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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Historische Lriimerungsliteratur

Buch ist aber tatsächlich ein neues Werk geworden. Es behandelt nicht nur
die beiden Schlachten und das Heer von 1806, sondern es gibt im zweiten
umfangreichern Teile eine eindringende und überaus lehrreiche Darstellung der
Zustünde vor der Katastrophe, der Verbesserungsversuche und Reformbestrebungen,
auch der Reformvorschläge in der Presse und Literatur, des regen geistigen Lebens
in der alten Armee, zieht dann Vergleiche zwischen Preußen und Frankreich
und bespricht zum Schlüsse die 1806 vorliegenden Kriegserfahrungen der letzten
Jahrzehnte seit 1778, die im ganzen die Richtigkeit der damaligen Armee¬
organisation und Taktik zu bestätigen schienen, endlich "die Ursachen der
Katastrophe" nach allen Richtungen hin. Es ergibt sich daraus, daß die ganze
Zeit vor 1806 voller Reformprojekte steckte, also der Erkenntnis der Mängel
nicht entbehrte, daß aber ihre konsequente Durchführung an dem Widerstände
der Anhänger des scheinbar erprobten Alten scheiterte, und sieht die Ursachen
der Katastrophe in der Friedensliebe und Schwäche des Königs, in der mangel¬
haften Energie der Führung, in dem "aufgeklärten", von falscher Humanität
erfüllten, schlaffen, ganz unpolitischen Geiste der ganzen Zeit, in der entarteten
Auffassung vom Wesen des Krieges, der nur noch als ein künstliches Schach¬
spiel, als ein Rechenexempel erschien, und in der gedankenlosen Nachahmung
des großen Königs, während dessen Geist aus der Armee längst entflohen war
und sich die Bedingungen des Erfolges völlig gewandelt hatten. Eine Fort¬
setzung dieses Buches bietet derselbe Verfasser in einem neuen zweiten Werke:
Von Jena bis Preußisch-Eylau. Des alten preußischen Heeres
Schmach und Ehrenrettung (in demselben Verlage. 1907. mit 4 Karten in
Steindruck und 1 Skizze im Text, X und 202 Seiten). In der ersten Hälfte
schildert er, ohne dafür, wie er selbst angibt, selbständige Quellenstudien gemacht
zu haben, den Rückzug der preußischen Armee von Thüringen bis an die
Weichsel mit seinen bekannten schmählichen Kapitulationen, als deren Ursachen
auch hier ganz klar nicht der Mangel an Mut, sondern an Entschlossenheit und
Selbständigkeit der Führer, die nur zu gehorchen wußten und immer Befehle
erwarteten, ehe sie handelten, erscheinen, in der zweiten den Krieg im Osten
der Weichsel und mit besondrer Ausführlichkeit die Schlacht bei Preußisch-Eylau
am 7. und 8. Februar auf Grund eigner Studien und vor allem einer genauen
Kenntnis des Schlachtfeldes, das dem damaligen kommandierender General des
ersten Armeekorps ja ganz besonders nahe lag. Er weist dabei überzeugend
nach, wie jene Schlacht eine entscheidende Wendung bedeutete, wie hier schon
(so gut wie in Kolberg, Graudenz und Glatz) der altprenßische Geist der
Selbständigkeit, des Willens zum Siege und des Opfermuth wieder erwacht
war und dem Imperator den Sieg entriß. Sehr nachdrücklich weist der Verfasser
im Schlußwort die friedensselige Gegenwart auf den Kosmopolitismus,
die Friedensseligkeit und die Humanitätsduselei als Ursachen der Niederlage
hin. Den Gesichtspunkt von der entscheidenden Bedeutung des gesamten Früh-
jahrsfeldznges von 1807 für Preußen und vor allem für Napoleon führt weiter
aus der Burggraf und Graf Hannibal zu Dohna, Generalmajor z. D.,


