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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

(Übrigens ist, was man vom Osten her als rheinische Formlosigkeit empfindet,
überhaupt wesentlich nur die größere Gleichgiltigkeit gegen Rangabstufung und
dergleichen.)

Wie wäre es sonst auch möglich gewesen, daß die Damen der vornehmen
Stände in der Hauptstadt, die ihn kennen lernten, so einmütig seine Partei
zu nehmen pflegten, wenn männlicher Unmut über ihn laut wurde? Als
immer gewandter, origineller und witziger Gesellschafter, als Kavalier von
zarter Aufmerksamkeit, der auch nie trivial war und in keinem Augenblick
taktlos werden konnte, erwies sich derselbe Mann, der so wuchtig und lässig,
ja ungeschlacht den Männern gegenübertrat, auch solchen Männern, die an
sehr höflichen Ton sonst gewöhnt waren und sich wohl empörend behandelt
fühlten, wenn er ihnen höchst unbefangen mehrmals ins Gesicht gähnte oder
ihre wohlgesetzte Rede durch eine derb ablenkende Bemerkung oder Frage
unterbrach. Und wenn es ihm unter gewöhnlichen Umständen nicht der Mühe
wert war (oder nicht der Mühe wert schien), auch nur einen längern Satz zu
Ende zu sprechen oder sich von seinem Gegenüber bei einem Thema länger,
als ihm beliebte, festhalten zu lassen, so vermochte wiederum derselbe Mann
die fließendste und treffendste zusammenhängende Rede zu halten, sobald er
dazu den Anlaß gegeben fand, sei es bei Tische, in ministeriellen Konferenzen,
im Haus der Abgeordneten oder wo sonst; jenes Abbrechen begonnener Sätze
hing wohl mehr mit der beständigen Ruhelosigkeit seines Geistes zusammen.

Wahrscheinlich war seine ungewöhnlich prolongierte Stellung als Erster
seines Bonner Korps doch keine üble Vorschule für Sicherheit des persön¬
lichen Auftretens wie in der Handhabung des Wortes gewesen, und wie man
von den scholastischen Denk- und Disputierübungen des Mittelalters gesagt
hat, daß sich da die körperliche Fechtlust und Fechterkunst auf das geistige
Gebiet übertragen habe, so schien in ähnlicher Weise bei Althoff immer die
Lust an geschicktem Pauken, Parieren und Abführen lebenslang nachzuwirken.
Ähnliches war übrigens bei einem ungleich Größeren zu gewahren, nämlich bei
Bismarck. Althoff war zu seiner Zeit, was eine besondre Sachkunde und
Geschicklichkeit voraussetzt, namentlich als sekundäre unübertrefflich, und ge¬
legentlich ließ er sich noch als Ministerialdirektor von sechzig Jahren auf
irgendeinem Universitätsfechtboden bandagieren, um sich mit dem Fechtmeister
in der Waffenkunst zu messen. Es fiel ihm damals gar nicht ein, seine
Studienzeit in üblicher Weise und im Hinblick ans einen möglichst frühen An¬
stellungstermin mit sechs Semestern zu begrenzen, ebensowenig wie es ihm
einfiel, zusammenhängend Kollegia zu hören: aber der eifrige Korpsstudent
und Senior war zugleich ein eifriger Leser mannigfacher Bücher und studierte
auf eigne Faust ganz genug, um gute Examina abzulegen. Was er nebenbei
im Übermut an studentischen Streichen verübte, und in welche Fährlichkeiten
er sich damit verstrickte, wurde viele Jahre noch gern in vertrauten Kreisen
erzählt. Von den angestaunten Urhebern derartiger Geniestreiche erweist sich


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

(Übrigens ist, was man vom Osten her als rheinische Formlosigkeit empfindet,
überhaupt wesentlich nur die größere Gleichgiltigkeit gegen Rangabstufung und
dergleichen.)

Wie wäre es sonst auch möglich gewesen, daß die Damen der vornehmen
Stände in der Hauptstadt, die ihn kennen lernten, so einmütig seine Partei
zu nehmen pflegten, wenn männlicher Unmut über ihn laut wurde? Als
immer gewandter, origineller und witziger Gesellschafter, als Kavalier von
zarter Aufmerksamkeit, der auch nie trivial war und in keinem Augenblick
taktlos werden konnte, erwies sich derselbe Mann, der so wuchtig und lässig,
ja ungeschlacht den Männern gegenübertrat, auch solchen Männern, die an
sehr höflichen Ton sonst gewöhnt waren und sich wohl empörend behandelt
fühlten, wenn er ihnen höchst unbefangen mehrmals ins Gesicht gähnte oder
ihre wohlgesetzte Rede durch eine derb ablenkende Bemerkung oder Frage
unterbrach. Und wenn es ihm unter gewöhnlichen Umständen nicht der Mühe
wert war (oder nicht der Mühe wert schien), auch nur einen längern Satz zu
Ende zu sprechen oder sich von seinem Gegenüber bei einem Thema länger,
als ihm beliebte, festhalten zu lassen, so vermochte wiederum derselbe Mann
die fließendste und treffendste zusammenhängende Rede zu halten, sobald er
dazu den Anlaß gegeben fand, sei es bei Tische, in ministeriellen Konferenzen,
im Haus der Abgeordneten oder wo sonst; jenes Abbrechen begonnener Sätze
hing wohl mehr mit der beständigen Ruhelosigkeit seines Geistes zusammen.

