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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Ästmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

bekannt ist, muß damit gerechnet werden. Wenn die polnischen Enklaven zwischen
den deutschen Dörfern nicht verhindert werden können, so darf wenigstens die
Negierung selbst keine solchen im Kern der deutschen Ansiedlungen anlegen,
wenn sie nicht die Millionen der Steuerzahler in ein Sieb schütten und ihr
Ansiedlungswerk selbst schädigen will.

Den Abschluß der Fahrt dieses Tages bildete das freundliche Städtchen
Janowitz, wo wir die mit Lehrmitteln sehr gut ausgestattete, in einem schönen
ehemaligen Gutshaus untergebrachte landwirtschaftliche Winterschule besichtigten.
Janowitz ist das wirtschaftliche Zentrum und die hohe Schule für 1700 um¬
liegende Ansiedlerfamilien. Abgesehn von der landwirtschaftlichen Winterschule
befindet sich dort eine Anstalt für Geflügelzucht und eine für Obstbaumzucht
sowie ein landwirtschaftlicher Verein. Das in dem ganzen Ansiedlungsgebict
stark ausgebildete Genossenschaftswesen hat hier in Janowitz unter anderen eine
Molkereigesellschaft ins Leben gerufen, die bei 450 Mitgliedern jährlich
2"/^ Millionen Liter Milch verarbeitet, desgleichen eine Kornhausgenossenschaft
mit eigner Mühle und Dampfbäckerei, die bei dreihundert Mitgliedern jährlich
90 bis 100000 Zentner Getreide umsetzt und täglich 1400 Brote her¬
stellt. Diese Betriebsamkeit hat sich dem gauzen Städtchen mitgeteilt und eine
starke deutsche Einwanderung veranlaßt, die in den letzten fünf Jahren die
gleichzeitige Zunahme der Polen um das Zwölffache übertraf. Wenn im
Jahre 1895 107 deutschen Schulkindern noch 291 polnische gegenüberstanden,
so zählte man neun Jahre später 158 deutsche und 228 polnische. Man ist
erstaunt, elektrische Straßenbeleuchtung und eine Menge hübscher Neubauten,
ja einen ganzen, in Anlage begriffnen neuen Stadtteil zu finden, wo vor
wenigen Jahren noch strohgedeckte Lehmhütten zu sehen waren.

Wenn man bei Gnesen*) vielleicht im Zweifel sein kann, ob die starke
Zunahme der deutschen Geschäfte und Läden nicht zu einem großen Teil der
stürkern Berücksichtigung seitens der Offiziere und Beamten zu verdanken ist,
kann man es in Janowitz mit Händen greifen, daß die Ansiedlungskolonien
die "eingekreisten" Städte zunächst wirtschaftlich heben und dann germanisieren.
Die eingekreisten Städte lind Städtchen sind sämtlich unverhältnismäßig rasch
gewachsen, vielfach allerdings zunächst anfangs mehr zugunsten des polnischen
Vevölkerungsanteils, während Städte mit sonst gleichen Lebensbedingungen,
aber abseits von den Ansiedlungen liegend, fast stehen geblieben oder zurück¬
gegangen sind. Eine germanisierende Einwirkung auf die benachbarten Städte
hat man sich von Anfang an erst für den Zeitpunkt versprochen, wo von der
zweiten Generation der Ansiedler ein Teil auf den elterlichen Höfen keinen
Platz mehr finden kann und sein Glück in der Stadt machen will. Wie er¬
wartet, ist auch im letzten Jahrfünft in allen in Betracht kommenden Städten
die deutsche Bevölkerung viel rascher angewachsen.



*) Übrigens wird auch in Gnesen die notwendig gewordne Vermehrung der jährlichen Vieh¬
märkte von acht auf zwölf kaum auf Rechnung der städtischen Bevölkerung zu setzen sein.
von der Ästmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

bekannt ist, muß damit gerechnet werden. Wenn die polnischen Enklaven zwischen
den deutschen Dörfern nicht verhindert werden können, so darf wenigstens die
Negierung selbst keine solchen im Kern der deutschen Ansiedlungen anlegen,
wenn sie nicht die Millionen der Steuerzahler in ein Sieb schütten und ihr
Ansiedlungswerk selbst schädigen will.

Den Abschluß der Fahrt dieses Tages bildete das freundliche Städtchen
Janowitz, wo wir die mit Lehrmitteln sehr gut ausgestattete, in einem schönen
ehemaligen Gutshaus untergebrachte landwirtschaftliche Winterschule besichtigten.
Janowitz ist das wirtschaftliche Zentrum und die hohe Schule für 1700 um¬
liegende Ansiedlerfamilien. Abgesehn von der landwirtschaftlichen Winterschule
befindet sich dort eine Anstalt für Geflügelzucht und eine für Obstbaumzucht
sowie ein landwirtschaftlicher Verein. Das in dem ganzen Ansiedlungsgebict
stark ausgebildete Genossenschaftswesen hat hier in Janowitz unter anderen eine
Molkereigesellschaft ins Leben gerufen, die bei 450 Mitgliedern jährlich
2"/^ Millionen Liter Milch verarbeitet, desgleichen eine Kornhausgenossenschaft
mit eigner Mühle und Dampfbäckerei, die bei dreihundert Mitgliedern jährlich
90 bis 100000 Zentner Getreide umsetzt und täglich 1400 Brote her¬
stellt. Diese Betriebsamkeit hat sich dem gauzen Städtchen mitgeteilt und eine
starke deutsche Einwanderung veranlaßt, die in den letzten fünf Jahren die
gleichzeitige Zunahme der Polen um das Zwölffache übertraf. Wenn im
Jahre 1895 107 deutschen Schulkindern noch 291 polnische gegenüberstanden,
so zählte man neun Jahre später 158 deutsche und 228 polnische. Man ist
erstaunt, elektrische Straßenbeleuchtung und eine Menge hübscher Neubauten,
ja einen ganzen, in Anlage begriffnen neuen Stadtteil zu finden, wo vor
wenigen Jahren noch strohgedeckte Lehmhütten zu sehen waren.

