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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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zu langen Bindungen eingegangen werden, bei auf längere Zeit abgeschloßnen
Gesellschaftsverträgen die Möglichkeit der Kündigung dargeboten werde. Von
der Schenkung wird gesagt, daß sie bei den Primitiven, die ganz oder halb
kommunistisch lebten und noch keinen klaren Begriff vom Privateigentum hatten,
durch das Abwechslungsbedürfnis veranlaßt worden seien: der schenkende er¬
wartete eine Gegengabe und forderte, wenn eine solche nicht gewährt wurde,
das Geschenkte zurück. Die scheinbare Schenkung war also nur Aufforderung
zu einem Tausch. Erst allmählich vergeistigt sich das Geschäft, indem nicht
ein materieller Gegenstand, sondern nur ein Dienst, zuletzt nur noch dankbare
Gesinnung als Gegengabe erwartet wird. Widerruf kommt auch dann noch
vor, hat aber, wie die Schenkung selbst, eine von der ursprünglichen verschiedne
Bedeutung, da nicht das Ausbleiben des erwarteten Nutzens, sondern "die
unethische Gesinnung des Beschenkten" der Grund ist. "Das nicht seltne Über¬
maß im Schenken, das darin besteht, daß der Schenker nicht mehr den Cha¬
rakter des Eigentums aufrecht erhält und mit seinem Vermögen schaltet, wie
wenn es Gemeingut wäre, ist ein atavistischer Rückfall in jene früheren Zeiten,
als das Eigengut noch nicht anerkannt war. Es ist dies eine der Arten der
Verschwendung und eine ihrer hervorstechendsten Arten. Andre Arten sind
Auswüchse einer ins Tolle gesteigerten Persönlichkeitsidee, oder sie beruhen
auf Enthaltscimkeits- und Opfergedanken, die von hoch ethischer Bedeutung sein
können, die aber überall da Anstoß erregen, wo sie andern ethischen Pflichten
im Wege stehn." Nicht die Gedanken erregen Anstoß, sondern die aus ihnen
hervorgehenden Schenkungen, und diese erregen nicht bloß Anstoß, sondern sie
sind Unrecht, in der Kirchensprache ausgedrückt Sünde. Sie sind bekanntlich
in der katholischen Kirche sehr häufig, wo die "fremdsinnigen" Motive von
"ichsinnigen" wie Milderung und Verkürzung der im Fegefeuer zu erwartenden
Leiden verstärkt werden. Sie werden nicht so oft durch geistliche Erbschleichern
veranlaßt oder verursacht, wie die Kirchenfcinde glauben, aber die Pflicht,
Schenkungen und Vermächtnisse, durch die bedürftige Verwandte geschädigt
werden, zu widerraten, nötigenfalls zu verhindern, wird bei weitem nicht all¬
gemein und nicht nachdrücklich genug erfüllt. Am verwerflichsten sind die
Meßstiftungen, die weiter nichts sind als Geschenke an oft gar nicht bedürftige
Geistliche.

In dem Abschnitt "Ausgleichungspflicht" wird von der Haftung für Taten
von Tieren und Sklaven gehandelt. Die Tiere werden anfänglich für ver¬
nünftige Wesen gehalten und als solche für die Schädigungen, die sie dem
Menschen zufügen, verantwortlich gemacht und bestraft, manchmal nach Ver¬
urteilung in einem förmlichen Prozesse. Da der Eigentümer des verurteilten
Tieres dieses nicht gern herausgab, so bildete sich die ja auch für den Ge¬
schädigten vorteilhaftere Gewohnheit aus, statt der Bestrafung des Tieres eine
von seinem Herrn zu zahlende Entschädigung zu fordern; und da es in vielen
Fällen offenbar wurde, daß nicht das Tier, sondern sein Hüter der eigentlich


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zu langen Bindungen eingegangen werden, bei auf längere Zeit abgeschloßnen
Gesellschaftsverträgen die Möglichkeit der Kündigung dargeboten werde. Von
der Schenkung wird gesagt, daß sie bei den Primitiven, die ganz oder halb
kommunistisch lebten und noch keinen klaren Begriff vom Privateigentum hatten,
durch das Abwechslungsbedürfnis veranlaßt worden seien: der schenkende er¬
wartete eine Gegengabe und forderte, wenn eine solche nicht gewährt wurde,
das Geschenkte zurück. Die scheinbare Schenkung war also nur Aufforderung
zu einem Tausch. Erst allmählich vergeistigt sich das Geschäft, indem nicht
ein materieller Gegenstand, sondern nur ein Dienst, zuletzt nur noch dankbare
Gesinnung als Gegengabe erwartet wird. Widerruf kommt auch dann noch
vor, hat aber, wie die Schenkung selbst, eine von der ursprünglichen verschiedne
Bedeutung, da nicht das Ausbleiben des erwarteten Nutzens, sondern „die
unethische Gesinnung des Beschenkten" der Grund ist. „Das nicht seltne Über¬
maß im Schenken, das darin besteht, daß der Schenker nicht mehr den Cha¬
rakter des Eigentums aufrecht erhält und mit seinem Vermögen schaltet, wie
wenn es Gemeingut wäre, ist ein atavistischer Rückfall in jene früheren Zeiten,
als das Eigengut noch nicht anerkannt war. Es ist dies eine der Arten der
Verschwendung und eine ihrer hervorstechendsten Arten. Andre Arten sind
Auswüchse einer ins Tolle gesteigerten Persönlichkeitsidee, oder sie beruhen
auf Enthaltscimkeits- und Opfergedanken, die von hoch ethischer Bedeutung sein
können, die aber überall da Anstoß erregen, wo sie andern ethischen Pflichten
im Wege stehn." Nicht die Gedanken erregen Anstoß, sondern die aus ihnen
hervorgehenden Schenkungen, und diese erregen nicht bloß Anstoß, sondern sie
sind Unrecht, in der Kirchensprache ausgedrückt Sünde. Sie sind bekanntlich
in der katholischen Kirche sehr häufig, wo die „fremdsinnigen" Motive von
„ichsinnigen" wie Milderung und Verkürzung der im Fegefeuer zu erwartenden
Leiden verstärkt werden. Sie werden nicht so oft durch geistliche Erbschleichern
veranlaßt oder verursacht, wie die Kirchenfcinde glauben, aber die Pflicht,
Schenkungen und Vermächtnisse, durch die bedürftige Verwandte geschädigt
werden, zu widerraten, nötigenfalls zu verhindern, wird bei weitem nicht all¬
gemein und nicht nachdrücklich genug erfüllt. Am verwerflichsten sind die
Meßstiftungen, die weiter nichts sind als Geschenke an oft gar nicht bedürftige
Geistliche.

