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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

es eine Hauptaufgabe der Natspolitik war, den freien Transport durch Polen
zu sichern. Vom Westen bezog es die feinern Gewerbeerzeugnisse, namentlich
Gewebe aller Art, an deren Herstellung seine eignen Zünfte teilnahmen. Den
Zugang nach Wien und darüber hinaus erschlossen ihm erst die luxemburgischen
Beherrscher Böhmens in einer Zeit, da der Reichtum der Stadt schon be¬
gründet war. Karl der Vierte setzte Handelsfreiheit zwischen Breslau und
Böhmen durch und wollte die ihm teure Stadt zur Beherrscherin des levan-
tinisch-nordischen Handels erheben. Dieser Plan scheiterte zwar an dem
Widerstande Lübecks und der ganzen Hansa (der übrigens Breslau als Mit¬
glied angehörte, ohne sich besonders lebhaft an den Bundesangelegenheiten zu
beteiligen), aber wenigstens bekam Breslau seinen Anteil an dem so äußerst
gewinnbringenden Gewürzhandel. Von da an bildeten sich Handelskompagnien,
die ihre ständigen Vertreter in Wien, Florenz und Venedig unterhielten. Die
Luxemburger waren zwar der Stadt wirklich von Herzen zugetan, aber völlig
uneigennützig war natürlich auch ihre Liebe nicht. Die reiche Stadt war eben
eine Goldgrube und vergalt die ihr erwiesnen Liebesdienste mit Steuern,
Darlehn und Geschenken. Die -- natürlich hochverzinslichen -- Darlehn
pflegten in Breslau zur Umgehung des Zinsverbots als Tuchkäufe maskiert
zu werden. Der Fürst kaufte viele Ballen Tuch, der Rat kaufte sie zu einem
weit niedrigern Preise zurück -- die Differenz war der Zins --, und für den
ersten Kaufpreis blieb der Fürst ihr Schuldner. Doch konnte man daneben
fürs Geldgeschäft die Juden nicht entbehren und hat sie wie anderwärts bald
vertrieben oder verbrannt, bald sie aus andern Städten an sich gelockt.

In der ältern Zeit wird der Pelzhandel der gewinnbringendste gewesen
sein. Es ist schon aus den Porträts bekannt, welcher Luxus im Mittelalter
mit feinem Pelzwerk getrieben wurde (die damalige Mode, auch im Hochsommer
Pelzbehänge zu tragen, ist seit einigen Jahren wieder ausgelebt), und bei den
elenden Heizvorrichtungen und den langwierigen Winterreisen in erbärmlichen
Fuhrwerken waren Pelze ein Bedürfnis; die Reichen aber mochten doch den
Schafpelz der Armen nicht tragen. (Als der König Wladislaw von Ungarn
und Böhmen im Januar 1611 nach Breslau kam, brachte er seine beiden fünf-
und siebenjährigen Kinder mit. Für sie war auf einen Schlitten ein Kämmerchen
gestellt mit einem Ofen, der unaufhörlich von außenstehenden Dienern geheizt
wurde.) Neuere Forscher haben ermittelt, daß vor dem Tatareneinfall Ru߬
land keineswegs ein armes Land gewesen ist: die regelmäßige Versorgung
Konstantinopels mit Pelzwerk brachte Gold ins Land. (Der Besitz von Edel¬
metall war vor der modernen Organisation des Kredits mit seinen Wertpapieren,
seinem Papiergeld und seinem Giroverkehr viel wichtiger als heute; als Wert-
Papiere kannte man nur Wechsel und Schuldscheine.) Ans den Handelsgewinn,
der ja immer den Arbeitlohn übersteigt, kann man aus der Blüte der Kürschner¬
innung schließen, die das Pelzwerk verarbeitete. Über sie hat Dr. Frauenstädt
in der Schlesischen Zeitung interessante Mitteilungen gemacht. In den neunziger


