Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Theodor Wilhelm Engelmann, ein deutscher Forscher

geben war, konnte er noch den trillionsten Teil eines Milligramms Sauer¬
stoff nachweisen.

In ähnlich einfacher und genialer Weise gelang es ihm, mit Hilfe eines
nur teilweise belichteten Wassertropfens nicht allein zu zeigen, daß ganz
niedere Gebilde, wie die Nu^long, viriäis, lichtempfindlich sind, sondern auch,
welcher Teil ihres Körpers lichtempfindlich, mithin ihr Auge ist. Das Ex¬
periment ist unter dem Namen der Engelmannschen Lichtfalle berühmt ge¬
worden. Wassertropfen, Lichtkegel und Euglenen sind schon lange bekannt;
aber erst Engelmann hat sie zu vereinigen gewußt. Man sieht also, wie es
weniger die Vielseitigkeit und Vorzüglichkeit der Apparate ist, die die Erfolge
zeitigen, als vielmehr der Geist des Forschers, der mit ihnen arbeitet.

Die mikroskopische Forschung hatte schon frühzeitig Zellen mit feinen,
haarartigen Fortsätzen beschrieben, die wie eine Bürste die Zellen entweder
an ihrer ganzen Oberfläche -- deshalb die Bezeichnung als Ciliäten -- oder
nur auf einer Seite umgeben. Auch war bekannt, daß diese sogenannten
Wimper- oder Flimmerreihen dazu dienen, Fremdkörper fortzuschaffen, eine
Einrichtung, die zum Beispiel zum Schutz gegen den Staub, den wir fort¬
gesetzt einatmen und in unserm Nespirationsapparat ablagern, von großer
Bedeutung ist. Aber an die Möglichkeit, die mechanische Leistung dieser
Flimmerzellen zu messen, hatte niemand gedacht. Da konstruierte Engelmann
seine Flimmermühle und Flimmeruhr, und jetzt wissen wir, daß zum Beispiel
die Flimmerzellen der Nachenschleimhaut des Frosches ein Gewicht von 336
noch merkbar in horizontaler Richtung fortzuschieben vermögen.

Die Bewegungserscheinungen waren es schließlich, die sein Interesse am
meisten fesselten, und nachdem er 1879 in Hermanns Handbuch der Physiologie
in grundlegender Weise die Wimper- und Protoplasmabewegung geschildert
und 1894 in einer vrooman I,eowrö vor dem Areopag der RoM gooiet^
seine neuen Ansichten über den Ursprung der Muskelkraft auseinandergesetzt
hatte, rückte -- insbesondre im Anschluß an Beobachtungen und Untersuchungen
am Urether -- immer mehr das Herz und seine Tätigkeit in den Brennpunkt
seiner Arbeiten.

In der Geschichte der Physiologie wird Engelmanns Name untrennbar
mit der sogenannten myogenen Theorie des Herzschlages verbunden bleiben.
Diese Lehre betrachtet die gesamte Tätigkeit des zirkulatorischen Zentral¬
apparats als Funktion der Muskelzellen des Herzens, im Gegensatz zu der neu-
rvgenen, die das wunderbare Spiel dieses Organs, sein regelmäßiges Pulsieren
und sein erstaunliches Anpassungsvermögen an die Herznerven und Herz¬
ganglien knüpft. Der Unterschied der Auffassungen ist fundamental. Denn
wenn in der neurogenen Theorie die spezialisierende Neigung unsrer Zeit zum
Ausdruck kommt, die -- wie jedem Menschen sein Fach -- so jeder Zelle ihre
bestimmte, scharfabgegrenzte Funktion zuzuschreiben geneigt ist, der nervösen
Zelle nur nervöse Leistungen, der Muskelzelle nur das Vermögen, sich
zusammenzuziehen: so hielt Engelmann den Gedanken fest, daß in jeder


Theodor Wilhelm Engelmann, ein deutscher Forscher

geben war, konnte er noch den trillionsten Teil eines Milligramms Sauer¬
stoff nachweisen.

