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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

bekanntlich nur ein Bruchteil nachher als überragend, viele versinken in ein
um so volleres Philistertum. Althoff hat sein Leben lang eine Menge
burlesker Einfälle -- nicht bloß gehabt, sondern ihnen auch Folge gegeben,
Und von einer Art von studentischer Unbekümmertheit war er niemals abge¬
kommen. Selbst als er in seinen späten Jahren mitunter zu Hofe geladen
wurde und zeremoniöse Festlichkeiten mitzumachen hatte, spielte ihm diese Un¬
bekümmertheit manchen Streich, sodaß wohl erst ein scherzhaft drohender Aller¬
höchster Zeigefinger ihn aufmerksam macheu mußte. Und wie er in jedem
Augenblick aus brüskem Ton in einen jovialen übergehn konnte (wodurch er
denn immer wieder leicht die Wirkung des ersteren Tones ausglich), so
schillerte er gewissermaßen als Mann und selbst als Greis immer in den
Jüngling hinüber.

Dies übrigens nicht bloß mit momentanen Anwandlungen, spielenden
Einfällen, auch übermütigen Scherzen: sondern im Grunde war er sein ganzes
Leben Enthusiast, er mußte immer irgendeinem hochgelegnen Ziele nachjagen
oder vielmehr -- und das war vielleicht das besonders jugendliche -- nicht
in Ruhe einem einzelnen, sondern in raschem Wechsel und einem gewissen
Durcheinander verschiednen. Oftmals genügte eine leise Berührung mit einem
fremden Geiste, einer neuen Persönlichkeit oder Idee, um ihn für etwas neues
zu entflammen. Eigentlich nahm diese Eigentümlichkeit zu mit den spätern
Lebensjahren. Daß das Alter ihn ruhig gemacht hätte, davon war gar keine
Rede. Große Erregbarkeit hatte einst der Direktor seines Gymnasiums ihm
als eine seiner charakteristischen Eigenschaften ins Abgangszeugnis geschrieben,
des Gymnasiums zu Wesel nämlich, wohin seine verwitwete Mutter eben um
der Ausbildung des Sohnes willen gezogen war, und diese Erregbarkeit war
während seiner Gymnasiastenzeit mitunter wohl auch in leidenschaftlichen
Szenen mit diesem oder jenem Lehrer hervorgetreten. Kreuzbrav hatte er sich
dort nicht zu allen Zeiten erwiesen. Aber der treffliche Direktor Blume be¬
zeugte ihm das in allem Wohlwollen eben nur als "Erregbarkeit", und Lehrer
und Schüler schieden nicht nnr als Freunde, sondern Althoff dachte lebenslang
Mit hoher Wertschätzung an seine Schule zurück, was nach heutigen Gepflogen¬
heiten beinahe als eine merkwürdige Tatsache gelten muß.

Neben der Erregbarkeit wurde übrigens in jenem Abgangszeugnis seine
große Gutmütigkeit gerühmt und dazu seiue "nicht gewöhnlichen Geistes¬
anlagen". Daß ihm vieles leicht gefallen sei, gab Anlaß zu der Hindeutung,
er möge in Zukunft nicht etwa leicht nehmen wollen, was sehr ernst genommen
zu werden verdiene. In der Tat hat Althofs sein Leben lang dem Scheine
nach viele Dinge leicht genommen, die andern schwer oder unmöglich schienen:
aber doch mehr deshalb, weil er sich überhaupt gern neue Aufgaben stellte
und sich im Drange seines Wesens von den Schwierigkeiten keine rechte Vor¬
stellung machen wollte. Aber die Art, wie er die Dinge wirklich bearbeitete,
war vom Leichtnehmen weit entfernt: sie wurden sehr gründlich, ausdauernd


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

bekanntlich nur ein Bruchteil nachher als überragend, viele versinken in ein
um so volleres Philistertum. Althoff hat sein Leben lang eine Menge
burlesker Einfälle — nicht bloß gehabt, sondern ihnen auch Folge gegeben,
Und von einer Art von studentischer Unbekümmertheit war er niemals abge¬
kommen. Selbst als er in seinen späten Jahren mitunter zu Hofe geladen
wurde und zeremoniöse Festlichkeiten mitzumachen hatte, spielte ihm diese Un¬
bekümmertheit manchen Streich, sodaß wohl erst ein scherzhaft drohender Aller¬
höchster Zeigefinger ihn aufmerksam macheu mußte. Und wie er in jedem
Augenblick aus brüskem Ton in einen jovialen übergehn konnte (wodurch er
denn immer wieder leicht die Wirkung des ersteren Tones ausglich), so
schillerte er gewissermaßen als Mann und selbst als Greis immer in den
Jüngling hinüber.