Breslau

es eine Hauptaufgabe der Natspolitik war, den freien Transport durch Polen
zu sichern. Vom Westen bezog es die feinern Gewerbeerzeugnisse, namentlich
Gewebe aller Art, an deren Herstellung seine eignen Zünfte teilnahmen. Den
Zugang nach Wien und darüber hinaus erschlossen ihm erst die luxemburgischen
Beherrscher Böhmens in einer Zeit, da der Reichtum der Stadt schon be¬
gründet war. Karl der Vierte setzte Handelsfreiheit zwischen Breslau und
Böhmen durch und wollte die ihm teure Stadt zur Beherrscherin des levan-
tinisch-nordischen Handels erheben. Dieser Plan scheiterte zwar an dem
Widerstande Lübecks und der ganzen Hansa (der übrigens Breslau als Mit¬
glied angehörte, ohne sich besonders lebhaft an den Bundesangelegenheiten zu
beteiligen), aber wenigstens bekam Breslau seinen Anteil an dem so äußerst
gewinnbringenden Gewürzhandel. Von da an bildeten sich Handelskompagnien,
die ihre ständigen Vertreter in Wien, Florenz und Venedig unterhielten. Die
Luxemburger waren zwar der Stadt wirklich von Herzen zugetan, aber völlig
uneigennützig war natürlich auch ihre Liebe nicht. Die reiche Stadt war eben
eine Goldgrube und vergalt die ihr erwiesnen Liebesdienste mit Steuern,
Darlehn und Geschenken. Die — natürlich hochverzinslichen — Darlehn
pflegten in Breslau zur Umgehung des Zinsverbots als Tuchkäufe maskiert
zu werden. Der Fürst kaufte viele Ballen Tuch, der Rat kaufte sie zu einem
weit niedrigern Preise zurück — die Differenz war der Zins —, und für den
ersten Kaufpreis blieb der Fürst ihr Schuldner. Doch konnte man daneben
fürs Geldgeschäft die Juden nicht entbehren und hat sie wie anderwärts bald
vertrieben oder verbrannt, bald sie aus andern Städten an sich gelockt.

In der ältern Zeit wird der Pelzhandel der gewinnbringendste gewesen
sein. Es ist schon aus den Porträts bekannt, welcher Luxus im Mittelalter
mit feinem Pelzwerk getrieben wurde (die damalige Mode, auch im Hochsommer
Pelzbehänge zu tragen, ist seit einigen Jahren wieder ausgelebt), und bei den
elenden Heizvorrichtungen und den langwierigen Winterreisen in erbärmlichen
Fuhrwerken waren Pelze ein Bedürfnis; die Reichen aber mochten doch den
Schafpelz der Armen nicht tragen. (Als der König Wladislaw von Ungarn
und Böhmen im Januar 1611 nach Breslau kam, brachte er seine beiden fünf-
und siebenjährigen Kinder mit. Für sie war auf einen Schlitten ein Kämmerchen
gestellt mit einem Ofen, der unaufhörlich von außenstehenden Dienern geheizt
wurde.) Neuere Forscher haben ermittelt, daß vor dem Tatareneinfall Ru߬
land keineswegs ein armes Land gewesen ist: die regelmäßige Versorgung
Konstantinopels mit Pelzwerk brachte Gold ins Land. (Der Besitz von Edel¬
metall war vor der modernen Organisation des Kredits mit seinen Wertpapieren,
seinem Papiergeld und seinem Giroverkehr viel wichtiger als heute; als Wert-
Papiere kannte man nur Wechsel und Schuldscheine.) Ans den Handelsgewinn,
der ja immer den Arbeitlohn übersteigt, kann man aus der Blüte der Kürschner¬
innung schließen, die das Pelzwerk verarbeitete. Über sie hat Dr. Frauenstädt
in der Schlesischen Zeitung interessante Mitteilungen gemacht. In den neunziger