In ähnlich einfacher und genialer Weise gelang es ihm, mit Hilfe eines
nur teilweise belichteten Wassertropfens nicht allein zu zeigen, daß ganz
niedere Gebilde, wie die Nu^long, viriäis, lichtempfindlich sind, sondern auch,
welcher Teil ihres Körpers lichtempfindlich, mithin ihr Auge ist. Das Ex¬
periment ist unter dem Namen der Engelmannschen Lichtfalle berühmt ge¬
worden. Wassertropfen, Lichtkegel und Euglenen sind schon lange bekannt;
aber erst Engelmann hat sie zu vereinigen gewußt. Man sieht also, wie es
weniger die Vielseitigkeit und Vorzüglichkeit der Apparate ist, die die Erfolge
zeitigen, als vielmehr der Geist des Forschers, der mit ihnen arbeitet.

Die mikroskopische Forschung hatte schon frühzeitig Zellen mit feinen,
haarartigen Fortsätzen beschrieben, die wie eine Bürste die Zellen entweder
an ihrer ganzen Oberfläche — deshalb die Bezeichnung als Ciliäten — oder
nur auf einer Seite umgeben. Auch war bekannt, daß diese sogenannten
Wimper- oder Flimmerreihen dazu dienen, Fremdkörper fortzuschaffen, eine
Einrichtung, die zum Beispiel zum Schutz gegen den Staub, den wir fort¬
gesetzt einatmen und in unserm Nespirationsapparat ablagern, von großer
Bedeutung ist. Aber an die Möglichkeit, die mechanische Leistung dieser
Flimmerzellen zu messen, hatte niemand gedacht. Da konstruierte Engelmann
seine Flimmermühle und Flimmeruhr, und jetzt wissen wir, daß zum Beispiel
die Flimmerzellen der Nachenschleimhaut des Frosches ein Gewicht von 336
noch merkbar in horizontaler Richtung fortzuschieben vermögen.

Die Bewegungserscheinungen waren es schließlich, die sein Interesse am
meisten fesselten, und nachdem er 1879 in Hermanns Handbuch der Physiologie
in grundlegender Weise die Wimper- und Protoplasmabewegung geschildert
und 1894 in einer vrooman I,eowrö vor dem Areopag der RoM gooiet^
seine neuen Ansichten über den Ursprung der Muskelkraft auseinandergesetzt
hatte, rückte — insbesondre im Anschluß an Beobachtungen und Untersuchungen
am Urether — immer mehr das Herz und seine Tätigkeit in den Brennpunkt
seiner Arbeiten.

