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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Modernisierung Chinas

trotz der großen und einschneidenden Wichtigkeit der Sache noch gar nichts. Die
einfache Erklärung für diese auf den ersten Blick befremdende Tatsache wird
wohl die sein, daß sich niemand getraute, an die stachlige, von Schwierigkeiten
starrende Frage hinanzutreten. Man würde der Einsicht und der Klugheit der
Mandarinen Unrecht tun, wenn man bestreiten wollte, daß sich unter ihnen
nicht gar manche befinden müßten, die sich nicht ebensogut sagten wie urteils¬
fähige Ausländer, alle Reformen würden nur ein elendes Stückwerk bleiben,
wenn man nicht den Mut haben wollte, den Übelständen auf finanziellem
Gebiete fest ins Gesicht zu sehn und ihrer Herr zu werden zu suchen. Diese
Übelstände sind allerdings gewaltig groß, denn sie liegen in erster Linie an
dem sehr schlechten, seit langer Zeit eingewurzelten System, das ganz danach
beschaffen ist, selbst ursprünglich rechtschaffen denkende Menschen bald ganz
moralisch zu verderben. Man stellt so oft den ehrlichen chinesischen Kaufmanns¬
stand den unehrlichen Mandarinen gegenüber. Der Unterschied an sich ist im
allgemeinen unbestreitbar, obgleich in der letzten Zeit doch auch Klagen über
die abnehmende Zuverlässigkeit im chinesischen Großhandel laut geworden sind.
Aber man vergißt dabei nur gar zu leicht, daß derselbe junge Mann, der die
Makellosigkeit des väterlichen Geschäfts, falls er in dieses einträte, voraus¬
sichtlich aufrechterhalten würde, es trotzdem vermutlich ebenso wie die meisten
andern Beamten machen würde, wenn er die Mandarinenlaufbahn einschlagen
sollte. Woran liegt das? Lediglich, wie gesagt, an dem höchst verwerflichen
System, das nun mit kurzen Strichen gekennzeichnet sei.

Sämtliche chinesische Staatsbeamte von den höchsten bis zu den niedrigsten
erhalten aus der Staatskasse nur ein völlig ungenügendes Gehalt, womit sie
einfach nicht auskommen können. Deshalb sind sie auf Nebeneinncchmen an¬
gewiesen. Diese bestehn gewöhnlich in Steuern mancherlei Art. Viele Mandarinen
beweisen in der Umsetzung der Steuerschraube eine große Geschicklichkeit. Es hat
aber andrerseits auch nicht selten Fülle gegeben, wo die mächtigsten Satrapen
von der wegen der unvorsichtig oder unklug angesetzten Schraube erbitterten
Volksmenge tagelang in ihrem Aamen (der Dienstwohnung, die zugleich Amts¬
gebäude ist) belagert worden sind, bis sie wohl oder übel nachgeben mußten.
Dergleichen würde sich also meist schließlich von selbst regeln, wenn auch
immerhin der Willkür hierbei ein ziemlich großer Spielraum gelassen ist.

Weit schlimmer aber ist folgendes. Wenn die Zentralregierung in Peking
von einer Provinz eine bestimmte Summe verlangt, so vergrößert sich diese
Während der Beitreibung um das Vielfache. Mit andern Worten, alle Mandarinen
mit verschwindenden Ausnahmen fordern vom Volke in derartigen Fällen mehr,
als sie abzuliefern haben, um den Überschuß in die eigne Tasche zu stecken.
Hiermit haben wir die wundeste Stelle in der ganzen chinesischen Verwaltung
berührt. Das Volk weiß im allgemeinen recht gut, woran es ist, aber es wagt
sich nicht so leicht dagegen aufzulehnen wie gegen eine örtliche Steuer, weil
es nicht mit Unrecht fürchtet, man könnte dies wie eine offne Empörung gegen


Grenzboten IV 1909 2
Die Modernisierung Chinas

trotz der großen und einschneidenden Wichtigkeit der Sache noch gar nichts. Die
einfache Erklärung für diese auf den ersten Blick befremdende Tatsache wird
wohl die sein, daß sich niemand getraute, an die stachlige, von Schwierigkeiten
starrende Frage hinanzutreten. Man würde der Einsicht und der Klugheit der
Mandarinen Unrecht tun, wenn man bestreiten wollte, daß sich unter ihnen
nicht gar manche befinden müßten, die sich nicht ebensogut sagten wie urteils¬
fähige Ausländer, alle Reformen würden nur ein elendes Stückwerk bleiben,
wenn man nicht den Mut haben wollte, den Übelständen auf finanziellem
Gebiete fest ins Gesicht zu sehn und ihrer Herr zu werden zu suchen. Diese
Übelstände sind allerdings gewaltig groß, denn sie liegen in erster Linie an
dem sehr schlechten, seit langer Zeit eingewurzelten System, das ganz danach
beschaffen ist, selbst ursprünglich rechtschaffen denkende Menschen bald ganz
moralisch zu verderben. Man stellt so oft den ehrlichen chinesischen Kaufmanns¬
stand den unehrlichen Mandarinen gegenüber. Der Unterschied an sich ist im
allgemeinen unbestreitbar, obgleich in der letzten Zeit doch auch Klagen über
die abnehmende Zuverlässigkeit im chinesischen Großhandel laut geworden sind.
Aber man vergißt dabei nur gar zu leicht, daß derselbe junge Mann, der die
Makellosigkeit des väterlichen Geschäfts, falls er in dieses einträte, voraus¬
sichtlich aufrechterhalten würde, es trotzdem vermutlich ebenso wie die meisten
andern Beamten machen würde, wenn er die Mandarinenlaufbahn einschlagen
sollte. Woran liegt das? Lediglich, wie gesagt, an dem höchst verwerflichen
System, das nun mit kurzen Strichen gekennzeichnet sei.

