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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

überlegen. Ihr vorgeschobner Posten freilich, die deutsche Kolonie in Krakau,
ist schon im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts verloren gegangen. Woher
ihr Reichtum stammt, das ist heute nicht mehr so leicht zu sagen. Ehedem
wußte mans genau, wie man denn überhaupt vor unsrer Zeit der Kritik alle
Dinge im Himmel und auf Erden -- zu wissen glaubte. Vom Handel
natürlich, sagte man. Aber Werner Sombart hat diesen Glauben erschüttert.
Er behauptet (siehe 4. Band des Jahrgangs 1902 der Grenzboten, S. 284ff.),
der mittelalterliche Handel habe trotz dein großen Unterschiede zwischen Ein¬
kaufs- und Verkaufspreis keinen wesentlichen Gewinn abgeworfen, weil die
gehandelten Warenmengen lächerlich klein, dafür aber die Transportkosten
und das Risiko ungeheuerlich groß gewesen seien. Der Händler von Beruf
sei nur ein Arbeiter gewesen, der seinen gerechten Lohn bekam; bedeutende
Handelsoperationen, ebenso Geldgeschäfte, seien nur von Nichtkaufleuten:
Grundherren, geistlichen und weltlichen Fürsten, päpstlichen Agenten gemacht
worden. Die städtischen Patrizier waren nun Grundherren; daher komme es,
daß so oft sämtliche städtische Patrizier Kaufleute genannt wurden. Der
Bodenwert sei es, was den Reichtum dieser Patrizier begründet habe. Was
nun Breslau betrifft, so kann ich mir schlechterdings nicht vorstellen, wie dessen
vornehme Bürger lediglich als Grundherren zu Reichtum gelangt sei" sollten.
Das Gebiet der Stadt war unbedeutend; die Breslauer sind keine Ackerbürger
gewesen. Landgüter und Rittergüter wurden in Menge von ihren Patriziern
erworben, deren viele in den Ritteradel übergingen; aber um Güter kaufen
zu können, mußten sie doch eben schon Geld haben. Und die Bevölkerung
scheint in der entscheidenden Zeit stationär geblieben zu sein, sodaß der Wert
des städtischen Bodens nicht sehr gestiegen sein und dessen Verkauf an Neu¬
bürger nicht viel gebracht haben kann. Es wird also doch wohl der Handel
gewesen sein, der den Reichtum Breslaus begründet hat, wenn wir auch nicht
ermitteln können, wie es im einzelnen dabei zugegangen ist, und seine Kauf¬
leute werden wirkliche Kaufleute gewesen sein. Das große Gewicht, das die
regierenden Herren auf ihr Niederlags- oder Stapelrecht legten, ihre Kon¬
kurrenzstreitigkeiten mit andern großen Handelsstädten, ihr Unwille über -- zum
Teil gelungne -- Versuche, die großen Handelswege zu verlegen, zum Bei¬
spiel über Leipzig, die Mühe, die sie sich nach allen Seiten hin um die
"offne Tür" gaben, das alles beweist, daß der Handel eine Lebensfrage für
Breslau war. Und erscheinen auch die Warenquantitäten, am heutigen Ma߬
stabe gemessen, winzig, so darf man doch nicht übersehen, daß seitdem auch die
Zahl der Menschen, die sich in die Waren und in den Gewinn teilen, auf
das Zehnfache, einzelne Orte ins Auge gefaßt, auf das Hundert- und Tausend¬
fache gestiegen ist. Breslau vermittelte den südlich und westlich gelegnen
Ländern die Rohprodukte Polens und Rußlands, unter denen Pelzwerk als
das wichtigste erscheint, und versorgte Schlesien mit den von der Ostseeküste
bezognen und wegen der vielen Fasttage unentbehrlichen Salzfischen, weshalb


Breslau

überlegen. Ihr vorgeschobner Posten freilich, die deutsche Kolonie in Krakau,
ist schon im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts verloren gegangen. Woher
ihr Reichtum stammt, das ist heute nicht mehr so leicht zu sagen. Ehedem
wußte mans genau, wie man denn überhaupt vor unsrer Zeit der Kritik alle
Dinge im Himmel und auf Erden — zu wissen glaubte. Vom Handel
natürlich, sagte man. Aber Werner Sombart hat diesen Glauben erschüttert.
Er behauptet (siehe 4. Band des Jahrgangs 1902 der Grenzboten, S. 284ff.),
der mittelalterliche Handel habe trotz dein großen Unterschiede zwischen Ein¬
kaufs- und Verkaufspreis keinen wesentlichen Gewinn abgeworfen, weil die
gehandelten Warenmengen lächerlich klein, dafür aber die Transportkosten
und das Risiko ungeheuerlich groß gewesen seien. Der Händler von Beruf
sei nur ein Arbeiter gewesen, der seinen gerechten Lohn bekam; bedeutende
Handelsoperationen, ebenso Geldgeschäfte, seien nur von Nichtkaufleuten:
Grundherren, geistlichen und weltlichen Fürsten, päpstlichen Agenten gemacht
worden. Die städtischen Patrizier waren nun Grundherren; daher komme es,
daß so oft sämtliche städtische Patrizier Kaufleute genannt wurden. Der
Bodenwert sei es, was den Reichtum dieser Patrizier begründet habe. Was
nun Breslau betrifft, so kann ich mir schlechterdings nicht vorstellen, wie dessen
vornehme Bürger lediglich als Grundherren zu Reichtum gelangt sei« sollten.
Das Gebiet der Stadt war unbedeutend; die Breslauer sind keine Ackerbürger
gewesen. Landgüter und Rittergüter wurden in Menge von ihren Patriziern
erworben, deren viele in den Ritteradel übergingen; aber um Güter kaufen
zu können, mußten sie doch eben schon Geld haben. Und die Bevölkerung
scheint in der entscheidenden Zeit stationär geblieben zu sein, sodaß der Wert
des städtischen Bodens nicht sehr gestiegen sein und dessen Verkauf an Neu¬
bürger nicht viel gebracht haben kann. Es wird also doch wohl der Handel
gewesen sein, der den Reichtum Breslaus begründet hat, wenn wir auch nicht
ermitteln können, wie es im einzelnen dabei zugegangen ist, und seine Kauf¬
leute werden wirkliche Kaufleute gewesen sein. Das große Gewicht, das die
regierenden Herren auf ihr Niederlags- oder Stapelrecht legten, ihre Kon¬
kurrenzstreitigkeiten mit andern großen Handelsstädten, ihr Unwille über — zum
Teil gelungne — Versuche, die großen Handelswege zu verlegen, zum Bei¬
spiel über Leipzig, die Mühe, die sie sich nach allen Seiten hin um die
„offne Tür" gaben, das alles beweist, daß der Handel eine Lebensfrage für
Breslau war. Und erscheinen auch die Warenquantitäten, am heutigen Ma߬
stabe gemessen, winzig, so darf man doch nicht übersehen, daß seitdem auch die
Zahl der Menschen, die sich in die Waren und in den Gewinn teilen, auf
das Zehnfache, einzelne Orte ins Auge gefaßt, auf das Hundert- und Tausend¬
fache gestiegen ist. Breslau vermittelte den südlich und westlich gelegnen
Ländern die Rohprodukte Polens und Rußlands, unter denen Pelzwerk als
das wichtigste erscheint, und versorgte Schlesien mit den von der Ostseeküste
bezognen und wegen der vielen Fasttage unentbehrlichen Salzfischen, weshalb


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/178>, abgerufen am 24.07.2024.