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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Umgestaltung des Rechtsstudiums

die Studierenden durch irgendwelche Zwangsmaßregeln zum Hörsaalbesuch zu
bewegen. "Innere Teilnahme, auf die alles ankommt, läßt sich nicht er¬
zwingen."

Seine Hauptforderung ist: doppelter Wechsel zwischen Studium und
Praktischen Ausbildungsdienst. Die ersten zwei bis drei Semester sollen
lediglich der Einführung in die gesamte Rechts-und Staatswissenschaft dienen;
sie sollen elementare Einführungsvorlesungen in alle Rechtsdisziplinen sowie
die Vorlesungen über theoretische und praktische Nationalökonomie enthalten.
Dann soll ein zweijähriger Vorbereitungsdienst folgen, der zu drei Viertel bei
den Justiz-, zu einem Viertel bei den Verwaltungsbehörden abzuleisten ist. An
ihn soll sich der fünfsemestrige Hauptteil des Studiums anschließen. Dieser
soll die bisher üblichen Vorlesungen mit Ausnahme der obengenannten, also
das gesamte Recht noch einmal, aber -- auf Grund der schon mitgebrachten
Vorbildung -- in knapperer und zugleich tiefer eindringender Darstellung
bringen. Den Abschluß soll ein weiteres Jahr des Vorbereitungsdienstes bilden;
darauf folgt dann das Assessorexamen. Damit würde also gegen den jetzigen
Zustand in Preußen der Vorbereitungsdienst im, ein Jahr verkürzt, das
Studium um denselben Zeitraum verlängert.

Dieser Gedanke: einen zweifachen Wechsel zwischen Studium und Vor¬
bereitungsdienst eintreten zu lassen, erscheint ganz außerordentlich glücklich.
Ich glaube, jeder Student wird mit Freude nach den ersten drei Studien¬
semestern die Gelegenheit begrüßen, einen Einblick in das praktische Rechts¬
leben tun zu dürfen. Es wird sich bei ihm -- ich darf diesen Ausdruck ge¬
brauchen -- eine gewisse Neugierde regen, einmal zu sehen und zu hören,
wie es denn eigenlich bei Gericht zugeht, wie sich die Dinge, von denen er
in der theoretischen Vorlesung eine dunkle Vorstellung bekommen hat, im
wirklichen Leben abspielen. Diese Neugierde ist nichts Unwürdiges, ist kein
Fehler, sondern etwas durchaus Natürliches und Selbstverständliches. Sie
geschickt auszunützen ist ein Gebot pädagogischer Klugheit; denn sie ist eine
lebendige Kraft, die, richtig geleitet, den Schüler ein gutes Stück weiter¬
führen wird, während sie ganz ungenützt verloren geht, wenn sie nicht be¬
friedigt wird.

Der Prozeß sowohl des Zivil- als auch besonders des Strafrechts weckt
ja schon durch seine Lebendigkeit, die Feierlichkeit seiner Formen und die
Spannung, wie die Entscheidung fallen wird, das rein äußerliche Interesse sogar
des Laien, wieviel mehr das des angehenden Juristen. Ähnliches gilt aber
auch für andre Gegenstände: das Grundbuch, die Testamentserrichtung, -Ver¬
wahrung und -eröffnung, die Zwangsversteigerung, die Führung der verschiednen
Register und vieles andre mehr sind Dinge, die die Neugierde des An¬
fängers wecken.

Es wird darauf ankommen, ihm in diesem ersten Ausbildungsabschnitt
möglichst viel Anschauung zu gewähren, sein Gedächtnis möglichst mit Bildern


Zur Umgestaltung des Rechtsstudiums

die Studierenden durch irgendwelche Zwangsmaßregeln zum Hörsaalbesuch zu
bewegen. „Innere Teilnahme, auf die alles ankommt, läßt sich nicht er¬
zwingen."

Seine Hauptforderung ist: doppelter Wechsel zwischen Studium und
Praktischen Ausbildungsdienst. Die ersten zwei bis drei Semester sollen
lediglich der Einführung in die gesamte Rechts-und Staatswissenschaft dienen;
sie sollen elementare Einführungsvorlesungen in alle Rechtsdisziplinen sowie
die Vorlesungen über theoretische und praktische Nationalökonomie enthalten.
Dann soll ein zweijähriger Vorbereitungsdienst folgen, der zu drei Viertel bei
den Justiz-, zu einem Viertel bei den Verwaltungsbehörden abzuleisten ist. An
ihn soll sich der fünfsemestrige Hauptteil des Studiums anschließen. Dieser
soll die bisher üblichen Vorlesungen mit Ausnahme der obengenannten, also
das gesamte Recht noch einmal, aber — auf Grund der schon mitgebrachten
Vorbildung — in knapperer und zugleich tiefer eindringender Darstellung
bringen. Den Abschluß soll ein weiteres Jahr des Vorbereitungsdienstes bilden;
darauf folgt dann das Assessorexamen. Damit würde also gegen den jetzigen
Zustand in Preußen der Vorbereitungsdienst im, ein Jahr verkürzt, das
Studium um denselben Zeitraum verlängert.