In dem Abschnitt „Ausgleichungspflicht" wird von der Haftung für Taten
von Tieren und Sklaven gehandelt. Die Tiere werden anfänglich für ver¬
nünftige Wesen gehalten und als solche für die Schädigungen, die sie dem
Menschen zufügen, verantwortlich gemacht und bestraft, manchmal nach Ver¬
urteilung in einem förmlichen Prozesse. Da der Eigentümer des verurteilten
Tieres dieses nicht gern herausgab, so bildete sich die ja auch für den Ge¬
schädigten vorteilhaftere Gewohnheit aus, statt der Bestrafung des Tieres eine
von seinem Herrn zu zahlende Entschädigung zu fordern; und da es in vielen
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[0608] Line Rechtsphilosophie zu langen Bindungen eingegangen werden, bei auf längere Zeit abgeschloßnen Gesellschaftsverträgen die Möglichkeit der Kündigung dargeboten werde. Von der Schenkung wird gesagt, daß sie bei den Primitiven, die ganz oder halb kommunistisch lebten und noch keinen klaren Begriff vom Privateigentum hatten, durch das Abwechslungsbedürfnis veranlaßt worden seien: der schenkende er¬ wartete eine Gegengabe und forderte, wenn eine solche nicht gewährt wurde, das Geschenkte zurück. Die scheinbare Schenkung war also nur Aufforderung zu einem Tausch. Erst allmählich vergeistigt sich das Geschäft, indem nicht ein materieller Gegenstand, sondern nur ein Dienst, zuletzt nur noch dankbare Gesinnung als Gegengabe erwartet wird. Widerruf kommt auch dann noch vor, hat aber, wie die Schenkung selbst, eine von der ursprünglichen verschiedne Bedeutung, da nicht das Ausbleiben des erwarteten Nutzens, sondern „die unethische Gesinnung des Beschenkten" der Grund ist. „Das nicht seltne Über¬ maß im Schenken, das darin besteht, daß der Schenker nicht mehr den Cha¬ rakter des Eigentums aufrecht erhält und mit seinem Vermögen schaltet, wie wenn es Gemeingut wäre, ist ein atavistischer Rückfall in jene früheren Zeiten, als das Eigengut noch nicht anerkannt war. Es ist dies eine der Arten der Verschwendung und eine ihrer hervorstechendsten Arten. Andre Arten sind Auswüchse einer ins Tolle gesteigerten Persönlichkeitsidee, oder sie beruhen auf Enthaltscimkeits- und Opfergedanken, die von hoch ethischer Bedeutung sein können, die aber überall da Anstoß erregen, wo sie andern ethischen Pflichten im Wege stehn." Nicht die Gedanken erregen Anstoß, sondern die aus ihnen hervorgehenden Schenkungen, und diese erregen nicht bloß Anstoß, sondern sie sind Unrecht, in der Kirchensprache ausgedrückt Sünde. Sie sind bekanntlich in der katholischen Kirche sehr häufig, wo die „fremdsinnigen" Motive von „ichsinnigen" wie Milderung und Verkürzung der im Fegefeuer zu erwartenden Leiden verstärkt werden. Sie werden nicht so oft durch geistliche Erbschleichern veranlaßt oder verursacht, wie die Kirchenfcinde glauben, aber die Pflicht, Schenkungen und Vermächtnisse, durch die bedürftige Verwandte geschädigt werden, zu widerraten, nötigenfalls zu verhindern, wird bei weitem nicht all¬ gemein und nicht nachdrücklich genug erfüllt. Am verwerflichsten sind die Meßstiftungen, die weiter nichts sind als Geschenke an oft gar nicht bedürftige Geistliche. In dem Abschnitt „Ausgleichungspflicht" wird von der Haftung für Taten von Tieren und Sklaven gehandelt. Die Tiere werden anfänglich für ver¬ nünftige Wesen gehalten und als solche für die Schädigungen, die sie dem Menschen zufügen, verantwortlich gemacht und bestraft, manchmal nach Ver¬ urteilung in einem förmlichen Prozesse. Da der Eigentümer des verurteilten Tieres dieses nicht gern herausgab, so bildete sich die ja auch für den Ge¬ schädigten vorteilhaftere Gewohnheit aus, statt der Bestrafung des Tieres eine von seinem Herrn zu zahlende Entschädigung zu fordern; und da es in vielen Fällen offenbar wurde, daß nicht das Tier, sondern sein Hüter der eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/608>, abgerufen am 22.12.2024.