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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstlnarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Eine Eisenbahnfahrt durch die Kreise Zum und Hohcusalza, während deren
das nun auf Ansiedlungsdörfer eingestellte Auge bald rechts bald links die
erfreulichen Bilder der Kolonistenhöfe zu sehen bekam, brachte uns nach Thorn.
Schon der Übergang über die breite Weichsel mit dem Blick auf die hochragende
Stadt, aber mehr noch das Wandeln durch die altertümlichen Straßen, der
Anblick der mächtigen gotischen Kirchen und des großartigen gotischen Rathauses
und zum Schluß ein Spaziergang in den schonen Stadtwald gaben der wachsenden
Schätzung der landschaftlichen Reize und der kunstgeschichtlichen Bedeutung der
"polnischen Provinzen" neue Nahrung. Ein äußerst freundlicher Empfang
verfehlte uicht die angenehmen Eindrücke zu befestigen. Der nächste Tag
war -- leider -- der letzte im Ansiedlungsgebiet. Nach einem Rundgang durch
das alte und das neue Thorn führte uns der Zug durch Westpreußens Rüben¬
land, wo sich die größten Zuckerfabriken der Welt befinden, nach dem Bahnhof
Gollub. Unweit davon steht die mächtige Ruine der Ordensburg Gohlau.
schmucklos, seines obern Geschosses beraubt, erhebt sich der quadratische
Steinklotz der gebrochnen Burg noch jetzt bis zu einer Höhe von etwa 25 Metern.
Die Aussicht von seiner Zinne ist die schönste, die ich im Binnenland der
Ostmark genossen habe, denn das Schloß thront auf dem höchsten Puukt einer
steilen Terrasse, die die Drewenz, ein starker Nebenfluß der Weichsel, ausgenagt
hat. Jenseits des Flusses glänzt die unbegrenzte Ebene Russisch-Polens, zu unsern
Füßen schmiegt sich zwischen Fluß und Burghügel das alte Städtchen Gollub.

In eine Schlinge des Flusses hineingelegt und außerdem noch von einer
Mauer umzogen, gegen Westen durch das Schloß gedeckt, mag der alte Grenz-
und Handelsplatz einst ziemlich fest gewesen sein. Als Denkmal des Verkehrs
im Mittelalter steht zwischen dem Marktplatz und der Brücke noch heute ein
altes Gasthaus aus der Ordenszeit, ein ungefüger niedriger Giebelbau aus
mächtigen Eichenstämmen, dessen Erdgeschoß eine nach der Straße offne Halle
bildet. Der große Marktplatz macht einen sehr stattlichen und zugleich malerischen
Eindruck. Einige seiner schmalen Steinhäuser haben noch wie in Marienburg
ihre offnen Hallen erhalten und zeigen auch sonst noch die Spuren hohen
Alters. Nehmen wir dazu noch den mächtigen Backsteinbau der ins vierzehnte
Jahrhundert zurückreichenden katholischen Kirche, die durch ihre guten Verhält¬
nisse und die Geschlossenheit ihrer unverzierten Flächen dem Ange einen an¬
genehmen Ruhepunkt darbietet, so haben wir ein Städtebild, das in seiner
Eigenart auch den rheinischen und süddeutschen Feinschmecker befriedigen kann.
Um so erfreulicher ist es, daß die neue evangelische Kirche und andre damit
im Zusammenhang stehende Bauten dem alten Bilde reizend eingefügt sind.

