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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Historische Lriunerungsliteratur

Napoleon im Frühjahr 1807 (Leipzig, Georg Wigand, 1907, VIII und
144 Seiten mit 14 Abbildungen) mit sorgfältiger Benutzung der am Schluß
angeführten zeitgenössischen und spätern Literatur, namentlich der Korrespondenz
Napoleons und des Dohnaischen Familienarchivs in Schlobitten. Die nächste
Veranlassung zu dem Buch bot der Umstand, daß Napoleon sein Hauptquartier
vom 1. April bis zum 6. Juni 1807 in dem schönen Dohnaischen Schloße Finken¬
stein östlich von Marienwerder hatte, das Graf Albrecht Konrad von Finken¬
stein, der Erzieher Friedrichs des Großen (gestorben 1735), 1716 bis 1720 als
eines der für den gelegentlichen Aufenthalt des Königs bestimmten "Königs¬
schlösser" des ostpreußischen Adels erbaut hatte. Der Verfasser zeigt um, wie
die Schlacht von Preußisch-Eylau den von Napoleon und seiner Armee ersehnten
Frieden um ein volles halbes Jahr hinausschob, beide also gründlich enttäuschte,
wie die furchtbaren Verluste, der harte Winter, die Schwierigkeiten der Märsche
und der Verpflegung ihn zwangen, eine lange Pause in der Kriegführung zu
machen, die Verpflegung nach alter Weise wieder auf Magazine zu stützen, da
das verwüstete und ausgesogne Land nichts mehr bot, seine für den weiten
Kriegsschauplatz an Zahl völlig unzureichend gewordne Armee (zu Anfang April
nur 65000 Gewehre und 15000 Reiter in Altpreußen) durch die voraus-
genommne und beidemale mit je 80000 Mann angeordnete Aushebung der Alters¬
klassen 1807 und 1808, von denen sich aber 40000 der Stellung entzogen, zu
verstärken, wie diese Truppen in mangelhaftester Ausrüstung und Ausbildung
anlangten, wie das alles die Disziplin lockerte und die Stimmung in Frankreich
selbst, bis in die höchsten Kreise hinauf (Talleyrand und Marineminister Decres)
sich gegen den Kaiser zu wenden begann, wie dieser deshalb verstärkte An¬
forderungen an seine Vasallen stellen mußte, sogar mit der Türkei und Persien
anknüpfte, um sie gegen Rußland auszuspielen und in Schloß Finkenstein am
27. April eine persische Gesandtschaft empfing. -- Eine populäre, aber auf ein¬
gehenden Studien beruhende Arbeit bietet Paul Schreckenbach, Der Zu¬
sammenbruch Preußens im Jahre 1806 (mit 100 Illustrationen und
Beilagen nach zeitgenössischen Darstellungen; Jena, Eugen Diederichs, 1906,
VI und 208 Seiten, Groß-Quart). Er schildert zunächst die Zustände vor dem
Kriege in Preußen wie in Frankreich und Preußens Politik vor dem Feldzuge
von 1806, geht darauf zur Darstellung des Feldzuges selbst, besonders der
Schlachten des 14. Oktober über und erörtert kurz die Folgen der Niederlage bis
zur Berufung Steins in einer unbefangnen, aber warmen und eindringlichen Dar¬
stellung, nicht ohne die Tendenz zu patriotischer Mahnung an die Gegenwart.
Besonders instruktiv sind die bildlichen Beilagen und manche im Faksimile
wiedergegebnen amtlichen Schriftstücke, zu denen eine Menge von Sammlungen
der Verlagsbuchhandlung das Material geliefert hat.

