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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Jnger klammerte sich an den Vater, während Frau Hilmer wie gelähmt
stand und vor sich hinstarrte. Ich rühre mich nicht von der Stelle, sagte Hilmer
fest, und wendet der Kerl Gewalt an, dann schlage ich um mich. Ich bin ein
freier Mann, und ich dulde nicht, daß jemand in meinem eignen Hofe Hand an
mich legt.

Der Kriminalkommissar stand höflich lächelnd, zwirbelte seinen gewichsten
Schnurrbart -- und schwieg.

Bürgermeister, bat die Hausfrau nochmals, Sie müssen doch meinen Mann
hier in seinem eignen Hofe schützen können.

Was ich für Ihren Mann tun kann, liebe Frau Hilmer, das will ich tun. Ich
komme mit, ich werde gleich mit dem Assessor reden. Seien Sie nur ruhig, das
Ganze ist nicht so schlimm; aber Sie müssen mitkommen, Hilmer, Sie müssen.

Vorläufig hat noch niemand gesagt, daß ich verhaftet bin, sagte Hilmer trotzig.
Ich möchte sehen, ob man das wagt.

Der Kriminalkommissar trat einen Schritt vor und sagte sehr höflich, aber
bestimmt: Wenn der Herr Gutsbesitzer darauf warten, dann erkläre ich Sie hiermit
für verhaftet und bitte Sie, mir zu folgen.

Gehen Sie zum Teufel! rief Hilmer und trat einen Schritt zurück, gleichsam
um Platz zum Zuschlagen zu haben.

Dort am Gebüsch standen der Hofjägermeister und die Gnädige. Muhme
Rilke und die Postmeisterfamilie waren zurückgewichen, sie suchten gleichsam die
Nähe der feinen Gäste, um das Geschehene entschuldigen zu können. Frau Hilmer
stand noch wie gelähmt, und Jnger warf sich weinend an die Brust des Vaters.

Vater! Vater! rief sie, dann wandte sie sich Plötzlich zu Frederiksen. Ich ver¬
biete Ihnen, ihn anzurühren, verstehn Sie, ich verbiete es Ihnen!

Der Bürgermeister war bleich geworden, er wußte nicht, was er sagen sollte.
Hilmer, begann er. . .

Gehn Sie, sagte Hilmer außer sich, gehn Sie -- der Sie sich meinen Freund
nennen, Sie, der Sie königlicher Kreisrichter hier sind und mich nicht einmal gegen
diese Esel, diese Lumpen von da drinnen beschützen wollen. Gehn Sie, lassen
Sie es mich allein ausmachen, überlassen Sie mir die Verantwortung, die über
die Häupter dieser Verbrecher kommt.

Vater! Vater! rief Jnger und warf sich wieder zwischen Hilmer und den
Beamten.

Seydewitz kochte das Blut. Er stand dicht neben dem Bürgermeister. Dann
Päckte er dessen Arm.

Sie müssen das verhindern!

Liebes Freundchen, sagte der Alte hilflos, ich kann nicht, ich kann nicht.

Dann gehn Sie, zischte Seydewitz zwischen den Zähnen. Dann werde ich es.

Sie? Wie das?

Lassen Sie das meine Sache sein -- ich bitte Sie, gehn Sie, gehn Sie zu
den Herrschaften hinüber, schassen Sie sie fort, sie stehn ja da und glotzen wie
bei einer Theatervorstellung -- gehn Sie nur, gehn Sie -- ich stehe für das
Ganze -- aber Sie müssen gehn.

Der Bürgermeister schwankte, dann zog er sich langsam zu der Gruppe an
der Haselhecke zurück.

Jnger stand noch an den Vater gelehnt.

Seydewitz wandte sich um und winkte Justesen, daß er gehn sollte. Justesen,
der sich im Hintergrunde hielt, glitt zum Hofe zurück.


Der rote Hahn

Jnger klammerte sich an den Vater, während Frau Hilmer wie gelähmt
stand und vor sich hinstarrte. Ich rühre mich nicht von der Stelle, sagte Hilmer
fest, und wendet der Kerl Gewalt an, dann schlage ich um mich. Ich bin ein
freier Mann, und ich dulde nicht, daß jemand in meinem eignen Hofe Hand an
mich legt.

Der Kriminalkommissar stand höflich lächelnd, zwirbelte seinen gewichsten
Schnurrbart — und schwieg.

Bürgermeister, bat die Hausfrau nochmals, Sie müssen doch meinen Mann
hier in seinem eignen Hofe schützen können.

Was ich für Ihren Mann tun kann, liebe Frau Hilmer, das will ich tun. Ich
komme mit, ich werde gleich mit dem Assessor reden. Seien Sie nur ruhig, das
Ganze ist nicht so schlimm; aber Sie müssen mitkommen, Hilmer, Sie müssen.

Vorläufig hat noch niemand gesagt, daß ich verhaftet bin, sagte Hilmer trotzig.
Ich möchte sehen, ob man das wagt.

Der Kriminalkommissar trat einen Schritt vor und sagte sehr höflich, aber
bestimmt: Wenn der Herr Gutsbesitzer darauf warten, dann erkläre ich Sie hiermit
für verhaftet und bitte Sie, mir zu folgen.

Gehen Sie zum Teufel! rief Hilmer und trat einen Schritt zurück, gleichsam
um Platz zum Zuschlagen zu haben.

Dort am Gebüsch standen der Hofjägermeister und die Gnädige. Muhme
Rilke und die Postmeisterfamilie waren zurückgewichen, sie suchten gleichsam die
Nähe der feinen Gäste, um das Geschehene entschuldigen zu können. Frau Hilmer
stand noch wie gelähmt, und Jnger warf sich weinend an die Brust des Vaters.