Das hölzerne Gittertor, das am jenseitigen Ende der Drewenzbrücke das
heilige Nußland absperrt, öffnete sich uns, sodaß wir eine Stunde in der
(russisch-)polnischen Stadt Dobrzyn herumwandeln konnten. Geradezu komisch
war das Erstaunen meiner Reisegenossen über die Armseligkeit der dortigen
Häuser und Kramläden, die Anspruchslosigkeit der sogenannten Straßen usw.


von der Gstlnarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Eine Eisenbahnfahrt durch die Kreise Zum und Hohcusalza, während deren
das nun auf Ansiedlungsdörfer eingestellte Auge bald rechts bald links die
erfreulichen Bilder der Kolonistenhöfe zu sehen bekam, brachte uns nach Thorn.
Schon der Übergang über die breite Weichsel mit dem Blick auf die hochragende
Stadt, aber mehr noch das Wandeln durch die altertümlichen Straßen, der
Anblick der mächtigen gotischen Kirchen und des großartigen gotischen Rathauses
und zum Schluß ein Spaziergang in den schonen Stadtwald gaben der wachsenden
Schätzung der landschaftlichen Reize und der kunstgeschichtlichen Bedeutung der
„polnischen Provinzen" neue Nahrung. Ein äußerst freundlicher Empfang
verfehlte uicht die angenehmen Eindrücke zu befestigen. Der nächste Tag
war — leider — der letzte im Ansiedlungsgebiet. Nach einem Rundgang durch
das alte und das neue Thorn führte uns der Zug durch Westpreußens Rüben¬
land, wo sich die größten Zuckerfabriken der Welt befinden, nach dem Bahnhof
Gollub. Unweit davon steht die mächtige Ruine der Ordensburg Gohlau.
schmucklos, seines obern Geschosses beraubt, erhebt sich der quadratische
Steinklotz der gebrochnen Burg noch jetzt bis zu einer Höhe von etwa 25 Metern.
Die Aussicht von seiner Zinne ist die schönste, die ich im Binnenland der
Ostmark genossen habe, denn das Schloß thront auf dem höchsten Puukt einer
steilen Terrasse, die die Drewenz, ein starker Nebenfluß der Weichsel, ausgenagt
hat. Jenseits des Flusses glänzt die unbegrenzte Ebene Russisch-Polens, zu unsern
Füßen schmiegt sich zwischen Fluß und Burghügel das alte Städtchen Gollub.

In eine Schlinge des Flusses hineingelegt und außerdem noch von einer
Mauer umzogen, gegen Westen durch das Schloß gedeckt, mag der alte Grenz-
und Handelsplatz einst ziemlich fest gewesen sein. Als Denkmal des Verkehrs
im Mittelalter steht zwischen dem Marktplatz und der Brücke noch heute ein
altes Gasthaus aus der Ordenszeit, ein ungefüger niedriger Giebelbau aus
mächtigen Eichenstämmen, dessen Erdgeschoß eine nach der Straße offne Halle
bildet. Der große Marktplatz macht einen sehr stattlichen und zugleich malerischen
Eindruck. Einige seiner schmalen Steinhäuser haben noch wie in Marienburg
ihre offnen Hallen erhalten und zeigen auch sonst noch die Spuren hohen
Alters. Nehmen wir dazu noch den mächtigen Backsteinbau der ins vierzehnte
Jahrhundert zurückreichenden katholischen Kirche, die durch ihre guten Verhält¬
nisse und die Geschlossenheit ihrer unverzierten Flächen dem Ange einen an¬
genehmen Ruhepunkt darbietet, so haben wir ein Städtebild, das in seiner
Eigenart auch den rheinischen und süddeutschen Feinschmecker befriedigen kann.
Um so erfreulicher ist es, daß die neue evangelische Kirche und andre damit
im Zusammenhang stehende Bauten dem alten Bilde reizend eingefügt sind.

Das hölzerne Gittertor, das am jenseitigen Ende der Drewenzbrücke das
heilige Nußland absperrt, öffnete sich uns, sodaß wir eine Stunde in der
(russisch-)polnischen Stadt Dobrzyn herumwandeln konnten. Geradezu komisch
war das Erstaunen meiner Reisegenossen über die Armseligkeit der dortigen
Häuser und Kramläden, die Anspruchslosigkeit der sogenannten Straßen usw.