Ein Quellenwerk ersten Ranges hat uns die Kriegsgeschichtliche Abteilung
des Großen Generalstabs beschert: 1806. Das preußische Offizierkorps
und die Untersuchung der Kriegsereignisse (Berlin, E. S- Mittler und


Historische Lriunerungsliteratur

Napoleon im Frühjahr 1807 (Leipzig, Georg Wigand, 1907, VIII und
144 Seiten mit 14 Abbildungen) mit sorgfältiger Benutzung der am Schluß
angeführten zeitgenössischen und spätern Literatur, namentlich der Korrespondenz
Napoleons und des Dohnaischen Familienarchivs in Schlobitten. Die nächste
Veranlassung zu dem Buch bot der Umstand, daß Napoleon sein Hauptquartier
vom 1. April bis zum 6. Juni 1807 in dem schönen Dohnaischen Schloße Finken¬
stein östlich von Marienwerder hatte, das Graf Albrecht Konrad von Finken¬
stein, der Erzieher Friedrichs des Großen (gestorben 1735), 1716 bis 1720 als
eines der für den gelegentlichen Aufenthalt des Königs bestimmten „Königs¬
schlösser" des ostpreußischen Adels erbaut hatte. Der Verfasser zeigt um, wie
die Schlacht von Preußisch-Eylau den von Napoleon und seiner Armee ersehnten
Frieden um ein volles halbes Jahr hinausschob, beide also gründlich enttäuschte,
wie die furchtbaren Verluste, der harte Winter, die Schwierigkeiten der Märsche
und der Verpflegung ihn zwangen, eine lange Pause in der Kriegführung zu
machen, die Verpflegung nach alter Weise wieder auf Magazine zu stützen, da
das verwüstete und ausgesogne Land nichts mehr bot, seine für den weiten
Kriegsschauplatz an Zahl völlig unzureichend gewordne Armee (zu Anfang April
nur 65000 Gewehre und 15000 Reiter in Altpreußen) durch die voraus-
genommne und beidemale mit je 80000 Mann angeordnete Aushebung der Alters¬
klassen 1807 und 1808, von denen sich aber 40000 der Stellung entzogen, zu
verstärken, wie diese Truppen in mangelhaftester Ausrüstung und Ausbildung
anlangten, wie das alles die Disziplin lockerte und die Stimmung in Frankreich
selbst, bis in die höchsten Kreise hinauf (Talleyrand und Marineminister Decres)
sich gegen den Kaiser zu wenden begann, wie dieser deshalb verstärkte An¬
forderungen an seine Vasallen stellen mußte, sogar mit der Türkei und Persien
anknüpfte, um sie gegen Rußland auszuspielen und in Schloß Finkenstein am
27. April eine persische Gesandtschaft empfing. — Eine populäre, aber auf ein¬
gehenden Studien beruhende Arbeit bietet Paul Schreckenbach, Der Zu¬
sammenbruch Preußens im Jahre 1806 (mit 100 Illustrationen und
Beilagen nach zeitgenössischen Darstellungen; Jena, Eugen Diederichs, 1906,
VI und 208 Seiten, Groß-Quart). Er schildert zunächst die Zustände vor dem
Kriege in Preußen wie in Frankreich und Preußens Politik vor dem Feldzuge
von 1806, geht darauf zur Darstellung des Feldzuges selbst, besonders der
Schlachten des 14. Oktober über und erörtert kurz die Folgen der Niederlage bis
zur Berufung Steins in einer unbefangnen, aber warmen und eindringlichen Dar¬
stellung, nicht ohne die Tendenz zu patriotischer Mahnung an die Gegenwart.
Besonders instruktiv sind die bildlichen Beilagen und manche im Faksimile
wiedergegebnen amtlichen Schriftstücke, zu denen eine Menge von Sammlungen
der Verlagsbuchhandlung das Material geliefert hat.

Ein Quellenwerk ersten Ranges hat uns die Kriegsgeschichtliche Abteilung
des Großen Generalstabs beschert: 1806. Das preußische Offizierkorps
und die Untersuchung der Kriegsereignisse (Berlin, E. S- Mittler und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/20>, abgerufen am 04.07.2024.