Wenn man bei Gnesen*) vielleicht im Zweifel sein kann, ob die starke
Zunahme der deutschen Geschäfte und Läden nicht zu einem großen Teil der
stürkern Berücksichtigung seitens der Offiziere und Beamten zu verdanken ist,
kann man es in Janowitz mit Händen greifen, daß die Ansiedlungskolonien
die „eingekreisten" Städte zunächst wirtschaftlich heben und dann germanisieren.
Die eingekreisten Städte lind Städtchen sind sämtlich unverhältnismäßig rasch
gewachsen, vielfach allerdings zunächst anfangs mehr zugunsten des polnischen
Vevölkerungsanteils, während Städte mit sonst gleichen Lebensbedingungen,
aber abseits von den Ansiedlungen liegend, fast stehen geblieben oder zurück¬
gegangen sind. Eine germanisierende Einwirkung auf die benachbarten Städte
hat man sich von Anfang an erst für den Zeitpunkt versprochen, wo von der
zweiten Generation der Ansiedler ein Teil auf den elterlichen Höfen keinen
Platz mehr finden kann und sein Glück in der Stadt machen will. Wie er¬
wartet, ist auch im letzten Jahrfünft in allen in Betracht kommenden Städten
die deutsche Bevölkerung viel rascher angewachsen.



*) Übrigens wird auch in Gnesen die notwendig gewordne Vermehrung der jährlichen Vieh¬
märkte von acht auf zwölf kaum auf Rechnung der städtischen Bevölkerung zu setzen sein.
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[0123] von der Ästmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten bekannt ist, muß damit gerechnet werden. Wenn die polnischen Enklaven zwischen den deutschen Dörfern nicht verhindert werden können, so darf wenigstens die Negierung selbst keine solchen im Kern der deutschen Ansiedlungen anlegen, wenn sie nicht die Millionen der Steuerzahler in ein Sieb schütten und ihr Ansiedlungswerk selbst schädigen will. Den Abschluß der Fahrt dieses Tages bildete das freundliche Städtchen Janowitz, wo wir die mit Lehrmitteln sehr gut ausgestattete, in einem schönen ehemaligen Gutshaus untergebrachte landwirtschaftliche Winterschule besichtigten. Janowitz ist das wirtschaftliche Zentrum und die hohe Schule für 1700 um¬ liegende Ansiedlerfamilien. Abgesehn von der landwirtschaftlichen Winterschule befindet sich dort eine Anstalt für Geflügelzucht und eine für Obstbaumzucht sowie ein landwirtschaftlicher Verein. Das in dem ganzen Ansiedlungsgebict stark ausgebildete Genossenschaftswesen hat hier in Janowitz unter anderen eine Molkereigesellschaft ins Leben gerufen, die bei 450 Mitgliedern jährlich 2"/^ Millionen Liter Milch verarbeitet, desgleichen eine Kornhausgenossenschaft mit eigner Mühle und Dampfbäckerei, die bei dreihundert Mitgliedern jährlich 90 bis 100000 Zentner Getreide umsetzt und täglich 1400 Brote her¬ stellt. Diese Betriebsamkeit hat sich dem gauzen Städtchen mitgeteilt und eine starke deutsche Einwanderung veranlaßt, die in den letzten fünf Jahren die gleichzeitige Zunahme der Polen um das Zwölffache übertraf. Wenn im Jahre 1895 107 deutschen Schulkindern noch 291 polnische gegenüberstanden, so zählte man neun Jahre später 158 deutsche und 228 polnische. Man ist erstaunt, elektrische Straßenbeleuchtung und eine Menge hübscher Neubauten, ja einen ganzen, in Anlage begriffnen neuen Stadtteil zu finden, wo vor wenigen Jahren noch strohgedeckte Lehmhütten zu sehen waren. Wenn man bei Gnesen*) vielleicht im Zweifel sein kann, ob die starke Zunahme der deutschen Geschäfte und Läden nicht zu einem großen Teil der stürkern Berücksichtigung seitens der Offiziere und Beamten zu verdanken ist, kann man es in Janowitz mit Händen greifen, daß die Ansiedlungskolonien die „eingekreisten" Städte zunächst wirtschaftlich heben und dann germanisieren. Die eingekreisten Städte lind Städtchen sind sämtlich unverhältnismäßig rasch gewachsen, vielfach allerdings zunächst anfangs mehr zugunsten des polnischen Vevölkerungsanteils, während Städte mit sonst gleichen Lebensbedingungen, aber abseits von den Ansiedlungen liegend, fast stehen geblieben oder zurück¬ gegangen sind. Eine germanisierende Einwirkung auf die benachbarten Städte hat man sich von Anfang an erst für den Zeitpunkt versprochen, wo von der zweiten Generation der Ansiedler ein Teil auf den elterlichen Höfen keinen Platz mehr finden kann und sein Glück in der Stadt machen will. Wie er¬ wartet, ist auch im letzten Jahrfünft in allen in Betracht kommenden Städten die deutsche Bevölkerung viel rascher angewachsen. *) Übrigens wird auch in Gnesen die notwendig gewordne Vermehrung der jährlichen Vieh¬ märkte von acht auf zwölf kaum auf Rechnung der städtischen Bevölkerung zu setzen sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/123>, abgerufen am 24.07.2024.