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[0124] von der Gstlnarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten Eine Eisenbahnfahrt durch die Kreise Zum und Hohcusalza, während deren das nun auf Ansiedlungsdörfer eingestellte Auge bald rechts bald links die erfreulichen Bilder der Kolonistenhöfe zu sehen bekam, brachte uns nach Thorn. Schon der Übergang über die breite Weichsel mit dem Blick auf die hochragende Stadt, aber mehr noch das Wandeln durch die altertümlichen Straßen, der Anblick der mächtigen gotischen Kirchen und des großartigen gotischen Rathauses und zum Schluß ein Spaziergang in den schonen Stadtwald gaben der wachsenden Schätzung der landschaftlichen Reize und der kunstgeschichtlichen Bedeutung der „polnischen Provinzen" neue Nahrung. Ein äußerst freundlicher Empfang verfehlte uicht die angenehmen Eindrücke zu befestigen. Der nächste Tag war — leider — der letzte im Ansiedlungsgebiet. Nach einem Rundgang durch das alte und das neue Thorn führte uns der Zug durch Westpreußens Rüben¬ land, wo sich die größten Zuckerfabriken der Welt befinden, nach dem Bahnhof Gollub. Unweit davon steht die mächtige Ruine der Ordensburg Gohlau. schmucklos, seines obern Geschosses beraubt, erhebt sich der quadratische Steinklotz der gebrochnen Burg noch jetzt bis zu einer Höhe von etwa 25 Metern. Die Aussicht von seiner Zinne ist die schönste, die ich im Binnenland der Ostmark genossen habe, denn das Schloß thront auf dem höchsten Puukt einer steilen Terrasse, die die Drewenz, ein starker Nebenfluß der Weichsel, ausgenagt hat. Jenseits des Flusses glänzt die unbegrenzte Ebene Russisch-Polens, zu unsern Füßen schmiegt sich zwischen Fluß und Burghügel das alte Städtchen Gollub. In eine Schlinge des Flusses hineingelegt und außerdem noch von einer Mauer umzogen, gegen Westen durch das Schloß gedeckt, mag der alte Grenz- und Handelsplatz einst ziemlich fest gewesen sein. Als Denkmal des Verkehrs im Mittelalter steht zwischen dem Marktplatz und der Brücke noch heute ein altes Gasthaus aus der Ordenszeit, ein ungefüger niedriger Giebelbau aus mächtigen Eichenstämmen, dessen Erdgeschoß eine nach der Straße offne Halle bildet. Der große Marktplatz macht einen sehr stattlichen und zugleich malerischen Eindruck. Einige seiner schmalen Steinhäuser haben noch wie in Marienburg ihre offnen Hallen erhalten und zeigen auch sonst noch die Spuren hohen Alters. Nehmen wir dazu noch den mächtigen Backsteinbau der ins vierzehnte Jahrhundert zurückreichenden katholischen Kirche, die durch ihre guten Verhält¬ nisse und die Geschlossenheit ihrer unverzierten Flächen dem Ange einen an¬ genehmen Ruhepunkt darbietet, so haben wir ein Städtebild, das in seiner Eigenart auch den rheinischen und süddeutschen Feinschmecker befriedigen kann. Um so erfreulicher ist es, daß die neue evangelische Kirche und andre damit im Zusammenhang stehende Bauten dem alten Bilde reizend eingefügt sind. Das hölzerne Gittertor, das am jenseitigen Ende der Drewenzbrücke das heilige Nußland absperrt, öffnete sich uns, sodaß wir eine Stunde in der (russisch-)polnischen Stadt Dobrzyn herumwandeln konnten. Geradezu komisch war das Erstaunen meiner Reisegenossen über die Armseligkeit der dortigen Häuser und Kramläden, die Anspruchslosigkeit der sogenannten Straßen usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/124>, abgerufen am 24.07.2024.