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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Historische Lrinnerungsliteratur

Sohn. 1906, VI und 388 Seiten Großoktav). Es zerfällt in zwei Telle.
Der erste Teil schildert, ausgehend von dem merkwürdigen Ortelsburger
..Publikandum wegen Abstellung verschiedner Mißbräuche bei der Armee" vom
1. Dezember 1806, mit dem der König ganz persönlich den Anstoß zur Er¬
neuerung des Heeres gab. die Tätigkeit der am 27. November 1807 einge¬
setzten Immediatkommission zur Untersuchung der Kapitulationen und andrer
Kriegsereignisse unter dem Vorsitze der beiden Brüder des Königs, Wilhelm und
Heinrich, dann die Arbeiten der Kommission, die von allen beteiligten Führern
Berichte einforderte und danach mit peinlicher Genauigkeit ihre Gutachten über
die einzelnen Fälle abstattete, die darauf eingesetzten Tribunale der beteiligten
Truppenteile, die Verfolgung der zivilrechtlichen Ansprüche und die Beendigung
der Untersuchungen mit der Begnadigung der schon verurteilten und (mit
Festungshaft) bestraften Offiziere (30. Mai 1814) und der Niederschlagung
aller noch nicht beendigten Untersuchungen (14. Dezember 1815). Der zwerte
viel umfänglichere Teil enthält die urkundlichen Belege in den Gutachten und
Berichten (auch einzelner Personen) über die Schlachten und Gefechte wie über
die Kapitulationen der Festungen und im freien Felde, von denen besonders
die Berichte des Generals von Rüchel über die Schlacht von Jena und die
sehr eingehenden des Majors von der Marwitz, Adjutanten des Fürsten zu
Hohenlohe-Ingelfingen. über dieselbe Schlacht und über den Rückzug bis
Pasewalk hervorgehoben seien. Das Ergebnis dieser in aller Geschichte bei¬
spiellosen Selbstkritik eines ganzen großen Offizierkorps von etwa siebentausend
Köpfen offenbart zwar schonungslos und unwiderleglich die oft genug ge¬
schilderten Schwächen der Armee, beweist aber ebenso die innere Tüchtigkeit
dieses vielgescholtnen Offizierkorps. Denn von den im Oktober 1806 vor-
handnen 7096 Offizieren wurden doch nur 208 bestraft und ausgeschieden,
190 blieben im Kriege tot, 77 verschollen. Beim Beginn der Befreiungs¬
kriege waren noch 5777 vorhanden, teils aktiv, teils auf Halbsold u. a.;
davon nahmen 3889, also der größere Teil des Bestandes von 1306, an den
Befreiungskriegen teil, stellten demnach bei weitem den größten Teil der Offi¬
ziere zu der neuen siegreichen Armee.

Ein anders geartetes, aber sehr verdienstliches Sammelwerk ist Die
Franzosenzeit in deutschen Landen 1806 bis 1815 in Wort und
Bild der Mitlebenden, herausgegeben von Friedrich Schulze (Leipzig,
R. Voigtländer, 1903, zwei Bände, erster Band 1806 bis 1812, XIV und
336 Seiten, zweiter Band 1812 bis 1815, X und 380 Seiten mit Register).
Mit Bienenfleiß hat der Herausgeber aus zahlreichen Sammlungen und mit
Hilfe einer Menge von Mitarbeitern ein außerordentlich reiches Material an
Berichten, Schilderungen. Urteilen. Briefen, amtlichen Aktenstücken. Zeitungen.
Maueranschlägen u.tgi., zuweilen in Faksimile, über diese ganze unendlich
bewegte und reiche Zeit in ihren verschiedensten Lebensäußerungen, nicht etwa
nur die militärischen und politischen, in der natürlichen Ordnung (Zusammen-


Historische Lrinnerungsliteratur

Sohn. 1906, VI und 388 Seiten Großoktav). Es zerfällt in zwei Telle.
Der erste Teil schildert, ausgehend von dem merkwürdigen Ortelsburger
..Publikandum wegen Abstellung verschiedner Mißbräuche bei der Armee" vom
1. Dezember 1806, mit dem der König ganz persönlich den Anstoß zur Er¬
neuerung des Heeres gab. die Tätigkeit der am 27. November 1807 einge¬
setzten Immediatkommission zur Untersuchung der Kapitulationen und andrer
Kriegsereignisse unter dem Vorsitze der beiden Brüder des Königs, Wilhelm und
Heinrich, dann die Arbeiten der Kommission, die von allen beteiligten Führern
Berichte einforderte und danach mit peinlicher Genauigkeit ihre Gutachten über
die einzelnen Fälle abstattete, die darauf eingesetzten Tribunale der beteiligten
Truppenteile, die Verfolgung der zivilrechtlichen Ansprüche und die Beendigung
der Untersuchungen mit der Begnadigung der schon verurteilten und (mit
Festungshaft) bestraften Offiziere (30. Mai 1814) und der Niederschlagung
aller noch nicht beendigten Untersuchungen (14. Dezember 1815). Der zwerte
viel umfänglichere Teil enthält die urkundlichen Belege in den Gutachten und
Berichten (auch einzelner Personen) über die Schlachten und Gefechte wie über
die Kapitulationen der Festungen und im freien Felde, von denen besonders
die Berichte des Generals von Rüchel über die Schlacht von Jena und die
sehr eingehenden des Majors von der Marwitz, Adjutanten des Fürsten zu
Hohenlohe-Ingelfingen. über dieselbe Schlacht und über den Rückzug bis
Pasewalk hervorgehoben seien. Das Ergebnis dieser in aller Geschichte bei¬
spiellosen Selbstkritik eines ganzen großen Offizierkorps von etwa siebentausend
Köpfen offenbart zwar schonungslos und unwiderleglich die oft genug ge¬
schilderten Schwächen der Armee, beweist aber ebenso die innere Tüchtigkeit
dieses vielgescholtnen Offizierkorps. Denn von den im Oktober 1806 vor-
handnen 7096 Offizieren wurden doch nur 208 bestraft und ausgeschieden,
190 blieben im Kriege tot, 77 verschollen. Beim Beginn der Befreiungs¬
kriege waren noch 5777 vorhanden, teils aktiv, teils auf Halbsold u. a.;
davon nahmen 3889, also der größere Teil des Bestandes von 1306, an den
Befreiungskriegen teil, stellten demnach bei weitem den größten Teil der Offi¬
ziere zu der neuen siegreichen Armee.

Ein anders geartetes, aber sehr verdienstliches Sammelwerk ist Die
Franzosenzeit in deutschen Landen 1806 bis 1815 in Wort und
Bild der Mitlebenden, herausgegeben von Friedrich Schulze (Leipzig,
R. Voigtländer, 1903, zwei Bände, erster Band 1806 bis 1812, XIV und
336 Seiten, zweiter Band 1812 bis 1815, X und 380 Seiten mit Register).
Mit Bienenfleiß hat der Herausgeber aus zahlreichen Sammlungen und mit
Hilfe einer Menge von Mitarbeitern ein außerordentlich reiches Material an
Berichten, Schilderungen. Urteilen. Briefen, amtlichen Aktenstücken. Zeitungen.
Maueranschlägen u.tgi., zuweilen in Faksimile, über diese ganze unendlich
bewegte und reiche Zeit in ihren verschiedensten Lebensäußerungen, nicht etwa
nur die militärischen und politischen, in der natürlichen Ordnung (Zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/21>, abgerufen am 04.07.2024.