Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Modernisierung Chinas

Es War begreiflich genug, daß man zunächst vor allen Dingen daran
ging, die bewaffnete Macht zu modernisieren. Schon in früherer Zeit waren
mehrfach Anläufe in dieser Beziehung gemacht worden, doch das meiste davon
muß eitel Scheinwerk gewesen sein. So wurde zum Beispiel von Li Hung-tschang
jahrelang hindurch behauptet, er hätte in seiner Provinz Tschihli eine nach
modernem Muster vortrefflich gedrillte Truppe. Während des Krieges mit
Japan wartete alle Welt indessen vergeblich auf irgendwelche nennenswerte
Leistungen der vorher vielgenannten tapfern Krieger des alten Li.

Jetzt hat man diese Angelegenheit aber wirklich energischer in Angriff
genommen. In vielen Provinzen, vornehmlich in denen am Aangtsekiang, sieht
man die Truppen auf den Exerzierplätzen Übungen machen, die denen im Westen
durchaus ähnlich sind. Schon das äußere Auftreten der Soldaten ist gegen
früher ganz anders geworden, denn der mehr für Irokesen oder andre Rot¬
häute als für die bewaffnete Macht eines Großstaats passende althergebrachte
phantastische Anzug ist einer Uniform nach westindischen Zuschnitt gewichen.

In jeder der achtzehn Provinzen des eigentlichen Chinas sollen vorläufig
zwei Divisionen gebildet werden, die in Zukunft nicht mehr, wie die alten
Truppen, den hohen Provinzialmandarinen allein, sondern am letzten Ende dem
Kriegsministerium in Peking unterstellt sind. Erst durch diese eingreifende Be¬
stimmung wird eine Reichswehrmacht geschaffen. Bisher gab es eine solche
nicht, sondern nur Provinzialtruppen, die gar keinen Zusammenhang unter¬
einander hatten, weil jeder Generalgouvemeur (Vizekönig) in dieser Beziehung
ziemlich tun konnte, was ihm beliebte. Es wird freilich noch eine Reihe von
Jahren dauern, ehe das neue kaiserliche Heer von 36 Divisionen vollständig
fertig ist. Vorläufig hat es die allgemeine Finanznot, die hauptsächlich die
Folge der drückenden Kriegskosten aus dem unseligen Boxerjahre ist, vielen von
den weniger wohlhabenden Provinzen noch nicht erlaubt, ihre zwei modernen
Divisionen zu bilden, für die sie selbst die Mittel aufzubringen haben.

Was für einen Kriegswert das in der Bildung begriffne erste wirklich
kaiserlich chinesische Heer haben wird, kann natürlich nur der Ernstfall lehren.
Die Ansicht mancher Sachverständigen scheint dahin zu gehn, daß der Chinese
bei tüchtiger Ausbildung und guter Führung einen gar nicht Übeln Soldaten
abgebe. Nun, an der Ausbildung fehlt es jetzt nicht. Aber die Führung auf
dem Schlachtfelde? Man vermag es sich noch nicht recht vorzustellen, daß aus
den gebildeten Kreisen dieses Volkes, die seit vielen hundert Jahren über ihren
geliebten Klassikern gesessen und die gegen nichts einen größern Widerwillen
gehabt haben als gegen Trommelwirbel und Kanonendonner, nun plötzlich
umsichtige und erfolgreiche Führer moderner Truppen im Gefechte hervor¬
gehn sollen.

