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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Breslau mit seinen nahe an 500000 Ein¬
wohnern 130 Kürschner, deren meiste kümmerlich ihr Leben fristende Klein¬
meister und Heimarbeiter waren. Im fünfzehnten Jahrhundert gab es auf
20000 Einwohner 67, mitunter 80 und 90 Meister; nach dem heutigen Ver¬
hältnis müßte man fünf bis sechs vermuten. Und diese verhältnismäßig große
Zahl war gut situiert. Die Kürschner waren nach den Tuchhändlern und
Neichkrämern am höchsten besteuert. Kürschner trifft man öfter im Rat und
auf der Schöffenbank; und einer von ihnen, Dominikus, dessen Sohn zum
Handel überging, begründete das mächtige Ratsgeschlecht der Dompnig. Von
ihrem Wohlstande zeugt sowohl ihr behübiges Privatleben -- einer baut zum
Beispiel hinter seinem Hause einen Turm, "der Stadt zu Ehren und ihm zum
Andenken" -- als auch die Fülle von Geschenken und Stiftungen für die
Innung und für fromme Zwecke, die in den Zunftbüchcrn verzeichnet stehen.
Die Innung war selbstverständlich zugleich eine kirchliche Bruderschaft, hat sich
aber nicht, gleich ürmern Zünften, auf die feierliche Bestattung ihrer Mitglieder,
auf die Unterhaltung eines eignen Altars und die Bezahlung der auf diesem
verbrauchten Kerzen beschränkt, sondern eine eigne Kirche, die Christophorikirche,
im Baustande erhalten und mit allem zum Gottesdienst erforderlichen versorgt,
auch dafür, daß die Geistlichkeit der Pfarrkirche Maria Magdalenci in jener
ihrer kleinen Kirche den Gottesdienst besorgte, die Pfarrgeistlichkeit, den Kantor,
mehrere Sänger, einen Glöckner der Hauptkirche besoldet, außerdem einen
polnischen Prediger (wahrscheinlich, weil immer viele Pelzwerk bringende Polen
in der Stadt anwesend waren) und hat eine Kapelle für sich an die Magdalenen-
kirche angebaut. Auch hat sie für Heerfahrten Reiter und Schützen ausgerüstet
und die Kosten der Verpflegung von Mannschaften und Tieren getragen.
Einflußreichen obrigkeitlichen Personen wurden bei passender Gelegenheit kost¬
bare Pelzsachen geschenkt, und daß man sich die heitere Geselligkeit etwas kosten
ließ, versteht sich von selbst. An Fastnacht, bei der Morgensprache an den
Quartalstagen und beim Vorstandswechsel, mit dem die Rechnungslegung ver¬
bunden war, wurde auf Regiments Unkosten geschmaust und gezecht und auch
an dem damals sehr teuern Südwein nicht gespart. Desgleichen in späterer
Zeit, im siebzehnten Jahrhundert, wenn einer aus der Innung Schützenkönig
geworden war. Die Kosten so eines Schützenschmauses haben sich mitunter auf
2000 bis 3000 Mark heutigen Geldes belaufen. Nach einer Pest im Jahre 1634
beschließen die Meister, die am Leben geblieben sind, in einer "christlichen Zu¬
sammenkunft" Gott für diese Gnade zu danken, beineben aber eine Mahlzeit
und einen Ehrentrunk miteinander zu tun. Die Rechnungslegung dauerte
gewöhnlich fünf Tage, und was dabei die abgehenden und die neuen Vor¬
standsmitglieder an jedem Tage nach getaner Arbeit verzehrt haben, wird in
den Rechnungsbüchern genau angegeben. Das Menu für Aschermittwoch und die
folgenden vier Tage (am Aschentagc wurde sehr passend der Regierungswechsel,
auch der städtische, vollzogen) lautet für das Jahr 1695: 1. Hecht, Wildschweins-


Breslau

Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Breslau mit seinen nahe an 500000 Ein¬
wohnern 130 Kürschner, deren meiste kümmerlich ihr Leben fristende Klein¬
meister und Heimarbeiter waren. Im fünfzehnten Jahrhundert gab es auf
20000 Einwohner 67, mitunter 80 und 90 Meister; nach dem heutigen Ver¬
hältnis müßte man fünf bis sechs vermuten. Und diese verhältnismäßig große
Zahl war gut situiert. Die Kürschner waren nach den Tuchhändlern und
Neichkrämern am höchsten besteuert. Kürschner trifft man öfter im Rat und
auf der Schöffenbank; und einer von ihnen, Dominikus, dessen Sohn zum
Handel überging, begründete das mächtige Ratsgeschlecht der Dompnig. Von
ihrem Wohlstande zeugt sowohl ihr behübiges Privatleben — einer baut zum
Beispiel hinter seinem Hause einen Turm, „der Stadt zu Ehren und ihm zum
Andenken" — als auch die Fülle von Geschenken und Stiftungen für die
Innung und für fromme Zwecke, die in den Zunftbüchcrn verzeichnet stehen.