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[0179] Breslau es eine Hauptaufgabe der Natspolitik war, den freien Transport durch Polen zu sichern. Vom Westen bezog es die feinern Gewerbeerzeugnisse, namentlich Gewebe aller Art, an deren Herstellung seine eignen Zünfte teilnahmen. Den Zugang nach Wien und darüber hinaus erschlossen ihm erst die luxemburgischen Beherrscher Böhmens in einer Zeit, da der Reichtum der Stadt schon be¬ gründet war. Karl der Vierte setzte Handelsfreiheit zwischen Breslau und Böhmen durch und wollte die ihm teure Stadt zur Beherrscherin des levan- tinisch-nordischen Handels erheben. Dieser Plan scheiterte zwar an dem Widerstande Lübecks und der ganzen Hansa (der übrigens Breslau als Mit¬ glied angehörte, ohne sich besonders lebhaft an den Bundesangelegenheiten zu beteiligen), aber wenigstens bekam Breslau seinen Anteil an dem so äußerst gewinnbringenden Gewürzhandel. Von da an bildeten sich Handelskompagnien, die ihre ständigen Vertreter in Wien, Florenz und Venedig unterhielten. Die Luxemburger waren zwar der Stadt wirklich von Herzen zugetan, aber völlig uneigennützig war natürlich auch ihre Liebe nicht. Die reiche Stadt war eben eine Goldgrube und vergalt die ihr erwiesnen Liebesdienste mit Steuern, Darlehn und Geschenken. Die — natürlich hochverzinslichen — Darlehn pflegten in Breslau zur Umgehung des Zinsverbots als Tuchkäufe maskiert zu werden. Der Fürst kaufte viele Ballen Tuch, der Rat kaufte sie zu einem weit niedrigern Preise zurück — die Differenz war der Zins —, und für den ersten Kaufpreis blieb der Fürst ihr Schuldner. Doch konnte man daneben fürs Geldgeschäft die Juden nicht entbehren und hat sie wie anderwärts bald vertrieben oder verbrannt, bald sie aus andern Städten an sich gelockt. In der ältern Zeit wird der Pelzhandel der gewinnbringendste gewesen sein. Es ist schon aus den Porträts bekannt, welcher Luxus im Mittelalter mit feinem Pelzwerk getrieben wurde (die damalige Mode, auch im Hochsommer Pelzbehänge zu tragen, ist seit einigen Jahren wieder ausgelebt), und bei den elenden Heizvorrichtungen und den langwierigen Winterreisen in erbärmlichen Fuhrwerken waren Pelze ein Bedürfnis; die Reichen aber mochten doch den Schafpelz der Armen nicht tragen. (Als der König Wladislaw von Ungarn und Böhmen im Januar 1611 nach Breslau kam, brachte er seine beiden fünf- und siebenjährigen Kinder mit. Für sie war auf einen Schlitten ein Kämmerchen gestellt mit einem Ofen, der unaufhörlich von außenstehenden Dienern geheizt wurde.) Neuere Forscher haben ermittelt, daß vor dem Tatareneinfall Ru߬ land keineswegs ein armes Land gewesen ist: die regelmäßige Versorgung Konstantinopels mit Pelzwerk brachte Gold ins Land. (Der Besitz von Edel¬ metall war vor der modernen Organisation des Kredits mit seinen Wertpapieren, seinem Papiergeld und seinem Giroverkehr viel wichtiger als heute; als Wert- Papiere kannte man nur Wechsel und Schuldscheine.) Ans den Handelsgewinn, der ja immer den Arbeitlohn übersteigt, kann man aus der Blüte der Kürschner¬ innung schließen, die das Pelzwerk verarbeitete. Über sie hat Dr. Frauenstädt in der Schlesischen Zeitung interessante Mitteilungen gemacht. In den neunziger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/179>, abgerufen am 24.07.2024.