Von den vielen andern geplanten Reformen sei hier nur noch eine er¬
wähnt, die entschieden die wichtigste von allen ist, nämlich die auf dem Gebiete
des Finanzwesens. Als die Regierung schon allerlei andre Änderungen verfügt
oder angekündigt hatte, hörte man von einer Reform in der Finanzverwaltung


Die Modernisierung Chinas

Es War begreiflich genug, daß man zunächst vor allen Dingen daran
ging, die bewaffnete Macht zu modernisieren. Schon in früherer Zeit waren
mehrfach Anläufe in dieser Beziehung gemacht worden, doch das meiste davon
muß eitel Scheinwerk gewesen sein. So wurde zum Beispiel von Li Hung-tschang
jahrelang hindurch behauptet, er hätte in seiner Provinz Tschihli eine nach
modernem Muster vortrefflich gedrillte Truppe. Während des Krieges mit
Japan wartete alle Welt indessen vergeblich auf irgendwelche nennenswerte
Leistungen der vorher vielgenannten tapfern Krieger des alten Li.

Jetzt hat man diese Angelegenheit aber wirklich energischer in Angriff
genommen. In vielen Provinzen, vornehmlich in denen am Aangtsekiang, sieht
man die Truppen auf den Exerzierplätzen Übungen machen, die denen im Westen
durchaus ähnlich sind. Schon das äußere Auftreten der Soldaten ist gegen
früher ganz anders geworden, denn der mehr für Irokesen oder andre Rot¬
häute als für die bewaffnete Macht eines Großstaats passende althergebrachte
phantastische Anzug ist einer Uniform nach westindischen Zuschnitt gewichen.

In jeder der achtzehn Provinzen des eigentlichen Chinas sollen vorläufig
zwei Divisionen gebildet werden, die in Zukunft nicht mehr, wie die alten
Truppen, den hohen Provinzialmandarinen allein, sondern am letzten Ende dem
Kriegsministerium in Peking unterstellt sind. Erst durch diese eingreifende Be¬
stimmung wird eine Reichswehrmacht geschaffen. Bisher gab es eine solche
nicht, sondern nur Provinzialtruppen, die gar keinen Zusammenhang unter¬
einander hatten, weil jeder Generalgouvemeur (Vizekönig) in dieser Beziehung
ziemlich tun konnte, was ihm beliebte. Es wird freilich noch eine Reihe von
Jahren dauern, ehe das neue kaiserliche Heer von 36 Divisionen vollständig
fertig ist. Vorläufig hat es die allgemeine Finanznot, die hauptsächlich die
Folge der drückenden Kriegskosten aus dem unseligen Boxerjahre ist, vielen von
den weniger wohlhabenden Provinzen noch nicht erlaubt, ihre zwei modernen
Divisionen zu bilden, für die sie selbst die Mittel aufzubringen haben.

Was für einen Kriegswert das in der Bildung begriffne erste wirklich
kaiserlich chinesische Heer haben wird, kann natürlich nur der Ernstfall lehren.
Die Ansicht mancher Sachverständigen scheint dahin zu gehn, daß der Chinese
bei tüchtiger Ausbildung und guter Führung einen gar nicht Übeln Soldaten
abgebe. Nun, an der Ausbildung fehlt es jetzt nicht. Aber die Führung auf
dem Schlachtfelde? Man vermag es sich noch nicht recht vorzustellen, daß aus
den gebildeten Kreisen dieses Volkes, die seit vielen hundert Jahren über ihren
geliebten Klassikern gesessen und die gegen nichts einen größern Widerwillen
gehabt haben als gegen Trommelwirbel und Kanonendonner, nun plötzlich
umsichtige und erfolgreiche Führer moderner Truppen im Gefechte hervor¬
gehn sollen.