Die Innung war selbstverständlich zugleich eine kirchliche Bruderschaft, hat sich
aber nicht, gleich ürmern Zünften, auf die feierliche Bestattung ihrer Mitglieder,
auf die Unterhaltung eines eignen Altars und die Bezahlung der auf diesem
verbrauchten Kerzen beschränkt, sondern eine eigne Kirche, die Christophorikirche,
im Baustande erhalten und mit allem zum Gottesdienst erforderlichen versorgt,
auch dafür, daß die Geistlichkeit der Pfarrkirche Maria Magdalenci in jener
ihrer kleinen Kirche den Gottesdienst besorgte, die Pfarrgeistlichkeit, den Kantor,
mehrere Sänger, einen Glöckner der Hauptkirche besoldet, außerdem einen
polnischen Prediger (wahrscheinlich, weil immer viele Pelzwerk bringende Polen
in der Stadt anwesend waren) und hat eine Kapelle für sich an die Magdalenen-
kirche angebaut. Auch hat sie für Heerfahrten Reiter und Schützen ausgerüstet
und die Kosten der Verpflegung von Mannschaften und Tieren getragen.
Einflußreichen obrigkeitlichen Personen wurden bei passender Gelegenheit kost¬
bare Pelzsachen geschenkt, und daß man sich die heitere Geselligkeit etwas kosten
ließ, versteht sich von selbst. An Fastnacht, bei der Morgensprache an den
Quartalstagen und beim Vorstandswechsel, mit dem die Rechnungslegung ver¬
bunden war, wurde auf Regiments Unkosten geschmaust und gezecht und auch
an dem damals sehr teuern Südwein nicht gespart. Desgleichen in späterer
Zeit, im siebzehnten Jahrhundert, wenn einer aus der Innung Schützenkönig
geworden war. Die Kosten so eines Schützenschmauses haben sich mitunter auf
2000 bis 3000 Mark heutigen Geldes belaufen. Nach einer Pest im Jahre 1634
beschließen die Meister, die am Leben geblieben sind, in einer „christlichen Zu¬
sammenkunft" Gott für diese Gnade zu danken, beineben aber eine Mahlzeit
und einen Ehrentrunk miteinander zu tun. Die Rechnungslegung dauerte
gewöhnlich fünf Tage, und was dabei die abgehenden und die neuen Vor¬
standsmitglieder an jedem Tage nach getaner Arbeit verzehrt haben, wird in
den Rechnungsbüchern genau angegeben. Das Menu für Aschermittwoch und die
folgenden vier Tage (am Aschentagc wurde sehr passend der Regierungswechsel,
auch der städtische, vollzogen) lautet für das Jahr 1695: 1. Hecht, Wildschweins-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/180>, abgerufen am 24.07.2024.