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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der cvstmarkcnfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

die mir ein zu wenig neues Bild boten, als daß ich darüber in Aufregung geraten
wäre. Dagegen amüsierte mich ein ähnlicher unwillkürlicher Vergleich in bezug
auf die zugehörigen Menschen. Es war ein mosaischer Feiertag. Während nun
das Volk Israel drüben im schäbigen Rockelor, mit Stirnlocken und Samt-
käppchen unter seiner niedern Haustür hockte, führten seine Glaubensgenossen
auf der preußischen Seite ihre Damen in modernsten Kleidern und Hüten
von entsprechendem Umfang spazieren und sahen auch selbst im schwarzen
Gehrock, weißer Weste und glänzendem Zylinderhut durchaus uicht aus wie
die schlechte Zeit.

Und wieder ging es im flotten Wagenzug hinaus aus dem unverfälschten
Halbasien von Dobrzhn und aus der mittelalterlichen Romantik von Schloß
Gohlau in die lebendige Gegenwart.

Das große von der Ansiedlungskommission angekaufte Schloßgut Gohlau
ist noch in "Zwischenverwaltung", d. h. das noch ""geteilte Gut steht unter
einem Verwalter der Kommission, der in ein- bis zweijährigem Umtrieb für
jede einzelne der spätern Ansiedlerstellen den Grund und Boden so vorbereiten
soll, daß der künftige Besitzer sofort mit Bauen und Pflanzen anfangen kann.
Bald aber treten wir in die Markung des großen Reihendorfes Osterbitz-
Napole ein. das mit 96 Ansiedlern und 18 Kleinpächtern wohl das bevolkertstc
der von uns berührten Dörfer ist oder werden wird, denn es ist erst in den
Jahren 1903 bis 1906 besiedelt worden.

Die Besichtigung von innen beschränkte sich hier auf den Krug, dessen
hübscher Saal schon durch den Anbau eiuer Bühne und einer Art Seitenschiff
erweitert werden mußte, um bei Festlichkeiten des Kriegervereins usw. die An¬
siedler und ihre Gaste zu fassen. Unweit davon steht das freundliche Haus
der "Landpflegestation", wo Frauen und Töchter der Ansiedler gegen außer¬
ordentlich geringes Kostgeld Haushaltungsunterricht nehmen können. Noch
einige Minuten, und wir sehen in freiem Feld eine altertümliche Kirche. Es
ist die Kirche des frühern Gutes Ostrowitt, in der jetzt kein katholischer Gottes¬
dienst mehr gehalten wird, weil -- keine Katholiken mehr da sind. Durch den An¬
kauf des Gutes ist die Ansiedlungskommission Patronin der Kirche geworden
und muß sie baulich unterhalten, aber -- benutzen darf sie die Kirche nicht; sie
hat in dem Park daneben eine neue für das jetzt protestantische Osterbitz bauen
lassen. Als das erste Gotteshaus hier im vierzehnten Jahrhundert gebaut
wurde, half die Kirche den Deutschherren die eingebornen Polen germanisieren,
heute tut sie ihr möglichstes, um die alteingesessenen katholischen Deutschen
zu polemisieren, und erschwert der Ansiedlungskommission die Umsetzung neuer
katholischer Deutscher nach Kräften -- um nachher über Mangel an Parität
zu jammern. Ich bin weit entfernt davon, es der katholischen Kirche übel
zu nehmen, daß sie auf diesem Kampfesboden der evangelischen Schwesterkirche
das Recht der Benutzung ihrer leerstehenden Kirche nicht eingeräumt hat, nicht
einmal auf Kündigung. Ich begreife es, daß Rom keinen Besitztitel aufgibt


von der cvstmarkcnfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

die mir ein zu wenig neues Bild boten, als daß ich darüber in Aufregung geraten
wäre. Dagegen amüsierte mich ein ähnlicher unwillkürlicher Vergleich in bezug
auf die zugehörigen Menschen. Es war ein mosaischer Feiertag. Während nun
das Volk Israel drüben im schäbigen Rockelor, mit Stirnlocken und Samt-
käppchen unter seiner niedern Haustür hockte, führten seine Glaubensgenossen
auf der preußischen Seite ihre Damen in modernsten Kleidern und Hüten
von entsprechendem Umfang spazieren und sahen auch selbst im schwarzen
Gehrock, weißer Weste und glänzendem Zylinderhut durchaus uicht aus wie
die schlechte Zeit.

Und wieder ging es im flotten Wagenzug hinaus aus dem unverfälschten
Halbasien von Dobrzhn und aus der mittelalterlichen Romantik von Schloß
Gohlau in die lebendige Gegenwart.

Das große von der Ansiedlungskommission angekaufte Schloßgut Gohlau
ist noch in „Zwischenverwaltung", d. h. das noch »«geteilte Gut steht unter
einem Verwalter der Kommission, der in ein- bis zweijährigem Umtrieb für
jede einzelne der spätern Ansiedlerstellen den Grund und Boden so vorbereiten
soll, daß der künftige Besitzer sofort mit Bauen und Pflanzen anfangen kann.
Bald aber treten wir in die Markung des großen Reihendorfes Osterbitz-
Napole ein. das mit 96 Ansiedlern und 18 Kleinpächtern wohl das bevolkertstc
der von uns berührten Dörfer ist oder werden wird, denn es ist erst in den
Jahren 1903 bis 1906 besiedelt worden.

Die Besichtigung von innen beschränkte sich hier auf den Krug, dessen
hübscher Saal schon durch den Anbau eiuer Bühne und einer Art Seitenschiff
erweitert werden mußte, um bei Festlichkeiten des Kriegervereins usw. die An¬
siedler und ihre Gaste zu fassen. Unweit davon steht das freundliche Haus
der „Landpflegestation", wo Frauen und Töchter der Ansiedler gegen außer¬
ordentlich geringes Kostgeld Haushaltungsunterricht nehmen können. Noch
einige Minuten, und wir sehen in freiem Feld eine altertümliche Kirche. Es
ist die Kirche des frühern Gutes Ostrowitt, in der jetzt kein katholischer Gottes¬
dienst mehr gehalten wird, weil — keine Katholiken mehr da sind. Durch den An¬
kauf des Gutes ist die Ansiedlungskommission Patronin der Kirche geworden
und muß sie baulich unterhalten, aber — benutzen darf sie die Kirche nicht; sie
hat in dem Park daneben eine neue für das jetzt protestantische Osterbitz bauen
lassen. Als das erste Gotteshaus hier im vierzehnten Jahrhundert gebaut
wurde, half die Kirche den Deutschherren die eingebornen Polen germanisieren,
heute tut sie ihr möglichstes, um die alteingesessenen katholischen Deutschen
zu polemisieren, und erschwert der Ansiedlungskommission die Umsetzung neuer
katholischer Deutscher nach Kräften — um nachher über Mangel an Parität
zu jammern. Ich bin weit entfernt davon, es der katholischen Kirche übel
zu nehmen, daß sie auf diesem Kampfesboden der evangelischen Schwesterkirche
das Recht der Benutzung ihrer leerstehenden Kirche nicht eingeräumt hat, nicht
einmal auf Kündigung. Ich begreife es, daß Rom keinen Besitztitel aufgibt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/125>, abgerufen am 24.07.2024.