird, um ermessen zu können, was hier an Kräften dem eignen Fache zugeführt werden könnte. Das Bild würde mit einem Schlage ein andres werden; es würde sich erweisen, daß es nicht am Gegenstande, sondern an seiner Behandlung liegt, wenn heute der Rechtsstudent seinen Kommilitonen andrer Fakultäten an Eifer so nachsteht. Gewisse Bedenken und Schwierigkeiten werden sich dergleichen umwälzenden Vorschlägen stets entgegenstellen. Sie bleiben auch hier nicht aus, und der Urheber der Vorschläge verkennt sie selbst nicht. Näher darauf einzugehn ist dies nicht der Ort. Zweifellos aber werden sie gegenüber der werbenden Kraft jener Vorschläge kein dauerndes Hindernis für ihre Verwirklichung bilden können. Geheimrat Zitelmann ist der Überzeugung, daß eine Umgestaltung der juristischen Vorbildung in absehbarer Zeit kommen, und daß sie in der von ihm gezeigten Richtung kommen wird. Wenn er Recht behält, so sind die zu beneiden, die in Zukunft unter solchen idealen Bedingungen Rechtswissenschaft studieren dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/262>, abgerufen am 24.07.2024.