Historische Lriimerungsliteratur

Buch ist aber tatsächlich ein neues Werk geworden. Es behandelt nicht nur
die beiden Schlachten und das Heer von 1806, sondern es gibt im zweiten
umfangreichern Teile eine eindringende und überaus lehrreiche Darstellung der
Zustünde vor der Katastrophe, der Verbesserungsversuche und Reformbestrebungen,
auch der Reformvorschläge in der Presse und Literatur, des regen geistigen Lebens
in der alten Armee, zieht dann Vergleiche zwischen Preußen und Frankreich
und bespricht zum Schlüsse die 1806 vorliegenden Kriegserfahrungen der letzten
Jahrzehnte seit 1778, die im ganzen die Richtigkeit der damaligen Armee¬
organisation und Taktik zu bestätigen schienen, endlich „die Ursachen der
Katastrophe" nach allen Richtungen hin. Es ergibt sich daraus, daß die ganze
Zeit vor 1806 voller Reformprojekte steckte, also der Erkenntnis der Mängel
nicht entbehrte, daß aber ihre konsequente Durchführung an dem Widerstände
der Anhänger des scheinbar erprobten Alten scheiterte, und sieht die Ursachen
der Katastrophe in der Friedensliebe und Schwäche des Königs, in der mangel¬
haften Energie der Führung, in dem „aufgeklärten", von falscher Humanität
erfüllten, schlaffen, ganz unpolitischen Geiste der ganzen Zeit, in der entarteten
Auffassung vom Wesen des Krieges, der nur noch als ein künstliches Schach¬
spiel, als ein Rechenexempel erschien, und in der gedankenlosen Nachahmung
des großen Königs, während dessen Geist aus der Armee längst entflohen war
und sich die Bedingungen des Erfolges völlig gewandelt hatten. Eine Fort¬
setzung dieses Buches bietet derselbe Verfasser in einem neuen zweiten Werke:
Von Jena bis Preußisch-Eylau. Des alten preußischen Heeres
Schmach und Ehrenrettung (in demselben Verlage. 1907. mit 4 Karten in
Steindruck und 1 Skizze im Text, X und 202 Seiten). In der ersten Hälfte
schildert er, ohne dafür, wie er selbst angibt, selbständige Quellenstudien gemacht
zu haben, den Rückzug der preußischen Armee von Thüringen bis an die
Weichsel mit seinen bekannten schmählichen Kapitulationen, als deren Ursachen
auch hier ganz klar nicht der Mangel an Mut, sondern an Entschlossenheit und
Selbständigkeit der Führer, die nur zu gehorchen wußten und immer Befehle
erwarteten, ehe sie handelten, erscheinen, in der zweiten den Krieg im Osten
der Weichsel und mit besondrer Ausführlichkeit die Schlacht bei Preußisch-Eylau
am 7. und 8. Februar auf Grund eigner Studien und vor allem einer genauen
Kenntnis des Schlachtfeldes, das dem damaligen kommandierender General des
ersten Armeekorps ja ganz besonders nahe lag. Er weist dabei überzeugend
nach, wie jene Schlacht eine entscheidende Wendung bedeutete, wie hier schon
(so gut wie in Kolberg, Graudenz und Glatz) der altprenßische Geist der
Selbständigkeit, des Willens zum Siege und des Opfermuth wieder erwacht
war und dem Imperator den Sieg entriß. Sehr nachdrücklich weist der Verfasser
im Schlußwort die friedensselige Gegenwart auf den Kosmopolitismus,
die Friedensseligkeit und die Humanitätsduselei als Ursachen der Niederlage
hin. Den Gesichtspunkt von der entscheidenden Bedeutung des gesamten Früh-
jahrsfeldznges von 1807 für Preußen und vor allem für Napoleon führt weiter
aus der Burggraf und Graf Hannibal zu Dohna, Generalmajor z. D.,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/19>, abgerufen am 04.07.2024.