Dieser Gedanke: einen zweifachen Wechsel zwischen Studium und Vor¬
bereitungsdienst eintreten zu lassen, erscheint ganz außerordentlich glücklich.
Ich glaube, jeder Student wird mit Freude nach den ersten drei Studien¬
semestern die Gelegenheit begrüßen, einen Einblick in das praktische Rechts¬
leben tun zu dürfen. Es wird sich bei ihm — ich darf diesen Ausdruck ge¬
brauchen — eine gewisse Neugierde regen, einmal zu sehen und zu hören,
wie es denn eigenlich bei Gericht zugeht, wie sich die Dinge, von denen er
in der theoretischen Vorlesung eine dunkle Vorstellung bekommen hat, im
wirklichen Leben abspielen. Diese Neugierde ist nichts Unwürdiges, ist kein
Fehler, sondern etwas durchaus Natürliches und Selbstverständliches. Sie
geschickt auszunützen ist ein Gebot pädagogischer Klugheit; denn sie ist eine
lebendige Kraft, die, richtig geleitet, den Schüler ein gutes Stück weiter¬
führen wird, während sie ganz ungenützt verloren geht, wenn sie nicht be¬
friedigt wird.

Der Prozeß sowohl des Zivil- als auch besonders des Strafrechts weckt
ja schon durch seine Lebendigkeit, die Feierlichkeit seiner Formen und die
Spannung, wie die Entscheidung fallen wird, das rein äußerliche Interesse sogar
des Laien, wieviel mehr das des angehenden Juristen. Ähnliches gilt aber
auch für andre Gegenstände: das Grundbuch, die Testamentserrichtung, -Ver¬
wahrung und -eröffnung, die Zwangsversteigerung, die Führung der verschiednen
Register und vieles andre mehr sind Dinge, die die Neugierde des An¬
fängers wecken.

Es wird darauf ankommen, ihm in diesem ersten Ausbildungsabschnitt
möglichst viel Anschauung zu gewähren, sein Gedächtnis möglichst mit Bildern


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[0261] Zur Umgestaltung des Rechtsstudiums die Studierenden durch irgendwelche Zwangsmaßregeln zum Hörsaalbesuch zu bewegen. „Innere Teilnahme, auf die alles ankommt, läßt sich nicht er¬ zwingen." Seine Hauptforderung ist: doppelter Wechsel zwischen Studium und Praktischen Ausbildungsdienst. Die ersten zwei bis drei Semester sollen lediglich der Einführung in die gesamte Rechts-und Staatswissenschaft dienen; sie sollen elementare Einführungsvorlesungen in alle Rechtsdisziplinen sowie die Vorlesungen über theoretische und praktische Nationalökonomie enthalten. Dann soll ein zweijähriger Vorbereitungsdienst folgen, der zu drei Viertel bei den Justiz-, zu einem Viertel bei den Verwaltungsbehörden abzuleisten ist. An ihn soll sich der fünfsemestrige Hauptteil des Studiums anschließen. Dieser soll die bisher üblichen Vorlesungen mit Ausnahme der obengenannten, also das gesamte Recht noch einmal, aber — auf Grund der schon mitgebrachten Vorbildung — in knapperer und zugleich tiefer eindringender Darstellung bringen. Den Abschluß soll ein weiteres Jahr des Vorbereitungsdienstes bilden; darauf folgt dann das Assessorexamen. Damit würde also gegen den jetzigen Zustand in Preußen der Vorbereitungsdienst im, ein Jahr verkürzt, das Studium um denselben Zeitraum verlängert. Dieser Gedanke: einen zweifachen Wechsel zwischen Studium und Vor¬ bereitungsdienst eintreten zu lassen, erscheint ganz außerordentlich glücklich. Ich glaube, jeder Student wird mit Freude nach den ersten drei Studien¬ semestern die Gelegenheit begrüßen, einen Einblick in das praktische Rechts¬ leben tun zu dürfen. Es wird sich bei ihm — ich darf diesen Ausdruck ge¬ brauchen — eine gewisse Neugierde regen, einmal zu sehen und zu hören, wie es denn eigenlich bei Gericht zugeht, wie sich die Dinge, von denen er in der theoretischen Vorlesung eine dunkle Vorstellung bekommen hat, im wirklichen Leben abspielen. Diese Neugierde ist nichts Unwürdiges, ist kein Fehler, sondern etwas durchaus Natürliches und Selbstverständliches. Sie geschickt auszunützen ist ein Gebot pädagogischer Klugheit; denn sie ist eine lebendige Kraft, die, richtig geleitet, den Schüler ein gutes Stück weiter¬ führen wird, während sie ganz ungenützt verloren geht, wenn sie nicht be¬ friedigt wird. Der Prozeß sowohl des Zivil- als auch besonders des Strafrechts weckt ja schon durch seine Lebendigkeit, die Feierlichkeit seiner Formen und die Spannung, wie die Entscheidung fallen wird, das rein äußerliche Interesse sogar des Laien, wieviel mehr das des angehenden Juristen. Ähnliches gilt aber auch für andre Gegenstände: das Grundbuch, die Testamentserrichtung, -Ver¬ wahrung und -eröffnung, die Zwangsversteigerung, die Führung der verschiednen Register und vieles andre mehr sind Dinge, die die Neugierde des An¬ fängers wecken. Es wird darauf ankommen, ihm in diesem ersten Ausbildungsabschnitt möglichst viel Anschauung zu gewähren, sein Gedächtnis möglichst mit Bildern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/261>, abgerufen am 24.07.2024.