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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Wilhelm Lngelmaun, ein deutscher Forscher

Physiologen treten als einen Schüler hauptsächlich von Gegenbaur und
v. Bezold, und wenn er auch späterhin die Hauptzeit seines Lebens außer¬
halb der Grenzen, in Utrecht, zugebracht hat, so hörte doch seine Zugehörig¬
keit zum Stamme der deutschen Wissenschaft nicht einen einzigen Augen¬
blick auf.

Schon in diesen jungen Jahren, 1863 bis 1867, hatte er so vortreff¬
liche Arbeiten veröffentlicht, daß ihn die Universität Utrecht, noch bevor er
in seiner Vaterstadt zum Doktor promoviert war, für sich zu gewinnen strebte.
Und so glücklich fühlte er sich dann in dieser seiner zweiten Heimat, daß er
sich erst 1897 entschloß, ins Vaterland zurückzukehren, um an Du Bois-
Reymonds Stelle zu treten. Namentlich war es die überragende Persönlich¬
keit von Donders, dessen Tochter der junge Professor als Gattin heimgeführt
hatte, die ihn an Utrecht fesselte und alle Berufungen an deutsche Hoch¬
schule,? ausschlagen ließ. Deren kamen viele; denn jede Universität hätte
gern einen Mann zu den ihrigen gezählt, der als Mensch und Forscher gleich
groß war, und der -- wie seine zahlreichen Ernennungen zum Ehrenmitglied
gelehrter Körperschaften fast in allen Staaten bewiesen -- eiuen europäischen
Ruf genoß.

Dieser Ruhm war wohlverdient; denn in rascher Folge waren Mit¬
teilungen und längere Arbeite" aus dem zunächst noch primitiven Utrechter
Laboratorium erschienen, die jedesmal prinzipiell neue Tatsachen in der
Physiologie ans Licht brachten. Um so höher muß sein Ruhm bewertet
werden, je bescheidner die Mittel waren, mit denen er errungen wurde. Man
kann das ganze weite Gebiet dieser Wissenschaft durchwandern und wird
überall, in welchem Sonderabschnitt es auch sei, Spuren von Engelmanns
Tätigkeit finden. Präzise Fragestellung, objektives, unvoreingenommenes Be¬
obachten, gewissenhaftes Kontrollieren und virtuose Technik waren die Gründe,
die ihn von Entdeckung zu Entdeckung führten.

Man hört heutzutage nicht selten die Meinung, daß nur Spezialisierung
auf ein kleines Gebiet noch erfolgreiches Arbeiten und Forschen ermögliche.
Im Lichte solcher Anschauungen hatte sich Engelmann eine ganz merkwürdige
Spezialität ausgesucht, nämlich das Studium der Lebensvorgänge an den
niedersten Tieren. Da jedoch bei diesen alle Lebensvorgünge, alle Funktionen,
die uns bei den sogenannten höhern Tieren in den einzelnen Organen ge¬
trennt erscheinen, gewissermaßen mikroskopisch "in unsichtbar kleinen Massen¬
teilchen" beieinander liegen, so hielt er die vielen Fäden, aus denen sich das
komplizierte Gewebe der tierischen Organisationen knüpft, jederzeit alle in
der Hand.

Allgemeiner bekannt geworden sind aus diesem Untersuchungskreis zum
Beispiel sein Nachweis der Sauerstoffabgabe von Pflanzenzellen. Indem er
eine kleine Alge oder Diatomee in einer Flüssigkeit, die gewisse sauerstoff¬
bedürftige Bakterien enthielt, beobachtete und sah, wie schon nach kurzer
.Zeit die Zelle von einer dichten Hülle sauerstoffhungriger Spaltpilze um-


Theodor Wilhelm Lngelmaun, ein deutscher Forscher

Physiologen treten als einen Schüler hauptsächlich von Gegenbaur und
v. Bezold, und wenn er auch späterhin die Hauptzeit seines Lebens außer¬
halb der Grenzen, in Utrecht, zugebracht hat, so hörte doch seine Zugehörig¬
keit zum Stamme der deutschen Wissenschaft nicht einen einzigen Augen¬
blick auf.

Schon in diesen jungen Jahren, 1863 bis 1867, hatte er so vortreff¬
liche Arbeiten veröffentlicht, daß ihn die Universität Utrecht, noch bevor er
in seiner Vaterstadt zum Doktor promoviert war, für sich zu gewinnen strebte.
Und so glücklich fühlte er sich dann in dieser seiner zweiten Heimat, daß er
sich erst 1897 entschloß, ins Vaterland zurückzukehren, um an Du Bois-
Reymonds Stelle zu treten. Namentlich war es die überragende Persönlich¬
keit von Donders, dessen Tochter der junge Professor als Gattin heimgeführt
hatte, die ihn an Utrecht fesselte und alle Berufungen an deutsche Hoch¬
schule,? ausschlagen ließ. Deren kamen viele; denn jede Universität hätte
gern einen Mann zu den ihrigen gezählt, der als Mensch und Forscher gleich
groß war, und der — wie seine zahlreichen Ernennungen zum Ehrenmitglied
gelehrter Körperschaften fast in allen Staaten bewiesen — eiuen europäischen
Ruf genoß.

Dieser Ruhm war wohlverdient; denn in rascher Folge waren Mit¬
teilungen und längere Arbeite» aus dem zunächst noch primitiven Utrechter
Laboratorium erschienen, die jedesmal prinzipiell neue Tatsachen in der
Physiologie ans Licht brachten. Um so höher muß sein Ruhm bewertet
werden, je bescheidner die Mittel waren, mit denen er errungen wurde. Man
kann das ganze weite Gebiet dieser Wissenschaft durchwandern und wird
überall, in welchem Sonderabschnitt es auch sei, Spuren von Engelmanns
Tätigkeit finden. Präzise Fragestellung, objektives, unvoreingenommenes Be¬
obachten, gewissenhaftes Kontrollieren und virtuose Technik waren die Gründe,
die ihn von Entdeckung zu Entdeckung führten.

Man hört heutzutage nicht selten die Meinung, daß nur Spezialisierung
auf ein kleines Gebiet noch erfolgreiches Arbeiten und Forschen ermögliche.
Im Lichte solcher Anschauungen hatte sich Engelmann eine ganz merkwürdige
Spezialität ausgesucht, nämlich das Studium der Lebensvorgänge an den
niedersten Tieren. Da jedoch bei diesen alle Lebensvorgünge, alle Funktionen,
die uns bei den sogenannten höhern Tieren in den einzelnen Organen ge¬
trennt erscheinen, gewissermaßen mikroskopisch „in unsichtbar kleinen Massen¬
teilchen" beieinander liegen, so hielt er die vielen Fäden, aus denen sich das
komplizierte Gewebe der tierischen Organisationen knüpft, jederzeit alle in
der Hand.

Allgemeiner bekannt geworden sind aus diesem Untersuchungskreis zum
Beispiel sein Nachweis der Sauerstoffabgabe von Pflanzenzellen. Indem er
eine kleine Alge oder Diatomee in einer Flüssigkeit, die gewisse sauerstoff¬
bedürftige Bakterien enthielt, beobachtete und sah, wie schon nach kurzer
.Zeit die Zelle von einer dichten Hülle sauerstoffhungriger Spaltpilze um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/87>, abgerufen am 22.07.2024.