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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Die Gruppe an der Hecke löste sich auf und zog sich zum Vorgarten zurück.
Der Bürgermeister ging voran, gleichsam, um die andern mit sich zu ziehn.
Seydewitz wandte sich zu dem Kriminalkommissar.

Sie handeln infolge einer Order, Kriminalkommissar Frederiksen, sagte er ruhig,
seine Stimme bebte leicht.

Jawohl, Herr Referendar, antwortete Frederiksen mit einem nachsichtigen
Lächeln.

Darf ich den Haftbefehl sehen? sagte Seydewitz kurz.

Frederiksen trat einen Schritt zurück.

Den Haftbefehl!

Ja, darf ich eine Ausfertigung des Dekrets sehen, worin Gutsbesitzer Hilmers
Verhaftung angeordnet wird.

Der Kommissar warf den Nacken zurück: Ich habe keine Order.

Was geht das mich an, sagte Seydewitz scharf. Sie kennen wohl als alter
Polizeibeamter den Paragraphen 81 unsers Grundgesetzes. Sie wissen wohl, daß
keiner in eines Mannes Haus eindringen und Hand an ihn legen darf, ohne den
Befehl eines Richters vorzuweisen.

Ich habe eine mündliche Order, sagte Frederiksen etwas friedfertiger, nach
der richte ich mich.

Gut, sagte Seydewitz, dann rate ich Ihnen nur, Herr Gutsbesitzer, diesen
Mann darauf aufmerksam zu machen, daß Sie ihm nur folgen, wenn er einen
formellen Haftbefehl vorlegt. Da er einen solchen nicht hat, so möchte ich Ihnen
empfehlen, ihn aufzufordern, daß er den Boden ihres Besitzes augenblicklich verläßt.
Das Haus ist unverletzbar. Ich nehme die Verantwortung auf mich.

Hilmer blickte Seydewitz verdutzt an.

Der Kriminalkommissar zögerte. Herr Referendar, der Herr Assessor hat aus¬
drücklich . . .

Gehn Sie zum Teufel; der Herr Assessor hat -- Assessor Richter ist ein
zu tüchtiger Untersuchungsrichter, als daß er sich auf Ungesetzlichkeiten einließe. Sie
sind es -- Sie allein, der seine Pflicht vernachlässigt hat, hier in dieses Hans
eingedrungen ist, ohne die Papiere in Ordnung zu haben. Und Sie haben
vielleicht die Güte, zu gehn, oder, bei Gott im Himmel, ich lasse Sie von Justesen
vor die Tür setzen. Sie haben wohl das Recht, Brandstiftungen zu untersuchen,
aber wir haben, schockschwerenot, darüber zu wachen, daß keine Ungesetzlichkeiten
geschehen. Haben Sie mich verstanden?

Frederiksen verneigte sich.

Dann sind Sie vielleicht so freundlich und gehn, und zwar sofort.

Der Kriminalkommissar hatte einen roten Kopf wie ein Truthahn, Er sandte
dem Referendar ein paar scharfe Blicke hinter seinem Kneifer zu, aber ging. Grün¬
schnabel! zischte er zwischen den Zähnen.

Jnger ließ den Vater los, und mit einem Satze sprang sie auf Seydewitz zu,
schlang beide Arme um seinen Hals und küßte ihn "litten anf den Mund. Dann
ließ sie ihn los und lief blutrot davon, die Treppe hinan und ins Hans.

Hilmer ergriff Seydewitzens Hand: Dank, junger Mann, Dank, Gott segne
Sie dafür.

Frau Hilmer schluchzte.

Aus dem Garten kam der Bürgermeister eilig, anßer Atem zurück. Er blieb
einen Augenblick stehn und sah sich erstaunt um.

Was ist das -- Seydewitz?


Der rote Hahn

Die Gruppe an der Hecke löste sich auf und zog sich zum Vorgarten zurück.
Der Bürgermeister ging voran, gleichsam, um die andern mit sich zu ziehn.
Seydewitz wandte sich zu dem Kriminalkommissar.

Sie handeln infolge einer Order, Kriminalkommissar Frederiksen, sagte er ruhig,
seine Stimme bebte leicht.

Jawohl, Herr Referendar, antwortete Frederiksen mit einem nachsichtigen
Lächeln.

Darf ich den Haftbefehl sehen? sagte Seydewitz kurz.

Frederiksen trat einen Schritt zurück.

Den Haftbefehl!

Ja, darf ich eine Ausfertigung des Dekrets sehen, worin Gutsbesitzer Hilmers
Verhaftung angeordnet wird.

Der Kommissar warf den Nacken zurück: Ich habe keine Order.

Was geht das mich an, sagte Seydewitz scharf. Sie kennen wohl als alter
Polizeibeamter den Paragraphen 81 unsers Grundgesetzes. Sie wissen wohl, daß
keiner in eines Mannes Haus eindringen und Hand an ihn legen darf, ohne den
Befehl eines Richters vorzuweisen.

Ich habe eine mündliche Order, sagte Frederiksen etwas friedfertiger, nach
der richte ich mich.

Gut, sagte Seydewitz, dann rate ich Ihnen nur, Herr Gutsbesitzer, diesen
Mann darauf aufmerksam zu machen, daß Sie ihm nur folgen, wenn er einen
formellen Haftbefehl vorlegt. Da er einen solchen nicht hat, so möchte ich Ihnen
empfehlen, ihn aufzufordern, daß er den Boden ihres Besitzes augenblicklich verläßt.
Das Haus ist unverletzbar. Ich nehme die Verantwortung auf mich.