Sämtliche chinesische Staatsbeamte von den höchsten bis zu den niedrigsten
erhalten aus der Staatskasse nur ein völlig ungenügendes Gehalt, womit sie
einfach nicht auskommen können. Deshalb sind sie auf Nebeneinncchmen an¬
gewiesen. Diese bestehn gewöhnlich in Steuern mancherlei Art. Viele Mandarinen
beweisen in der Umsetzung der Steuerschraube eine große Geschicklichkeit. Es hat
aber andrerseits auch nicht selten Fülle gegeben, wo die mächtigsten Satrapen
von der wegen der unvorsichtig oder unklug angesetzten Schraube erbitterten
Volksmenge tagelang in ihrem Aamen (der Dienstwohnung, die zugleich Amts¬
gebäude ist) belagert worden sind, bis sie wohl oder übel nachgeben mußten.
Dergleichen würde sich also meist schließlich von selbst regeln, wenn auch
immerhin der Willkür hierbei ein ziemlich großer Spielraum gelassen ist.

Weit schlimmer aber ist folgendes. Wenn die Zentralregierung in Peking
von einer Provinz eine bestimmte Summe verlangt, so vergrößert sich diese
Während der Beitreibung um das Vielfache. Mit andern Worten, alle Mandarinen
mit verschwindenden Ausnahmen fordern vom Volke in derartigen Fällen mehr,
als sie abzuliefern haben, um den Überschuß in die eigne Tasche zu stecken.
Hiermit haben wir die wundeste Stelle in der ganzen chinesischen Verwaltung
berührt. Das Volk weiß im allgemeinen recht gut, woran es ist, aber es wagt
sich nicht so leicht dagegen aufzulehnen wie gegen eine örtliche Steuer, weil
es nicht mit Unrecht fürchtet, man könnte dies wie eine offne Empörung gegen


Grenzboten IV 1909 2
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[0017] Die Modernisierung Chinas trotz der großen und einschneidenden Wichtigkeit der Sache noch gar nichts. Die einfache Erklärung für diese auf den ersten Blick befremdende Tatsache wird wohl die sein, daß sich niemand getraute, an die stachlige, von Schwierigkeiten starrende Frage hinanzutreten. Man würde der Einsicht und der Klugheit der Mandarinen Unrecht tun, wenn man bestreiten wollte, daß sich unter ihnen nicht gar manche befinden müßten, die sich nicht ebensogut sagten wie urteils¬ fähige Ausländer, alle Reformen würden nur ein elendes Stückwerk bleiben, wenn man nicht den Mut haben wollte, den Übelständen auf finanziellem Gebiete fest ins Gesicht zu sehn und ihrer Herr zu werden zu suchen. Diese Übelstände sind allerdings gewaltig groß, denn sie liegen in erster Linie an dem sehr schlechten, seit langer Zeit eingewurzelten System, das ganz danach beschaffen ist, selbst ursprünglich rechtschaffen denkende Menschen bald ganz moralisch zu verderben. Man stellt so oft den ehrlichen chinesischen Kaufmanns¬ stand den unehrlichen Mandarinen gegenüber. Der Unterschied an sich ist im allgemeinen unbestreitbar, obgleich in der letzten Zeit doch auch Klagen über die abnehmende Zuverlässigkeit im chinesischen Großhandel laut geworden sind. Aber man vergißt dabei nur gar zu leicht, daß derselbe junge Mann, der die Makellosigkeit des väterlichen Geschäfts, falls er in dieses einträte, voraus¬ sichtlich aufrechterhalten würde, es trotzdem vermutlich ebenso wie die meisten andern Beamten machen würde, wenn er die Mandarinenlaufbahn einschlagen sollte. Woran liegt das? Lediglich, wie gesagt, an dem höchst verwerflichen System, das nun mit kurzen Strichen gekennzeichnet sei. Sämtliche chinesische Staatsbeamte von den höchsten bis zu den niedrigsten erhalten aus der Staatskasse nur ein völlig ungenügendes Gehalt, womit sie einfach nicht auskommen können. Deshalb sind sie auf Nebeneinncchmen an¬ gewiesen. Diese bestehn gewöhnlich in Steuern mancherlei Art. Viele Mandarinen beweisen in der Umsetzung der Steuerschraube eine große Geschicklichkeit. Es hat aber andrerseits auch nicht selten Fülle gegeben, wo die mächtigsten Satrapen von der wegen der unvorsichtig oder unklug angesetzten Schraube erbitterten Volksmenge tagelang in ihrem Aamen (der Dienstwohnung, die zugleich Amts¬ gebäude ist) belagert worden sind, bis sie wohl oder übel nachgeben mußten. Dergleichen würde sich also meist schließlich von selbst regeln, wenn auch immerhin der Willkür hierbei ein ziemlich großer Spielraum gelassen ist. Weit schlimmer aber ist folgendes. Wenn die Zentralregierung in Peking von einer Provinz eine bestimmte Summe verlangt, so vergrößert sich diese Während der Beitreibung um das Vielfache. Mit andern Worten, alle Mandarinen mit verschwindenden Ausnahmen fordern vom Volke in derartigen Fällen mehr, als sie abzuliefern haben, um den Überschuß in die eigne Tasche zu stecken. Hiermit haben wir die wundeste Stelle in der ganzen chinesischen Verwaltung berührt. Das Volk weiß im allgemeinen recht gut, woran es ist, aber es wagt sich nicht so leicht dagegen aufzulehnen wie gegen eine örtliche Steuer, weil es nicht mit Unrecht fürchtet, man könnte dies wie eine offne Empörung gegen Grenzboten IV 1909 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/17>, abgerufen am 04.07.2024.