Vater! Vater! rief sie, dann wandte sie sich Plötzlich zu Frederiksen. Ich ver¬
biete Ihnen, ihn anzurühren, verstehn Sie, ich verbiete es Ihnen!

Der Bürgermeister war bleich geworden, er wußte nicht, was er sagen sollte.
Hilmer, begann er. . .

Gehn Sie, sagte Hilmer außer sich, gehn Sie — der Sie sich meinen Freund
nennen, Sie, der Sie königlicher Kreisrichter hier sind und mich nicht einmal gegen
diese Esel, diese Lumpen von da drinnen beschützen wollen. Gehn Sie, lassen
Sie es mich allein ausmachen, überlassen Sie mir die Verantwortung, die über
die Häupter dieser Verbrecher kommt.

Vater! Vater! rief Jnger und warf sich wieder zwischen Hilmer und den
Beamten.

Seydewitz kochte das Blut. Er stand dicht neben dem Bürgermeister. Dann
Päckte er dessen Arm.

Sie müssen das verhindern!

Liebes Freundchen, sagte der Alte hilflos, ich kann nicht, ich kann nicht.

Dann gehn Sie, zischte Seydewitz zwischen den Zähnen. Dann werde ich es.

Sie? Wie das?

Lassen Sie das meine Sache sein — ich bitte Sie, gehn Sie, gehn Sie zu
den Herrschaften hinüber, schassen Sie sie fort, sie stehn ja da und glotzen wie
bei einer Theatervorstellung — gehn Sie nur, gehn Sie — ich stehe für das
Ganze — aber Sie müssen gehn.

Der Bürgermeister schwankte, dann zog er sich langsam zu der Gruppe an
der Haselhecke zurück.

Jnger stand noch an den Vater gelehnt.

Seydewitz wandte sich um und winkte Justesen, daß er gehn sollte. Justesen,
der sich im Hintergrunde hielt, glitt zum Hofe zurück.


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[0627] Der rote Hahn Jnger klammerte sich an den Vater, während Frau Hilmer wie gelähmt stand und vor sich hinstarrte. Ich rühre mich nicht von der Stelle, sagte Hilmer fest, und wendet der Kerl Gewalt an, dann schlage ich um mich. Ich bin ein freier Mann, und ich dulde nicht, daß jemand in meinem eignen Hofe Hand an mich legt. Der Kriminalkommissar stand höflich lächelnd, zwirbelte seinen gewichsten Schnurrbart — und schwieg. Bürgermeister, bat die Hausfrau nochmals, Sie müssen doch meinen Mann hier in seinem eignen Hofe schützen können. Was ich für Ihren Mann tun kann, liebe Frau Hilmer, das will ich tun. Ich komme mit, ich werde gleich mit dem Assessor reden. Seien Sie nur ruhig, das Ganze ist nicht so schlimm; aber Sie müssen mitkommen, Hilmer, Sie müssen. Vorläufig hat noch niemand gesagt, daß ich verhaftet bin, sagte Hilmer trotzig. Ich möchte sehen, ob man das wagt. Der Kriminalkommissar trat einen Schritt vor und sagte sehr höflich, aber bestimmt: Wenn der Herr Gutsbesitzer darauf warten, dann erkläre ich Sie hiermit für verhaftet und bitte Sie, mir zu folgen. Gehen Sie zum Teufel! rief Hilmer und trat einen Schritt zurück, gleichsam um Platz zum Zuschlagen zu haben. Dort am Gebüsch standen der Hofjägermeister und die Gnädige. Muhme Rilke und die Postmeisterfamilie waren zurückgewichen, sie suchten gleichsam die Nähe der feinen Gäste, um das Geschehene entschuldigen zu können. Frau Hilmer stand noch wie gelähmt, und Jnger warf sich weinend an die Brust des Vaters. Vater! Vater! rief sie, dann wandte sie sich Plötzlich zu Frederiksen. Ich ver¬ biete Ihnen, ihn anzurühren, verstehn Sie, ich verbiete es Ihnen! Der Bürgermeister war bleich geworden, er wußte nicht, was er sagen sollte. Hilmer, begann er. . . Gehn Sie, sagte Hilmer außer sich, gehn Sie — der Sie sich meinen Freund nennen, Sie, der Sie königlicher Kreisrichter hier sind und mich nicht einmal gegen diese Esel, diese Lumpen von da drinnen beschützen wollen. Gehn Sie, lassen Sie es mich allein ausmachen, überlassen Sie mir die Verantwortung, die über die Häupter dieser Verbrecher kommt. Vater! Vater! rief Jnger und warf sich wieder zwischen Hilmer und den Beamten. Seydewitz kochte das Blut. Er stand dicht neben dem Bürgermeister. Dann Päckte er dessen Arm. Sie müssen das verhindern! Liebes Freundchen, sagte der Alte hilflos, ich kann nicht, ich kann nicht. Dann gehn Sie, zischte Seydewitz zwischen den Zähnen. Dann werde ich es. Sie? Wie das? Lassen Sie das meine Sache sein — ich bitte Sie, gehn Sie, gehn Sie zu den Herrschaften hinüber, schassen Sie sie fort, sie stehn ja da und glotzen wie bei einer Theatervorstellung — gehn Sie nur, gehn Sie — ich stehe für das Ganze — aber Sie müssen gehn. Der Bürgermeister schwankte, dann zog er sich langsam zu der Gruppe an der Haselhecke zurück. Jnger stand noch an den Vater gelehnt. Seydewitz wandte sich um und winkte Justesen, daß er gehn sollte. Justesen, der sich im Hintergrunde hielt, glitt zum Hofe zurück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/627>, abgerufen am 22.12.2024.