Wahrscheinlich war seine ungewöhnlich prolongierte Stellung als Erster
seines Bonner Korps doch keine üble Vorschule für Sicherheit des persön¬
lichen Auftretens wie in der Handhabung des Wortes gewesen, und wie man
von den scholastischen Denk- und Disputierübungen des Mittelalters gesagt
hat, daß sich da die körperliche Fechtlust und Fechterkunst auf das geistige
Gebiet übertragen habe, so schien in ähnlicher Weise bei Althoff immer die
Lust an geschicktem Pauken, Parieren und Abführen lebenslang nachzuwirken.
Ähnliches war übrigens bei einem ungleich Größeren zu gewahren, nämlich bei
Bismarck. Althoff war zu seiner Zeit, was eine besondre Sachkunde und
Geschicklichkeit voraussetzt, namentlich als sekundäre unübertrefflich, und ge¬
legentlich ließ er sich noch als Ministerialdirektor von sechzig Jahren auf
irgendeinem Universitätsfechtboden bandagieren, um sich mit dem Fechtmeister
in der Waffenkunst zu messen. Es fiel ihm damals gar nicht ein, seine
Studienzeit in üblicher Weise und im Hinblick ans einen möglichst frühen An¬
stellungstermin mit sechs Semestern zu begrenzen, ebensowenig wie es ihm
einfiel, zusammenhängend Kollegia zu hören: aber der eifrige Korpsstudent
und Senior war zugleich ein eifriger Leser mannigfacher Bücher und studierte
auf eigne Faust ganz genug, um gute Examina abzulegen. Was er nebenbei
im Übermut an studentischen Streichen verübte, und in welche Fährlichkeiten
er sich damit verstrickte, wurde viele Jahre noch gern in vertrauten Kreisen
erzählt. Von den angestaunten Urhebern derartiger Geniestreiche erweist sich


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[0109] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor (Übrigens ist, was man vom Osten her als rheinische Formlosigkeit empfindet, überhaupt wesentlich nur die größere Gleichgiltigkeit gegen Rangabstufung und dergleichen.) Wie wäre es sonst auch möglich gewesen, daß die Damen der vornehmen Stände in der Hauptstadt, die ihn kennen lernten, so einmütig seine Partei zu nehmen pflegten, wenn männlicher Unmut über ihn laut wurde? Als immer gewandter, origineller und witziger Gesellschafter, als Kavalier von zarter Aufmerksamkeit, der auch nie trivial war und in keinem Augenblick taktlos werden konnte, erwies sich derselbe Mann, der so wuchtig und lässig, ja ungeschlacht den Männern gegenübertrat, auch solchen Männern, die an sehr höflichen Ton sonst gewöhnt waren und sich wohl empörend behandelt fühlten, wenn er ihnen höchst unbefangen mehrmals ins Gesicht gähnte oder ihre wohlgesetzte Rede durch eine derb ablenkende Bemerkung oder Frage unterbrach. Und wenn es ihm unter gewöhnlichen Umständen nicht der Mühe wert war (oder nicht der Mühe wert schien), auch nur einen längern Satz zu Ende zu sprechen oder sich von seinem Gegenüber bei einem Thema länger, als ihm beliebte, festhalten zu lassen, so vermochte wiederum derselbe Mann die fließendste und treffendste zusammenhängende Rede zu halten, sobald er dazu den Anlaß gegeben fand, sei es bei Tische, in ministeriellen Konferenzen, im Haus der Abgeordneten oder wo sonst; jenes Abbrechen begonnener Sätze hing wohl mehr mit der beständigen Ruhelosigkeit seines Geistes zusammen. Wahrscheinlich war seine ungewöhnlich prolongierte Stellung als Erster seines Bonner Korps doch keine üble Vorschule für Sicherheit des persön¬ lichen Auftretens wie in der Handhabung des Wortes gewesen, und wie man von den scholastischen Denk- und Disputierübungen des Mittelalters gesagt hat, daß sich da die körperliche Fechtlust und Fechterkunst auf das geistige Gebiet übertragen habe, so schien in ähnlicher Weise bei Althoff immer die Lust an geschicktem Pauken, Parieren und Abführen lebenslang nachzuwirken. Ähnliches war übrigens bei einem ungleich Größeren zu gewahren, nämlich bei Bismarck. Althoff war zu seiner Zeit, was eine besondre Sachkunde und Geschicklichkeit voraussetzt, namentlich als sekundäre unübertrefflich, und ge¬ legentlich ließ er sich noch als Ministerialdirektor von sechzig Jahren auf irgendeinem Universitätsfechtboden bandagieren, um sich mit dem Fechtmeister in der Waffenkunst zu messen. Es fiel ihm damals gar nicht ein, seine Studienzeit in üblicher Weise und im Hinblick ans einen möglichst frühen An¬ stellungstermin mit sechs Semestern zu begrenzen, ebensowenig wie es ihm einfiel, zusammenhängend Kollegia zu hören: aber der eifrige Korpsstudent und Senior war zugleich ein eifriger Leser mannigfacher Bücher und studierte auf eigne Faust ganz genug, um gute Examina abzulegen. Was er nebenbei im Übermut an studentischen Streichen verübte, und in welche Fährlichkeiten er sich damit verstrickte, wurde viele Jahre noch gern in vertrauten Kreisen erzählt. Von den angestaunten Urhebern derartiger Geniestreiche erweist sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/109>, abgerufen am 24.07.2024.