Von den vielen andern geplanten Reformen sei hier nur noch eine er¬
wähnt, die entschieden die wichtigste von allen ist, nämlich die auf dem Gebiete
des Finanzwesens. Als die Regierung schon allerlei andre Änderungen verfügt
oder angekündigt hatte, hörte man von einer Reform in der Finanzverwaltung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314363"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Modernisierung Chinas</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_22"> Es War begreiflich genug, daß man zunächst vor allen Dingen daran<lb/>
ging, die bewaffnete Macht zu modernisieren. Schon in früherer Zeit waren<lb/>
mehrfach Anläufe in dieser Beziehung gemacht worden, doch das meiste davon<lb/>
muß eitel Scheinwerk gewesen sein. So wurde zum Beispiel von Li Hung-tschang<lb/>
jahrelang hindurch behauptet, er hätte in seiner Provinz Tschihli eine nach<lb/>
modernem Muster vortrefflich gedrillte Truppe. Während des Krieges mit<lb/>
Japan wartete alle Welt indessen vergeblich auf irgendwelche nennenswerte<lb/>
Leistungen der vorher vielgenannten tapfern Krieger des alten Li.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23"> Jetzt hat man diese Angelegenheit aber wirklich energischer in Angriff<lb/>
genommen. In vielen Provinzen, vornehmlich in denen am Aangtsekiang, sieht<lb/>
man die Truppen auf den Exerzierplätzen Übungen machen, die denen im Westen<lb/>
durchaus ähnlich sind. Schon das äußere Auftreten der Soldaten ist gegen<lb/>
früher ganz anders geworden, denn der mehr für Irokesen oder andre Rot¬<lb/>
häute als für die bewaffnete Macht eines Großstaats passende althergebrachte<lb/>
phantastische Anzug ist einer Uniform nach westindischen Zuschnitt gewichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24"> In jeder der achtzehn Provinzen des eigentlichen Chinas sollen vorläufig<lb/>
zwei Divisionen gebildet werden, die in Zukunft nicht mehr, wie die alten<lb/>
Truppen, den hohen Provinzialmandarinen allein, sondern am letzten Ende dem<lb/>
Kriegsministerium in Peking unterstellt sind. Erst durch diese eingreifende Be¬<lb/>
stimmung wird eine Reichswehrmacht geschaffen. Bisher gab es eine solche<lb/>
nicht, sondern nur Provinzialtruppen, die gar keinen Zusammenhang unter¬<lb/>
einander hatten, weil jeder Generalgouvemeur (Vizekönig) in dieser Beziehung<lb/>
ziemlich tun konnte, was ihm beliebte. Es wird freilich noch eine Reihe von<lb/>
Jahren dauern, ehe das neue kaiserliche Heer von 36 Divisionen vollständig<lb/>
fertig ist. Vorläufig hat es die allgemeine Finanznot, die hauptsächlich die<lb/>
Folge der drückenden Kriegskosten aus dem unseligen Boxerjahre ist, vielen von<lb/>
den weniger wohlhabenden Provinzen noch nicht erlaubt, ihre zwei modernen<lb/>
Divisionen zu bilden, für die sie selbst die Mittel aufzubringen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25"> Was für einen Kriegswert das in der Bildung begriffne erste wirklich<lb/>
kaiserlich chinesische Heer haben wird, kann natürlich nur der Ernstfall lehren.<lb/>
Die Ansicht mancher Sachverständigen scheint dahin zu gehn, daß der Chinese<lb/>
bei tüchtiger Ausbildung und guter Führung einen gar nicht Übeln Soldaten<lb/>
abgebe. Nun, an der Ausbildung fehlt es jetzt nicht. Aber die Führung auf<lb/>
dem Schlachtfelde? Man vermag es sich noch nicht recht vorzustellen, daß aus<lb/>
den gebildeten Kreisen dieses Volkes, die seit vielen hundert Jahren über ihren<lb/>
geliebten Klassikern gesessen und die gegen nichts einen größern Widerwillen<lb/>
gehabt haben als gegen Trommelwirbel und Kanonendonner, nun plötzlich<lb/>
umsichtige und erfolgreiche Führer moderner Truppen im Gefechte hervor¬<lb/>