Hilmer blickte Seydewitz verdutzt an.

Der Kriminalkommissar zögerte. Herr Referendar, der Herr Assessor hat aus¬
drücklich . . .

Gehn Sie zum Teufel; der Herr Assessor hat — Assessor Richter ist ein
zu tüchtiger Untersuchungsrichter, als daß er sich auf Ungesetzlichkeiten einließe. Sie
sind es — Sie allein, der seine Pflicht vernachlässigt hat, hier in dieses Hans
eingedrungen ist, ohne die Papiere in Ordnung zu haben. Und Sie haben
vielleicht die Güte, zu gehn, oder, bei Gott im Himmel, ich lasse Sie von Justesen
vor die Tür setzen. Sie haben wohl das Recht, Brandstiftungen zu untersuchen,
aber wir haben, schockschwerenot, darüber zu wachen, daß keine Ungesetzlichkeiten
geschehen. Haben Sie mich verstanden?

Frederiksen verneigte sich.

Dann sind Sie vielleicht so freundlich und gehn, und zwar sofort.

Der Kriminalkommissar hatte einen roten Kopf wie ein Truthahn, Er sandte
dem Referendar ein paar scharfe Blicke hinter seinem Kneifer zu, aber ging. Grün¬
schnabel! zischte er zwischen den Zähnen.

Jnger ließ den Vater los, und mit einem Satze sprang sie auf Seydewitz zu,
schlang beide Arme um seinen Hals und küßte ihn «litten anf den Mund. Dann
ließ sie ihn los und lief blutrot davon, die Treppe hinan und ins Hans.

Hilmer ergriff Seydewitzens Hand: Dank, junger Mann, Dank, Gott segne
Sie dafür.

Frau Hilmer schluchzte.

Aus dem Garten kam der Bürgermeister eilig, anßer Atem zurück. Er blieb
einen Augenblick stehn und sah sich erstaunt um.

Was ist das — Seydewitz?


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[0628] Der rote Hahn Die Gruppe an der Hecke löste sich auf und zog sich zum Vorgarten zurück. Der Bürgermeister ging voran, gleichsam, um die andern mit sich zu ziehn. Seydewitz wandte sich zu dem Kriminalkommissar. Sie handeln infolge einer Order, Kriminalkommissar Frederiksen, sagte er ruhig, seine Stimme bebte leicht. Jawohl, Herr Referendar, antwortete Frederiksen mit einem nachsichtigen Lächeln. Darf ich den Haftbefehl sehen? sagte Seydewitz kurz. Frederiksen trat einen Schritt zurück. Den Haftbefehl! Ja, darf ich eine Ausfertigung des Dekrets sehen, worin Gutsbesitzer Hilmers Verhaftung angeordnet wird. Der Kommissar warf den Nacken zurück: Ich habe keine Order. Was geht das mich an, sagte Seydewitz scharf. Sie kennen wohl als alter Polizeibeamter den Paragraphen 81 unsers Grundgesetzes. Sie wissen wohl, daß keiner in eines Mannes Haus eindringen und Hand an ihn legen darf, ohne den Befehl eines Richters vorzuweisen. Ich habe eine mündliche Order, sagte Frederiksen etwas friedfertiger, nach der richte ich mich. Gut, sagte Seydewitz, dann rate ich Ihnen nur, Herr Gutsbesitzer, diesen Mann darauf aufmerksam zu machen, daß Sie ihm nur folgen, wenn er einen formellen Haftbefehl vorlegt. Da er einen solchen nicht hat, so möchte ich Ihnen empfehlen, ihn aufzufordern, daß er den Boden ihres Besitzes augenblicklich verläßt. Das Haus ist unverletzbar. Ich nehme die Verantwortung auf mich. Hilmer blickte Seydewitz verdutzt an. Der Kriminalkommissar zögerte. Herr Referendar, der Herr Assessor hat aus¬ drücklich . . . Gehn Sie zum Teufel; der Herr Assessor hat — Assessor Richter ist ein zu tüchtiger Untersuchungsrichter, als daß er sich auf Ungesetzlichkeiten einließe. Sie sind es — Sie allein, der seine Pflicht vernachlässigt hat, hier in dieses Hans eingedrungen ist, ohne die Papiere in Ordnung zu haben. Und Sie haben vielleicht die Güte, zu gehn, oder, bei Gott im Himmel, ich lasse Sie von Justesen vor die Tür setzen. Sie haben wohl das Recht, Brandstiftungen zu untersuchen, aber wir haben, schockschwerenot, darüber zu wachen, daß keine Ungesetzlichkeiten geschehen. Haben Sie mich verstanden? Frederiksen verneigte sich. Dann sind Sie vielleicht so freundlich und gehn, und zwar sofort. Der Kriminalkommissar hatte einen roten Kopf wie ein Truthahn, Er sandte dem Referendar ein paar scharfe Blicke hinter seinem Kneifer zu, aber ging. Grün¬ schnabel! zischte er zwischen den Zähnen. Jnger ließ den Vater los, und mit einem Satze sprang sie auf Seydewitz zu, schlang beide Arme um seinen Hals und küßte ihn «litten anf den Mund. Dann ließ sie ihn los und lief blutrot davon, die Treppe hinan und ins Hans. Hilmer ergriff Seydewitzens Hand: Dank, junger Mann, Dank, Gott segne Sie dafür. Frau Hilmer schluchzte. Aus dem Garten kam der Bürgermeister eilig, anßer Atem zurück. Er blieb einen Augenblick stehn und sah sich erstaunt um. Was ist das — Seydewitz?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/628>, abgerufen am 22.12.2024.