Dies übrigens nicht bloß mit momentanen Anwandlungen, spielenden
Einfällen, auch übermütigen Scherzen: sondern im Grunde war er sein ganzes
Leben Enthusiast, er mußte immer irgendeinem hochgelegnen Ziele nachjagen
oder vielmehr — und das war vielleicht das besonders jugendliche — nicht
in Ruhe einem einzelnen, sondern in raschem Wechsel und einem gewissen
Durcheinander verschiednen. Oftmals genügte eine leise Berührung mit einem
fremden Geiste, einer neuen Persönlichkeit oder Idee, um ihn für etwas neues
zu entflammen. Eigentlich nahm diese Eigentümlichkeit zu mit den spätern
Lebensjahren. Daß das Alter ihn ruhig gemacht hätte, davon war gar keine
Rede. Große Erregbarkeit hatte einst der Direktor seines Gymnasiums ihm
als eine seiner charakteristischen Eigenschaften ins Abgangszeugnis geschrieben,
des Gymnasiums zu Wesel nämlich, wohin seine verwitwete Mutter eben um
der Ausbildung des Sohnes willen gezogen war, und diese Erregbarkeit war
während seiner Gymnasiastenzeit mitunter wohl auch in leidenschaftlichen
Szenen mit diesem oder jenem Lehrer hervorgetreten. Kreuzbrav hatte er sich
dort nicht zu allen Zeiten erwiesen. Aber der treffliche Direktor Blume be¬
zeugte ihm das in allem Wohlwollen eben nur als „Erregbarkeit", und Lehrer
und Schüler schieden nicht nnr als Freunde, sondern Althoff dachte lebenslang
Mit hoher Wertschätzung an seine Schule zurück, was nach heutigen Gepflogen¬
heiten beinahe als eine merkwürdige Tatsache gelten muß.

Neben der Erregbarkeit wurde übrigens in jenem Abgangszeugnis seine
große Gutmütigkeit gerühmt und dazu seiue „nicht gewöhnlichen Geistes¬
anlagen". Daß ihm vieles leicht gefallen sei, gab Anlaß zu der Hindeutung,
er möge in Zukunft nicht etwa leicht nehmen wollen, was sehr ernst genommen
zu werden verdiene. In der Tat hat Althofs sein Leben lang dem Scheine
nach viele Dinge leicht genommen, die andern schwer oder unmöglich schienen:
aber doch mehr deshalb, weil er sich überhaupt gern neue Aufgaben stellte
und sich im Drange seines Wesens von den Schwierigkeiten keine rechte Vor¬
stellung machen wollte. Aber die Art, wie er die Dinge wirklich bearbeitete,
war vom Leichtnehmen weit entfernt: sie wurden sehr gründlich, ausdauernd


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[0110] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor bekanntlich nur ein Bruchteil nachher als überragend, viele versinken in ein um so volleres Philistertum. Althoff hat sein Leben lang eine Menge burlesker Einfälle — nicht bloß gehabt, sondern ihnen auch Folge gegeben, Und von einer Art von studentischer Unbekümmertheit war er niemals abge¬ kommen. Selbst als er in seinen späten Jahren mitunter zu Hofe geladen wurde und zeremoniöse Festlichkeiten mitzumachen hatte, spielte ihm diese Un¬ bekümmertheit manchen Streich, sodaß wohl erst ein scherzhaft drohender Aller¬ höchster Zeigefinger ihn aufmerksam macheu mußte. Und wie er in jedem Augenblick aus brüskem Ton in einen jovialen übergehn konnte (wodurch er denn immer wieder leicht die Wirkung des ersteren Tones ausglich), so schillerte er gewissermaßen als Mann und selbst als Greis immer in den Jüngling hinüber. Dies übrigens nicht bloß mit momentanen Anwandlungen, spielenden Einfällen, auch übermütigen Scherzen: sondern im Grunde war er sein ganzes Leben Enthusiast, er mußte immer irgendeinem hochgelegnen Ziele nachjagen oder vielmehr — und das war vielleicht das besonders jugendliche — nicht in Ruhe einem einzelnen, sondern in raschem Wechsel und einem gewissen Durcheinander verschiednen. Oftmals genügte eine leise Berührung mit einem fremden Geiste, einer neuen Persönlichkeit oder Idee, um ihn für etwas neues zu entflammen. Eigentlich nahm diese Eigentümlichkeit zu mit den spätern Lebensjahren. Daß das Alter ihn ruhig gemacht hätte, davon war gar keine Rede. Große Erregbarkeit hatte einst der Direktor seines Gymnasiums ihm als eine seiner charakteristischen Eigenschaften ins Abgangszeugnis geschrieben, des Gymnasiums zu Wesel nämlich, wohin seine verwitwete Mutter eben um der Ausbildung des Sohnes willen gezogen war, und diese Erregbarkeit war während seiner Gymnasiastenzeit mitunter wohl auch in leidenschaftlichen Szenen mit diesem oder jenem Lehrer hervorgetreten. Kreuzbrav hatte er sich dort nicht zu allen Zeiten erwiesen. Aber der treffliche Direktor Blume be¬ zeugte ihm das in allem Wohlwollen eben nur als „Erregbarkeit", und Lehrer und Schüler schieden nicht nnr als Freunde, sondern Althoff dachte lebenslang Mit hoher Wertschätzung an seine Schule zurück, was nach heutigen Gepflogen¬ heiten beinahe als eine merkwürdige Tatsache gelten muß. Neben der Erregbarkeit wurde übrigens in jenem Abgangszeugnis seine große Gutmütigkeit gerühmt und dazu seiue „nicht gewöhnlichen Geistes¬ anlagen". Daß ihm vieles leicht gefallen sei, gab Anlaß zu der Hindeutung, er möge in Zukunft nicht etwa leicht nehmen wollen, was sehr ernst genommen zu werden verdiene. In der Tat hat Althofs sein Leben lang dem Scheine nach viele Dinge leicht genommen, die andern schwer oder unmöglich schienen: aber doch mehr deshalb, weil er sich überhaupt gern neue Aufgaben stellte und sich im Drange seines Wesens von den Schwierigkeiten keine rechte Vor¬ stellung machen wollte. Aber die Art, wie er die Dinge wirklich bearbeitete, war vom Leichtnehmen weit entfernt: sie wurden sehr gründlich, ausdauernd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/110>, abgerufen am 24.07.2024.