gehn sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26" next="#ID_27"> Von den vielen andern geplanten Reformen sei hier nur noch eine er¬<lb/>
wähnt, die entschieden die wichtigste von allen ist, nämlich die auf dem Gebiete<lb/>
des Finanzwesens. Als die Regierung schon allerlei andre Änderungen verfügt<lb/>
oder angekündigt hatte, hörte man von einer Reform in der Finanzverwaltung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] Die Modernisierung Chinas Es War begreiflich genug, daß man zunächst vor allen Dingen daran ging, die bewaffnete Macht zu modernisieren. Schon in früherer Zeit waren mehrfach Anläufe in dieser Beziehung gemacht worden, doch das meiste davon muß eitel Scheinwerk gewesen sein. So wurde zum Beispiel von Li Hung-tschang jahrelang hindurch behauptet, er hätte in seiner Provinz Tschihli eine nach modernem Muster vortrefflich gedrillte Truppe. Während des Krieges mit Japan wartete alle Welt indessen vergeblich auf irgendwelche nennenswerte Leistungen der vorher vielgenannten tapfern Krieger des alten Li. Jetzt hat man diese Angelegenheit aber wirklich energischer in Angriff genommen. In vielen Provinzen, vornehmlich in denen am Aangtsekiang, sieht man die Truppen auf den Exerzierplätzen Übungen machen, die denen im Westen durchaus ähnlich sind. Schon das äußere Auftreten der Soldaten ist gegen früher ganz anders geworden, denn der mehr für Irokesen oder andre Rot¬ häute als für die bewaffnete Macht eines Großstaats passende althergebrachte phantastische Anzug ist einer Uniform nach westindischen Zuschnitt gewichen. In jeder der achtzehn Provinzen des eigentlichen Chinas sollen vorläufig zwei Divisionen gebildet werden, die in Zukunft nicht mehr, wie die alten Truppen, den hohen Provinzialmandarinen allein, sondern am letzten Ende dem Kriegsministerium in Peking unterstellt sind. Erst durch diese eingreifende Be¬ stimmung wird eine Reichswehrmacht geschaffen. Bisher gab es eine solche nicht, sondern nur Provinzialtruppen, die gar keinen Zusammenhang unter¬ einander hatten, weil jeder Generalgouvemeur (Vizekönig) in dieser Beziehung ziemlich tun konnte, was ihm beliebte. Es wird freilich noch eine Reihe von Jahren dauern, ehe das neue kaiserliche Heer von 36 Divisionen vollständig fertig ist. Vorläufig hat es die allgemeine Finanznot, die hauptsächlich die Folge der drückenden Kriegskosten aus dem unseligen Boxerjahre ist, vielen von den weniger wohlhabenden Provinzen noch nicht erlaubt, ihre zwei modernen Divisionen zu bilden, für die sie selbst die Mittel aufzubringen haben. Was für einen Kriegswert das in der Bildung begriffne erste wirklich kaiserlich chinesische Heer haben wird, kann natürlich nur der Ernstfall lehren. Die Ansicht mancher Sachverständigen scheint dahin zu gehn, daß der Chinese bei tüchtiger Ausbildung und guter Führung einen gar nicht Übeln Soldaten abgebe. Nun, an der Ausbildung fehlt es jetzt nicht. Aber die Führung auf dem Schlachtfelde? Man vermag es sich noch nicht recht vorzustellen, daß aus den gebildeten Kreisen dieses Volkes, die seit vielen hundert Jahren über ihren geliebten Klassikern gesessen und die gegen nichts einen größern Widerwillen gehabt haben als gegen Trommelwirbel und Kanonendonner, nun plötzlich umsichtige und erfolgreiche Führer moderner Truppen im Gefechte hervor¬ gehn sollen. Von den vielen andern geplanten Reformen sei hier nur noch eine er¬ wähnt, die entschieden die wichtigste von allen ist, nämlich die auf dem Gebiete des Finanzwesens. Als die Regierung schon allerlei andre Änderungen verfügt oder angekündigt hatte, hörte man von einer Reform in der Finanzverwaltung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/16>, abgerufen am 04.07.2024.