In der Geschichte der Physiologie wird Engelmanns Name untrennbar
mit der sogenannten myogenen Theorie des Herzschlages verbunden bleiben.
Diese Lehre betrachtet die gesamte Tätigkeit des zirkulatorischen Zentral¬
apparats als Funktion der Muskelzellen des Herzens, im Gegensatz zu der neu-
rvgenen, die das wunderbare Spiel dieses Organs, sein regelmäßiges Pulsieren
und sein erstaunliches Anpassungsvermögen an die Herznerven und Herz¬
ganglien knüpft. Der Unterschied der Auffassungen ist fundamental. Denn
wenn in der neurogenen Theorie die spezialisierende Neigung unsrer Zeit zum
Ausdruck kommt, die — wie jedem Menschen sein Fach — so jeder Zelle ihre
bestimmte, scharfabgegrenzte Funktion zuzuschreiben geneigt ist, der nervösen
Zelle nur nervöse Leistungen, der Muskelzelle nur das Vermögen, sich
zusammenzuziehen: so hielt Engelmann den Gedanken fest, daß in jeder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313791"/>
          <fw type="header" place="top"> Theodor Wilhelm Engelmann, ein deutscher Forscher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> geben war, konnte er noch den trillionsten Teil eines Milligramms Sauer¬<lb/>
stoff nachweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_291"> In ähnlich einfacher und genialer Weise gelang es ihm, mit Hilfe eines<lb/>
nur teilweise belichteten Wassertropfens nicht allein zu zeigen, daß ganz<lb/>
niedere Gebilde, wie die Nu^long, viriäis, lichtempfindlich sind, sondern auch,<lb/>
welcher Teil ihres Körpers lichtempfindlich, mithin ihr Auge ist. Das Ex¬<lb/>
periment ist unter dem Namen der Engelmannschen Lichtfalle berühmt ge¬<lb/>
worden. Wassertropfen, Lichtkegel und Euglenen sind schon lange bekannt;<lb/>
aber erst Engelmann hat sie zu vereinigen gewußt. Man sieht also, wie es<lb/>
weniger die Vielseitigkeit und Vorzüglichkeit der Apparate ist, die die Erfolge<lb/>
zeitigen, als vielmehr der Geist des Forschers, der mit ihnen arbeitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292"> Die mikroskopische Forschung hatte schon frühzeitig Zellen mit feinen,<lb/>
haarartigen Fortsätzen beschrieben, die wie eine Bürste die Zellen entweder<lb/>
an ihrer ganzen Oberfläche &#x2014; deshalb die Bezeichnung als Ciliäten &#x2014; oder<lb/>
nur auf einer Seite umgeben. Auch war bekannt, daß diese sogenannten<lb/>
Wimper- oder Flimmerreihen dazu dienen, Fremdkörper fortzuschaffen, eine<lb/>
Einrichtung, die zum Beispiel zum Schutz gegen den Staub, den wir fort¬<lb/>
gesetzt einatmen und in unserm Nespirationsapparat ablagern, von großer<lb/>
Bedeutung ist. Aber an die Möglichkeit, die mechanische Leistung dieser<lb/>
Flimmerzellen zu messen, hatte niemand gedacht. Da konstruierte Engelmann<lb/>
seine Flimmermühle und Flimmeruhr, und jetzt wissen wir, daß zum Beispiel<lb/>
die Flimmerzellen der Nachenschleimhaut des Frosches ein Gewicht von 336<lb/>
noch merkbar in horizontaler Richtung fortzuschieben vermögen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_293"> Die Bewegungserscheinungen waren es schließlich, die sein Interesse am<lb/>
meisten fesselten, und nachdem er 1879 in Hermanns Handbuch der Physiologie<lb/>
in grundlegender Weise die Wimper- und Protoplasmabewegung geschildert<lb/>
und 1894 in einer vrooman I,eowrö vor dem Areopag der RoM gooiet^<lb/>
seine neuen Ansichten über den Ursprung der Muskelkraft auseinandergesetzt<lb/>
hatte, rückte &#x2014; insbesondre im Anschluß an Beobachtungen und Untersuchungen<lb/>
am Urether &#x2014; immer mehr das Herz und seine Tätigkeit in den Brennpunkt<lb/>
seiner Arbeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_294" next="#ID_295"> In der Geschichte der Physiologie wird Engelmanns Name untrennbar<lb/>
mit der sogenannten myogenen Theorie des Herzschlages verbunden bleiben.<lb/>
Diese Lehre betrachtet die gesamte Tätigkeit des zirkulatorischen Zentral¬<lb/>
apparats als Funktion der Muskelzellen des Herzens, im Gegensatz zu der neu-<lb/>
rvgenen, die das wunderbare Spiel dieses Organs, sein regelmäßiges Pulsieren<lb/>
und sein erstaunliches Anpassungsvermögen an die Herznerven und Herz¬<lb/>
ganglien knüpft. Der Unterschied der Auffassungen ist fundamental. Denn<lb/>
wenn in der neurogenen Theorie die spezialisierende Neigung unsrer Zeit zum<lb/>
Ausdruck kommt, die &#x2014; wie jedem Menschen sein Fach &#x2014; so jeder Zelle ihre<lb/>
bestimmte, scharfabgegrenzte Funktion zuzuschreiben geneigt ist, der nervösen<lb/>
Zelle nur nervöse Leistungen, der Muskelzelle nur das Vermögen, sich<lb/>
zusammenzuziehen: so hielt Engelmann den Gedanken fest, daß in jeder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] Theodor Wilhelm Engelmann, ein deutscher Forscher geben war, konnte er noch den trillionsten Teil eines Milligramms Sauer¬ stoff nachweisen. In ähnlich einfacher und genialer Weise gelang es ihm, mit Hilfe eines nur teilweise belichteten Wassertropfens nicht allein zu zeigen, daß ganz niedere Gebilde, wie die Nu^long, viriäis, lichtempfindlich sind, sondern auch, welcher Teil ihres Körpers lichtempfindlich, mithin ihr Auge ist. Das Ex¬ periment ist unter dem Namen der Engelmannschen Lichtfalle berühmt ge¬ worden. Wassertropfen, Lichtkegel und Euglenen sind schon lange bekannt; aber erst Engelmann hat sie zu vereinigen gewußt. Man sieht also, wie es weniger die Vielseitigkeit und Vorzüglichkeit der Apparate ist, die die Erfolge zeitigen, als vielmehr der Geist des Forschers, der mit ihnen arbeitet. Die mikroskopische Forschung hatte schon frühzeitig Zellen mit feinen, haarartigen Fortsätzen beschrieben, die wie eine Bürste die Zellen entweder an ihrer ganzen Oberfläche — deshalb die Bezeichnung als Ciliäten — oder nur auf einer Seite umgeben. Auch war bekannt, daß diese sogenannten Wimper- oder Flimmerreihen dazu dienen, Fremdkörper fortzuschaffen, eine Einrichtung, die zum Beispiel zum Schutz gegen den Staub, den wir fort¬ gesetzt einatmen und in unserm Nespirationsapparat ablagern, von großer Bedeutung ist. Aber an die Möglichkeit, die mechanische Leistung dieser Flimmerzellen zu messen, hatte niemand gedacht. Da konstruierte Engelmann seine Flimmermühle und Flimmeruhr, und jetzt wissen wir, daß zum Beispiel die Flimmerzellen der Nachenschleimhaut des Frosches ein Gewicht von 336 noch merkbar in horizontaler Richtung fortzuschieben vermögen. Die Bewegungserscheinungen waren es schließlich, die sein Interesse am meisten fesselten, und nachdem er 1879 in Hermanns Handbuch der Physiologie in grundlegender Weise die Wimper- und Protoplasmabewegung geschildert und 1894 in einer vrooman I,eowrö vor dem Areopag der RoM gooiet^ seine neuen Ansichten über den Ursprung der Muskelkraft auseinandergesetzt hatte, rückte — insbesondre im Anschluß an Beobachtungen und Untersuchungen am Urether — immer mehr das Herz und seine Tätigkeit in den Brennpunkt seiner Arbeiten. In der Geschichte der Physiologie wird Engelmanns Name untrennbar mit der sogenannten myogenen Theorie des Herzschlages verbunden bleiben. Diese Lehre betrachtet die gesamte Tätigkeit des zirkulatorischen Zentral¬ apparats als Funktion der Muskelzellen des Herzens, im Gegensatz zu der neu- rvgenen, die das wunderbare Spiel dieses Organs, sein regelmäßiges Pulsieren und sein erstaunliches Anpassungsvermögen an die Herznerven und Herz¬ ganglien knüpft. Der Unterschied der Auffassungen ist fundamental. Denn wenn in der neurogenen Theorie die spezialisierende Neigung unsrer Zeit zum Ausdruck kommt, die — wie jedem Menschen sein Fach — so jeder Zelle ihre bestimmte, scharfabgegrenzte Funktion zuzuschreiben geneigt ist, der nervösen Zelle nur nervöse Leistungen, der Muskelzelle nur das Vermögen, sich zusammenzuziehen: so hielt Engelmann den Gedanken fest, daß in jeder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/88>, abgerufen am 23.12.2024.